Beverly
Die nächsten Tage verbrachte ich alleine in meinem Haus. Naja, nein, eigentlich waren wir zu dritt. Ich, meine Zeichenmappe und der Tequila.
Ich zeichnete viel. Betrunken zu zeichnen war nicht unbedingt optimal, aber sobald ich nüchtern war, plagten mich so viele Gedanken und Fragen, dass es einem Migräneanfall glich und ich zu nichts zu gebrauchen war. Also zeichnete ich mir betrunken alles von der Seele und jeden Morgen, wenn ich aufwachte, ging es mir ein klein wenig besser -von dem Dauerkater mal abgesehen.
Chase war in dieser Zeit ein verdammt guter Freund gewesen, denn jeden Tag hatte ich vor meiner Türe irgendetwas zu Essen gefunden und am ersten Tag war sogar eine Flasche Scotch dabei gewesen, die er mit einem Zettel versehen hatte. Der ist für mich, für unsere nächste Therapiesitzung. NICHT TRINKEN!
Ich hatte die Flasche trotzdem begonnen, als kein Tequila mehr da gewesen war.
Als ich am fünften Tag vor acht Uhr morgens aufwachte, ging es mir deutlich besser als die Tage zuvor. Ich ging meine grottenschlechten Zeichnungen durch, rekapitulierte meine Gedanken und beschloss, ohne Alkohol durch den Tag zu kommen. Stattdessen tat ich etwas ganz und gar Untypisches. Ich zog mir ein lockeres Shirt an, eine Weste darüber, schlüpfte in eine Jogginghose und meine Sportschuhe, band meine Haare zusammen und joggte ein bisschen in der Gegend herum. Ich lief zu dem Café, aus dem Trish einmal die guten Muffins und den Tee geholt hatte, und spazierte mit meinem Frühstück gemütlich zurück. Wieder zu Hause angekommen, verschwand ich unter der Dusche und nachdem ich mich umgezogen hatte, setzte ich mich ans Klavier und versuchte Töne zu spielen, die eine nette Melodie ergaben.
Als mir nach schätzungsweise fünfzehn Minuten bewusst wurde, dass ich gerade wirklich an dem Flügel saß und zu spielen versuchte, begann ich mir Sorgen um meine seelische Gesundheit zu machen. Ich schnappte mir eine Wolldecke und meine Zeichenmappe und setzte mich vor meinem Haus auf die Steinstufen, den Blick auf die Straße gerichtet, weil ich wusste, dass Chase bald wieder auftauchen und mir Essen vorbei bringen würde. In den letzten Tagen waren es Pizza, Burger, Pommes und anderes fettiges, ungesundes Zeug gewesen. Er hatte wohl gehofft, mir damit den Alkoholkonsum zu erleichtern.
Es war ein deprimierender Herbsttag. Der Himmel war in einem einzigen hellen Grauton gefärbt und die Straßen waren leer. Braune Blätter fegten über den Bürgersteig und der Wind drückte gegen die kahlen Äste und Sträucher. Mein Blumenbeet sah verwelkt und trostlos aus.
Ich wusste nicht, welches Datum wir hatten und auch nicht, welcher Wochentag war. Ich war mir nur sicher, dass mittlerweile der November angebrochen sein musste.
Wie erwartet fuhr gegen halb zehn Chase' Wagen durch die verlassene Straße. Er parkte schwungvoll in meiner Einfahrt und stieg aus.
„Dein täglicher Essenslieferant ist da", rief er viel zu gut gelaunt, schwenkte ein weißes Plastiksäckchen und schlug die Türe seines Mercedes hinter sich zu. „Asiatisch." Mein Magen knurrte. Ich drückte mich von den Stufen hoch, klaubte die Wolldecke auf und transportierte sie zusammen mit der Mappe wieder ins Wohnzimmer.
Chase schloss hinter mir die Türe und stellte das Essen auf der Kücheninsel ab. Er platzierte zwei Teller auf dem Tisch und ich war so gastfreundlich, ihm ein Glas Scotch einzuschenken.
„Du hast ihn getrunken", bemerkte er beleidigt, als er die halbvolle Flasche sah.
„Ja, und dabei hab ich nur an deine Leber gedacht", entgegnete ich augenrollend.
„Vielleicht hättest du eher an deine denken sollen, meiner geht es super."
„Tja, aber wie lange noch?"
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Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...