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Beverly 

Ich zitterte am ganzen Körper. Schauer durchzuckten mich als stünde ich im schlimmsten Schneesturm. Etwas drückte gegen meinen Hals und verursachte einen Brechreiz. Mein Herz raste. Ich konnte nicht richtig atmen. Als wäre nicht genug Sauerstoff im Raum. Und je mehr Luft ich einzuatmen versuchte, desto größer wurden die schwarzen Punkte, die vor meinen Augen tanzten. Tränen kullerten dick und schwer über meine Wangen und gaben damit das Startsignal für meinen psychischen Zusammenbruch.

Wunderbar.

Sich plötzlich an jedes Detail meiner Entführung erinnern zu können, war mehr als schmerzhaft. Es gibt kein Wort, das die ekelhaften Gefühle beschreiben könnte, die an meiner Haut klebten und die ich am liebsten mit einem Messer runtergeschabt hätte. Bilder, Gedanken und Erinnerungen fluteten mein Gehirn. Es war vergleichbar mit dem plötzlichen fangen eines Wortes, nach dem man seit Stunden gesucht hat.

Mit dem Unterschied, dass ich mich am liebsten sofort aus dem Fenster gestürzt hätte.

Mit aller Kraft versuchte ich, nicht an das zu denken, was damals passiert war, aber ich konnte höchstens einen Bruchteil hinter den Trümmern der Mauer begraben halten, und die würden auch nicht ewig verschüttet bleiben.

Am liebsten wäre ich weggelaufen. Ich weinte nicht vor anderen Leuten. Das hatte ich noch nie getan. Gut, okay, abgesehen von dem einen Mal, in dem ich im Krankenhaus an Chase' Schulter geweint hatte. Aber das war das erste Mal gewesen. Ich wollte nicht, dass andere meine verletzliche Seite sahen. Ich wollte nicht, dass sie mich so kaputt sahen.

Und schon gar nicht wollte ich, dass Aidan mich so sah. Aber ich hätte es niemals geschafft, aufzustehen und einen filmreifen, dramatischen Abgang hinzulegen, wenn sogar atmen anstrengend war und schmerzte. Also blieb ich am Kopfende des Bettes sitzen und kauerte in der bitteren Realität vor mich hin.

Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt?

Ich wusste nicht einmal genau, was die Wand zum Brechen gebracht hatte. Alles war gut gewesen. Ich hatte mich gut gefühlt. Aber irgendetwas, vielleicht eine einzige Berührung, ein Atemzug oder Kuss war zu viel gewesen.

Und jetzt hing ich zitternd und nach Luft ringend in einer Panikattacke fest. Während ich versuchte, meine immer wieder neu aufschäumende Panik zurückzudrängen, versuchte ich gleichzeitig zu ignorieren, dass Aidan sich vermutlich fragte, mit was für einer Irren er es hier zu tun hatte. Der Gedanke daran trieb mir lediglich noch mehr Tränen in die Augen.

Hör auf, zu heulen! Beruhig dich, verstanden? Atme ruhig, sonst wirst du noch ohnmächtig! Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei-

Aber der Gedanke ans Zählen und warum ich immer bis vier zählte, machten es lediglich schlimmer, deshalb ließ ich es sein. Um vier Uhr nachmittags hatte mein Entführer immer das Haus verlassen und ich hatte mich sicher gefühlt. Bis zum heutigen Tag war die Zahl vier irgendwie ein Rettungsring gewesen, wenn ich eine Panikattacke bekommen hatte.

Nur heute nicht und es war mir unmöglich, mich nicht weiter hineinzusteigern. Die Bilder kamen und gingen wie sie wollten, und ich schluchzte und rang nach Luft und versuchte das Bewusstsein zu behalten.

Hör auf damit, du machst dich lächerlich!

Dummerweise hörte ich die abfällige Stimme meiner Schwester in meinem Kopf, und die trug ganz und gar nicht dazu bei, dass ich mich beruhigte.

Ich wollte Aidan sagen, dass er gehen sollte, ich hielt es nicht aus, ihn hier zu haben und mich so zu sehen. Die ungute Mischung von Panik, Scham und Verzweiflung erfüllte meinen Körper.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt