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Aidan

Ich erkannte ihr Lachen sofort. Ihr helles, glückliches Lachen, das sie nur lachte, wenn ich sie zum Lachen brachte. Ich sah mich um. Aber da waren nur Bäume. Sich bewegende Bäume, die mit ihren Wurzeln voran an mir vorbei marschierten. Der Wind, der die Blätter aufscheuchte und plötzlich lief alles viel zu schnell ab.

Dann stand sie vor mir. In einem weißen Kleid.

„Aidan", flüsterte sie. Blut lief über ihre Arme, tropfte auf den Boden. Ihre Haare peitschten um ihr Gesicht. Das Pfeifen des Windes wurde lauter. Etwas zog mich nach hinten, zog mich immer weiter weg von ihr.

„Aidan." Ich versuchte sie zu erreichen, begann zu laufen, zu rennen, aber je mehr ich es versuchte, desto weiter weg schien sie. Sie sah mich aus ihren blutroten Augen an.

„Aidan!" Erschrocken riss ich meine Augen auf. Es war hell. Und warm. Verdammt warm. Nicht annähernd so kalt, wie in dem Wald. Ich schwitzte.

Es war nur ein Traum. Alpträume sind auch nur Träume, kein Grund zur Panik.

„Wenn du nicht bald aufstehst, kommst du zu spät an die Uni", lächelte das Mädchen, das mich eben geweckt hatte, nicht Beverly war und auch keine roten Augen hatte. Kein weißes Kleid trug, sondern ein schwarzes, das ihren südländischen Hautton unterstrich. Dafür, dass sie nur in einem Kindergarten arbeitete, war sie eigentlich zu elegant gekleidet, aber das war eben ihr Stil. Armreifen, Halsketten, Kleider, hohe Schuhe -darin fühlte sie sich am wohlsten, und das war auch heute der Fall.

Angestrengt richtete ich mich auf und rieb mir über die Augen, während Fabiana mich mehr als amüsiert von der Türe aus betrachtete. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich tatsächlich beinahe verschlafen hätte, wenn sie mich nicht geweckt hätte. Ich stieß ein paar leise Flüche aus und kramte schnell ein paar Anziehsachen aus dem Haufen Klamotten hervor, der neben meinem Bett lag.

„Du bist süß, wenn du verschläfst." Sie kam zu mir und hielt mir einen dunkelblauen, großen Becher hin, während ich mir mein T-Shirt überzog. Hätte ich nicht eben noch einen solch scheußlichen Traum gehabt, wäre mir ein morgendliches Gespräch, über meine wirren Haare, vielleicht leichter gefallen. Sie sah sich in meinem Zimmer um, und ihr Blick fokussierte sich auf die Unordnung auf dem Boden, dem Schreibtisch und meinem Regal, in dem meine Unibücher gestapelt waren.

„Du wirst dich nie ändern, oder?"

„Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen", entgegnete ich müde und trank einen Schluck Kaffee.

„Wenn dir die Ausrede irgendwann mal zu langweilig werden sollte, hab ich noch eine für dich: Ordnung brauchen nur Idioten, Genies hingegen, beherrschen das Chaos."

„Werd' ich mir merken", lächelte ich, und trank noch einen Schluck. Ich wusste nicht, wie Fabiana es hinbekam, aber ich liebte den Kaffee, den sie mir jeden Morgen brachte, wenn sie nicht hier übernachtet hatte (meine Wohnung lag genau zwischen ihrer und dem Kindergarten, in dem sie arbeitete). Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass Cappuccino der Kaffee für mich war. Aber Fabiana hatte mir nur einmal einen Café au Lait machen müssen, um meine Meinung zu ändern. Ihre Großeltern väterlicherseits kamen aus Frankreich, und ich hatte das Gefühl, dass Franzosen wussten, wie man Kaffee zubereitete.

„Ich muss zur Arbeit, sonst komme ich zu spät, weil ich dich wecken musste. Du bist manchmal schlimmer, als die Kinder. Wir sehen uns heute Abend." Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen, bevor sie wieder aus meinem Zimmer verschwand.

Sobald ich hörte, dass die Wohnungstüre ins Schloss fiel, stemmte ich mich von meinem Bett hoch und riss die Zeichnung von Beverly, die ich mit einem Klebestreifen an den Kleiderschrank geklebt hatte, herunter. Beinahe wütend ließ ich meinen Blick zum, schätzungsweise tausendsten Mal, über die sanften Linien gleiten, die sie kurz vor ihrem Tod gezeichnet hatte. Dann drehte ich es um. Die Worte, die sie geschrieben hatte, hatte ich seit ihrem Selbstmord kein einziges Mal mehr gelesen.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt