Beverly
„Vielleicht ist nur die Verbindung abgebrochen. Muss er nicht durch diese seltsame Waldgegend fahren?", versuchte Chase Addie zu beruhigen. Sie knetete weiter ihre Hände und ging unruhig im Wohnzimmer auf und ab.
„Ich hatte eine Vision, Chase! Und meine Visionen bestehen nicht daraus, dass jemand im Lotto gewinnt. Und ich hab sie ignoriert, ich hätte nicht gedacht, dass Trev so schnell wieder hier her kommen würde, nachdem, was passiert ist, deshalb hab ich mir keine Sorgen gemacht! Aber jetzt hab ich ihn zurückgerufen, mitten auf der Straße, was ist, wenn ich die Vision vervollständigt habe, was, wenn ich jetzt Schuld daran bin, dass-"
„Du bist an überhaupt gar nichts schuld!", schnitt ich ihr das Wort so sanft wie möglich ab. Wenn überhaupt, dann war ich Schuld, schließlich hatte ich sie dazu aufgefordert, Trev zurückzurufen... Wenn es nun wirklich an ihrem Anruf gelegen hatte?
Noch mehr Schuldgefühle trugen jedenfalls ganz und gar nicht dazu bei, dass sie Vaya ihre Gefühle wieder entreißen würde. Trotzdem erleichterte es mich ein wenig, dass sie so aufgelöst war. Das bewies zumindest, dass doch noch einiges an ihrer Menschlichkeit vorhanden war. Die Angst um Trev war ihr jedenfalls deutlich ins Gesicht geschrieben.
Trev oder Vaya? Ich fragte mich, für wen Addie sich entscheiden würde. Den Einen liebte sie, dem Anderen gegenüber war sie loyal... Eigentlich konnte sie Trev ja gar nicht über Vaya stellen, aber um ehrlich zu sein, konnte ich es mir anders herum auch nicht vorstellen.
„Wir wissen nicht, was passiert ist", sagte ich. Aber ein gutes Gefühl hatte ich auch nicht. Trev ging nicht mehr an sein Telefon. Addie wollte unbedingt losfahren, um ihn zu finden. Aber wie hätte sie das anstellen sollen? Sie kannte die genaue Strecke nicht. Sie hatte trotz Vision keine Ahnung, auf welcher Straße Trev gefahren war.
Fährt, schoss es mir durch den Kopf. Er fährt. Denn es ist nichts passiert.
Sie setzte sich auf die Couch und stütze den Kopf in die Hände. Als ich heute Vormittag durch diese Türe gekommen war, hatte ich nicht damit gerechnet, Addie aufmuntern zu müssen. Eher hatte ich erwartet, wiederbelebt werden zu müssen.
Chase betrachtete Addie nachdenklich und bedeutete mir, hier zu bleiben, weil er jemanden anrufen wollte. Es war nicht schwer zu erraten, wen er anrufen wollte, wenn Addie in so schlechter Verfassung war, allerdings hatte Aidan die letzten Tage nicht wirklich auf Anrufe reagiert. Chase behauptete sogar, dass Aidan seine Nummer blockiert haben musste, denn es klingelte immer einmal und dann wurde er sofort in die Sprachbox umgeleitet.
„Ich hab kein gutes Gefühl...", wisperte Addie und spielte an ihrem silbernen Armband herum. „Das kann nicht passieren, sowas ist unfair. Das kann nicht sein. Wir sind doch immer noch zerstritten. Ich hab mich noch nicht entschuldigt..."
Ich setzte mich neben sie. „Aber das wirst du." Nicht einmal ich glaubte mir das. Aber das war auch nicht wichtig. Addie musste es glauben. Wenn auch nur für einen Moment. „Trev hat schon einmal eine deiner Visionen überlebt", erinnerte ich, ein bisschen überzeugender.
„Und warum sollte er so viel Glück haben, sie ein zweites Mal zu überstehen?" Ich hatte das Gefühl, als kämpfe sie eher darum, ihre Angst um Trev zu behalten, als sie loszuwerden, um Vaya in diesem einen Punkt nicht gewinnen zu lassen. Ich wollte gar nicht wissen, wie es in ihrem Kopf aussah, denn ich konnte mich nur zu gut an die Dominanzkämpfe erinnern, denen ich den ersten Jahren ausgesetzt gewesen war. Und immer hatte Dentalion gewonnen.
Mitfühlend strich ich Addie über den Rücken. Ich war die schlechteste Trösterin der Welt, vermutlich, weil ich der Pessimismus in Person war. Oder vielleicht lag es daran, dass ich schon vor Jahren gelernt hatte, dass einem das Leben nichts schuldete.
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Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...