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Beverly

Etwas tat weh.

Ich wusste nicht, was wehtat, aber etwas schmerzte plötzlich tief in mir. Am liebsten hätte ich nach einem Küchenmesser gegriffen und versucht, diesen Schmerz aus meiner Brust herauszuschneiden, aber ich wusste, dass er so tief saß, dass kein Messer und kein Skalpell dieser Welt ihn erreicht hätte.

Felicity sah mich erwartungsvoll an. Bestimmt war sie darauf vorbereitet, dass ich sie als Lügnerin abstempeln würde. Bestimmt hatte sie Beweise vorbereitet. Bestimmt dachte sie, dass ich verleugnen würde, was sie eben gesagt hatte. Aber statt den Worten Du lügst, verließen zwei andere meinen Mund.

„Ich weiß", krächzte ich und nickte langsam. Felicity zog die Stirn in Falten und auch Aidan sah mich an, als wollte ich ihm weismachen, die Summe aller positiven Zahlen sei negativ.

„Du weißt das?" Felicity's sonst so gefasste, freche Art schien wie weggeblasen. Ich konnte mein Herz beinahe hören. Es klopfte langsam, aber kräftig. Es pochte bis hinauf in meine Ohren.

„Nein...", sagte ich. „Und ja." Ich musste mich setzen. Langsam bewegte ich mich auf die Couch zu und ließ mich auf ihr nieder.

„Woher weißt du das?", drängte Felicity. Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich wusste ich es nicht wirklich. Bevor sie die Worte ausgesprochen hatte, hatte ich nicht einen Gedanken daran verschwendet. Aber in der Sekunde, in der sie mir eröffnet hatte, dass ich eine Brooklynn Hexe war, hatte sich etwas in mir aufgetan. Es war beinahe wie eine lang vergessene Erinnerung gewesen. Plötzlich schien alles so klar.

Die dritte Schicht, schoss es mir durch den Kopf. Damals, als ich die Gedanken anderer noch hatte hören können, hatte ich diese in drei Schichten unterteilt. Die dritte war die tiefliegendste. Jene, in der sich vergessenes Zeug befand, an das man sich kaum oder gar nicht erinnern konnte. Es war ein seltsames Gefühl. Wie eine Kindheitserinnerung, bei der man nicht sicher weiß, ob sie wirklich so stattgefunden hat.

„Warum hast du früher nichts gesagt?", fragte ich tonlos und starrte vor mich hin. Stand ich unter Schock? Bestimmt. Ich zitterte. Aber vielleicht lag es daran, dass es hier drinnen immer kalt war.

„Weil du mir früher nicht geglaubt hättest", entgegnete Felicity schlicht. „Ich bin ohnehin überrascht, dass du es tust. Aber hätte ich dir früher davon erzählt, hättest du es auch nicht verstanden." Ich verstand auch jetzt nicht. „Ich wollte es dir in Modoc sagen, aber du hattest Angst vor Hexen." Die Adern an meinen Schläfen pulsierten. „Mit Iona's Tagebuch hab ich versucht, dir unsere Welt ein bisschen näher zu bringen. Besser gesagt, dir zu zeigen, dass wir gar nicht so anders sind als normale Menschen." Felicity klang verunsicherter als sonst.

„Nicht so anders." Mir kam es so vor, als wäre die Hexengesellschaft abgeschottet von normalen Menschen. Das konnte aber auch daran liegen, dass Iona aus einem anderen Zeitalter stammte. Mit einer Hand massierte ich meine Schläfen, in der Hoffnung, das schmerzende Pulsieren zu stoppen.

Obwohl ich verstand, dass Felicity meine Schwester war und ich einer uralten Hexenfamilie angehörte, verstand ich den Rest kein bisschen. Und ich konnte ihn mir auch nicht anhören oder erklären lassen. Nicht von ihr. Nicht jetzt.

„Raus", sagte ich daher lediglich. Das Mädchen, das eben meine Welt zerstört hatte, konnte ich im Moment nicht ansehen, aber ich wollte, dass es verschwand.

„Du willst, dass ich gehe?" Felicity schien immer verunsicherter.

„Ja. Wenn du die Wahrheit sagst: Verschwinde!"

Es dauerte noch einige Sekunden, aber dann bewegte sie sich zur Türe. „Na, schön. Aber du bist mich damit nicht los." Anderes hatte ich nicht erwartet, aber ich musste erst einmal verdauen, was ich gerade erfahren hatte. Außerdem saß mir der Schreck, von dem Gedanken eines Einbrechers, immer noch in den Knochen.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt