Aidan
Wenn ich an Texas dachte, dachte ich immer noch an Cowboys und Rodeo. Seltener an die Großstädte wie Austin, Dallas oder Houston. Ich dachte nicht an weite Grünflächen, hohe Gebäude und blaue Flüsse und Seen, nein, ich dachte an wüstengleiche Gegenden, mit heruntergekommenen, kleinen Häusern. Und so ein Ort war genau das Ziel, das wir seit Stunden anstrebten.
Widererwarten hatte Fabiana doch gestern Nachmittag nach ihrer Arbeit angerufen. Wir waren am späten Abend losgefahren, um rechtzeitig hier in Texas anzukommen. Die Fahrt von Fresno bis nach Terlingua dauerte fast einen Tag. Dieser kleine Mini-Ort, mit vielleicht sechzig Einwohnern (von denen Fabiana's Familie bestimmt die Hälfte ausmachte) war nicht mein Lieblingsplatz auf dieser Welt. Wenigstens war es ruhig. Nur war es leider vom Rest der Welt so sehr abgeschnitten, dass ich mich immer wie in einem apokalyptischen Film fühlte. Er war sogar so leer und einsam, dass man schon fast das Gefühl hätte haben können, die Regierung verstecke hier Atomwaffen.
Fabiana liebte diese kleinen Roadtrips durch die endlosen Wüsten von Texas und ich hatte gehofft, dass sie mir so vielleicht schneller verzeihen würde. Nur hatten wir nicht wirklich viel gesprochen, weshalb ich annahm, dass sie noch nicht ganz über gestern Vormittag hinweg war... Ich war die ersten fünf Stunden gefahren, dann hatte sie mich abgelöst und heute Morgen hatten wir wieder getauscht.
Jetzt stand ich am Verkaufstresen einer Tankstelle und sah dem älteren Kassierer dabei zu, wie er die Preise der Flaschen Wasser, der Chipstüte und der Schokoriegel zusammenrechnete.
Ich sah aus dem Fenster nach draußen auf den Parkplatz. Fabiana wartete am Wagen. Mit verschränkten Armen stand sie an die Motorhaube gelehnt und sah verträumt in die Ferne. Sie war nicht mehr wirklich wütend auf mich -war sie nie gewesen- und ich hasste es. Sie war eher enttäuscht. Und selbst wenn sie wütend gewesen wäre -sie konnte nicht lange sauer auf jemanden sein. Das war ihre beste und schlimmste Charaktereigenschaft, je nach dem. In diesem Fall war es wohl eher eine Schlechte, auch wenn ich gut dabei wegkam. Ich wusste, dass ich es verdient gehabt hätte, wenn sie mich längere Zeit ignoriert, oder zumindest hätte spüren lassen, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Und wenn dieser Fehler aus ihrer Sicht nur daraus bestanden hätte, ihr Sorgen zu bereiten. Sie hätte sich in der Hinsicht Tipps von meiner Schwester holen können. Addie war Spezialistin im Aus-einer-Mücke-einen-Elefanten-machen. Außerdem hatte sie über die Jahre ihre Techniken, was das Ignorieren und Todesblicke-zuwerfen anging, verbessert.
Ich sah Fabiana an, dass sie sich in dieser Umgebung wohlfühlte. Die weiten Landschaften, der warme Wind, die brennende Sonne, die Abgeschiedenheit. Die Freiheit. Das war einer der Gründe, warum ich ihre Entscheidung, in Fresno zu bleiben, nicht nachvollziehen konnte. Sie hätte nach ihren Krankenhausaufenthalten hier her zurückkommen können. Vielleicht wäre sie hier sogar glücklicher gewesen. Sie war kein Stadtmensch. Umringt von Häusern fühlte sie sich monoton, grau und eingeengt. Etwa so, wie ich mich die Monate nach Beverly's Tod gefühlt hatte. Ich hatte dieses Gefühl seit ein paar Tagen nicht mehr. Seit zwei um genau zu sein. Ein bisschen vermisste ich es.
Fabiana drehte sich nur kurz um, als ich wieder aus dem Laden kam und auf das Auto zu steuerte. Die Haare hatte sie hochgebunden, weil der Wind ziemlich stark war. Ich legte die Snacks und das Wasser auf die Rückbank und sie wollte einsteigen.
„Ich habe gelogen", sagte ich, bevor ich die Worte hätte zurückhalten können, und Fabiana hielt in der Bewegung inne. Den ganzen gestrigen Tag und die ganze Autofahrt über, hatte ich gewusst, dass es so viel leichter sein würde, wenn ich ihr einfach die Wahrheit sagen würde. Wenn auch etwas abgewandelt. Sie sah mich erwartungsvoll an und schloss die Autotüre wieder, ohne eingestiegen zu sein. Ich spielte unruhig mit dem Schlüssel in meinen Händen.
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Cursed Boy (Band 2)
Paranormal„Wie soll ich sie vergessen, wenn ich ständig daran erinnert werde, dass ich sie vergessen soll?" *** Wann ist ein guter Zeitpunkt, um eine geliebte Person gehen zu lassen? Das fragt sich auch Aidan, als er, selbst nach vielen Monaten, Beverly nicht...