Aidan
Leichenschmaus.
Was für ein groteskes und morbides Wort, für das Zusammentreffen vieler Angehöriger unter einem Dach, unmittelbar nach einer Beerdigung. Ich hätte nicht einmal an Essen denken können, aber alle anderen schienen sich bei Kaffee und Kuchen über die alten Zeiten auszutauschen, um leichter über Rose' Tod hinwegzukommen. Ich drängte mich zwischen den ganzen schwarzen Gestalten hindurch. Das Schluchzen, das Gemurmel, das leise Kichern und das Klappern von Geschirr machte mich wahnsinnig. Viele dieser Menschen kannte ich gar nicht, oder hatte ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Nur ein paar Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen erkannte ich wieder.
Müde und erschöpft schlängelte ich mich zwischen den Menschen hindurch, bis in den Garten, und suchte mir dort ein ruhiges Plätzchen. Ich setzte mich auf einen der großen Ziersteine, die inmitten eines Kiesbeetes mit Pflanzen platziert waren. Wenn Mom mich gesehen hätte, hätte sie mich vermutlich runtergeschmissen und gemeint, dass ein Stein nicht zum Sitzen da war, sondern lediglich zur Dekoration diente, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, jeden davon zu überzeugen, wie schwer ihr der Abschied von ihrer Mutter gefallen war.
Mein Kopf war wie leer gefegt. Ich hätte gerne an irgendetwas gedacht, aber es war, als wären all meine Gedanken weg, also saß ich einfach nur da und wartete auf was auch immer.
Ich wusste nicht, wie lange ich bereits im Garten gesessen und die Grünpflanzen und kleinen Figuren angestarrt hatte, aber einer Person war meine Abwesenheit offenbar aufgefallen, denn irgendwann schob Addie die Glastüre auf, sah sich um, entdeckte mich, schob die Türe hinter sich wieder zu und schlenderte zu mir. Sie stellte sich neben mich, sah auf mich hinab und sagte kein Wort.
„Was willst du?", brummte ich.
„Was machst du hier draußen? So ganz alleine."
„Dreimal darfst du raten."
Sie setzte sich neben mich. Ich stieß einen genervten Seufzer aus. Warum war ich wohl alleine hier? „Wo hast du Trev gelassen?"
„Hab ihn das letzte Mal mit Roy im Wohnzimmer gesehen, als die beiden sich über das Strafrecht in den USA unterhalten haben."
Ja, da wäre ich an Addies Stelle auch abgehauen. Roy war unser Cousin. Er studierte auch Jura, nur in Harvard, und war zwei Semester weiter, als Trev. Unsere Mutter war alles andere als begeistert gewesen, als Addie mit Trev zusammen auf der Beerdigung aufgetaucht war, allerdings hatte sie, zu meiner Überraschung, auch keinen Aufstand gemacht.
„Komm mit, Trauermännlein." Addie stand wieder auf und streckte mir ihre Hände entgegen.
„Wohin?"
„Komm einfach." Müde ließ ich mich von ihr auf die Beine ziehen. Sie zog mich zwischen unseren Verwandten und Freunden hindurch und steuerte auf den Oberstock zu, den Gang entlang, nach hinten, wo eine weitere Türe war, hinter der eine Sprossenleiter zum Dachboden führte.
„Normalerweise würde ich ja auf Ladies first plädieren", begann sie und zeigte nach oben. „Aber du musst für mich sicherstellen, dass da keine fette Spinne sitzt, die mich beißen und umbringen will."
Ich schnaubte. „Du würdest mich auch für einen Kasten Bier vor einen Bus stoßen, oder?"
„Nein, aber für Ben&Jerry's würde ich drüber nachdenken."
Ohne etwas darauf zu erwidern, begann ich, die Leiter nach oben zu steigen und entfernte dabei mit einer Hand diverse Spinnweben. Dann stieß ich die Dachbodentüre auf und hievte mich hoch.
„Das war glaub ich keine gute Idee, Ads." Ich warf einen Blick auf den Boden und an die Decke.
„Unsere Sachen werden danach nicht mehr schwarz sein."

DU LIEST GERADE
Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...