Aidan
Es war lange her, dass Trish mich als Krankentransport missbraucht hatte. Aber ihre Mom war mit Patrick verreist und das Geld für ein Taxi hatte Trish nicht. Ich konnte sie ja schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren lassen, wenn ihr kleiner Bruder eine frisch genähte Platzwunde auf dem Kopf hatte. Chase ging offenbar nicht ans Telefon, sonst hätte sie mit Sicherheit ihn darum gebeten.
Also schrieb ich ihr, dass ich gleich da sein würde und rollte mich mit brummendem Schädel von dem Bett, das nicht meines war. Ich sah mich um. Gar nichts hier kam mir bekannt vor. Auch nicht das halbnackte Mädchen, das neben mir auf dem Bauch lag und tief und fest schlief. Ich konnte mich gar nicht an letzte Nacht erinnern. Das Kokain hatte seine Wirkung verloren und ich fühlte mich genauso beschissen wie gestern Mittag. Vielleicht sogar noch schlimmer.
Ich griff nach meinen Klamotten, die auf dem Boden neben dem Bett lagen, zog mich an und verließ die, mir unbekannte, Wohnung. In meiner Hosentasche fand ich meine Autoschlüssel. Praktischerweise stand mein Wagen direkt vor der Haustüre, auch, wenn ich nicht mehr wusste, wie er da hingekommen war.
Ich ließ mich hinters Steuer fallen und kramte im Handschuhfach nach einer Sonnenbrille. Der Himmel war zwar mit Wolken bedeckt, aber meine Augen waren glasig und rot. Ich war mir sicher, dass ich nicht in der Lage war, sicher und umsichtig Auto zu fahren, trotzdem parkte ich den Wagen aus.
Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis ich mich durch die Straßen ins Krankenhaus gekämpft hatte, in dem Trish und Kace auf ihren Chauffeur warteten. Der morgendliche Verkehr war mörderisch gewesen. Einen Kaffee hätte ich jetzt wirklich gut gebrauchen können.
Missmutig ging ich über den Parkplatz, durch die Automatiktüren, in die Empfangshalle und suchte schließlich nach der Kinderstation. Da meine Mom auch in einem Krankenhaus arbeitete und ich mit Addie zusammen viele Stunden meiner Kindheit in einem zugebracht hatte, um auf unsere Mutter zu warten, fand ich mich in den meisten Krankenhäusern beunruhigend schnell zurecht. Trish hatte mir geschrieben, dass sie und Kace auf der Kinderstation warten würden, bis ich hier sein würde. Ich hasste Krankenhäuser. Sie erinnerten mich nicht an Heilung, sondern an Krankheit und Tod. Und sie rochen seltsam.
Ich nahm den Aufzug in den dritten Stock. Währenddessen schrieb ich Trish eine Nachricht, dass ich auf der Station war, aber keine Ahnung hatte, wo zur Hölle sie steckte. Während ich auf eine Antwort wartete, wurde ich von ein paar Kindern fast umgerannt, die in eine bestimmte Richtung rannten, aus der kurz darauf die Klänge einer Gitarre zu hören waren. Gitarren erinnerten mich irgendwie immer ein bisschen an fröhliche, ausgeglichene Menschen, die irgendwo außerhalb der Stadt aufgewachsen waren.
Da ich keine Ahnung hatte, wann Trish meine Nachricht bekommen, geschweige denn lesen würde, und diese Station riesig war, beschloss ich, den Kindern zu folgen. Ich mochte Kinder. Sie erinnerten mich daran, dass mein Leben nicht immer so mies gewesen war. Dass diese kleinen Lebewesen einen anderen Weg würden einschlagen können. Dass sie vielleicht glücklich verheiratet sein würden und irgendwann selbst viele Kinder haben würden. Sie würden in hohem Alter im Schlaf sterben. Sie würden sich nicht umbringen, sie würden nicht entführt werden, sie würden nicht drogenabhängig werden. Nein, sie würden aus diesem Krankenhaus rauskommen und ein schönes Leben führen.
Dass diese Überzeugung vollkommen naiv war, ignorierte ich.
Die Kinder waren in einen Raum gelaufen und saßen im Schneidersitz um eine junge Frau, die die Gitarre spielte. Mit dem „glücklichen Menschen" hatte ich wohl recht gehabt, denn sie lächelte. Sie lächelte eines dieser Lächeln, die man nicht fälschen konnte, weil ihre Augen mitlächelten.

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Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...