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Beverly

Hattet ihr schon mal das Gefühl, euch komplett in einer Sache geirrt zu haben? Dass ihr etwas lieben lerntet, was ihr anfänglich total verabscheut habt? Ein Buch, einen Film, ein Musikstück, ein Gericht?

Mir war das bislang nur einmal passiert. Und zwar bei Chase. Anfangs hatte ich dieses eingebildete, narzisstische Bündel gehasst, und irgendwann hatte ich es in mein Herz geschlossen. Na gut. Ins Herz geschlossen ist vielleicht etwas zu viel des Guten. Aber ich hasste ihn nicht mehr und war mir ziemlich sicher, dass er keinen Versuch mehr starten würde, mich umzubringen.

Jedenfalls musste ich an eine solche Situation denken, als ich zum vierten Mal an diesem Tag die Tagebucheinträge in eine Ecke pfefferte. Ich hatte lesen nie sonderlich gemocht. Ich hatte es als recht sinnlos erachtet, denn man muss das ganze verdammte Buch lesen, bevor man sich ein Urteil erlauben darf, und dafür war mir meine übrige Lebenszeit zu wichtig. Ich hatte ohnehin schon zu viel von meiner Kindheit und Jugend in einem dunklen Keller oder in einem weißen Raum verbracht.

Doch als ich begonnen hatte, Iona's Tagebucheinträge zu lesen, die zugegebenermaßen nicht viel mit einem echten Roman zu tun hatten, war ich aufgeblüht. Ich hatte die nächsten Seiten kaum abwarten können. Deshalb war die Enttäuschung umso größer, als diese Frau mich mit einem Schlag daran erinnerte, warum ich keine Bücher las. Es gibt immer diesen einen Punkt, an dem nichts mehr Sinn ergibt, sich alles wiederholt und man den Protagonisten am liebsten verprügeln würde.

Hätte ich über mich selbst in einem Buch gelesen, hätte ich mich bestimmt auch verprügeln wollen, aber ich schweife ab.

Ich werde versuchen, wiederzugeben, was ich in den letzten fünf Tagen fleißig über Iona gelesen hatte. Beim Schreiben war sie zwar in etwa so konsequent, wie ich beim Sport, aber als Jugendliche hatte sie das Ganze wohl noch für die Nachwelt festhalten wollen.

Jedenfalls hatte Theodoric die Hochzeit, aus Gründen, die Iona nicht erwähnte, nach hinten verschoben. Während die Einträge voll waren von Geschwärme über seine schönen braunen Augen, hatte ich noch herauslesen können, dass er Iona mit nach Schottland genommen hatte -seine Heimat. Sie beschwerte sich darüber, dass sie die meisten Leute wegen des schottischen Akzentes kaum verstand. Dann waren eine Reihe verwirrender Ereignisse passiert: Theodoric hatte die Verlobung auch in Schottland bekannt gegeben, und es hatte auch dort ein Fest gegeben. Auf dieses hatte er wohl Looïcs Bruder eingeladen, ohne zu wissen, dass er Iona's Schwager gewesen war. Looïcs Bruder hatte Iona die der Hochzeit mit Theodoric ausreden und sie überzeugen wollen, stattdessen ihn zu heiraten -als Begründung schob er ihre Tochter vor, die in Frankreich von ihm und seiner Familie großgezogen wurde und offenbar jetzt schon ihre unglaublichen Kräfte zeigte, die unmöglich von seinem Bruder stammen konnten, sondern Iona's Gene gewesen sein mussten. Ein großes Drama folgte, denn mittlerweile war Iona endlich so weit gewesen, sich auf die Hochzeit mit Theodoric freiwillig einzulassen, allerdings wollte sie ihre Tochter zurück. Sie hatte Angst, dass es ihr in Frankreich nicht gut ginge. Nach langem Hin und Her zog Theodoric sie irgendwie aus der Scheiße und schaffte es sogar, ihre Tochter aus den Fängen der Franzosen zu ziehen. Bis dahin war die ganze Story eigentlich wie ein Märchen und ich fand nicht, dass Iona das Recht gehabt hätte, sich zu beschweren, da sie so ziemlich alles bekommen hatte, was sie sich nur hätte wünschen können. Sie war eine mächtige Hexe von hohem Stand, hatte ihre Tochter wieder und ihren Ritter in glänzender Rüstung.

Ich hätte auch gerne einen Mann an meiner Seite gehabt, der alle Monster in die Flucht schlug und mir auch noch meine sehnlichsten Wünsche erfüllte. Vielleicht noch gut aussah und mich gerne hatte.

Und was hatte ich tatsächlich? Ich hatte Trish, Chase und zu schnell wachsende Beinhaare. Darüber hinaus stellte ich mich beim Monster in die Flucht schlagen nicht sonderlich geschickt an.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt