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Beverly

Klick. Klick. Klick. Klick.

Ich hätte Addie umbringen können.

Das regelmäßige Geklackte des Kugelschreibers, auf dem sie herumdrückte, während sie sich auf dem Bürostuhl hin und her drehte und auf einen unsichtbaren Punkt starrte, machte mich aggressiv. Aber ich ließ sie weiter machen.

Vielleicht machte sie das kratzige Geräusch, das ich mit meinem Bleistift auf dem Papier verursachte, auch wahnsinnig. Aber vielleicht sagte auch sie nichts, weil sie wusste, dass es mir half, nicht durchzudrehen. Ich hatte so lange nicht mehr gezeichnet, dass es sich einerseits gut anfühlte, andererseits glaubte ich, das Zeichnen irgendwie verlernt zu haben. War das überhaupt möglich? Ich hatte immer gedacht, Zeichnen sei wie Radfahren, aber seit ich zu zeichnen begonnen hatte, hatte ich auch noch nie eine neunmonatige Pause davon genommen, sondern war fast ausnahmslos jeden Tag vor einem Blatt Papier gesessen.

Addie hatte sich vor ein paar Stunden mit Mitch gestritten, der fand, dass sein Bruder wissen sollte, dass es so schlecht um seinen Sohn stand, Addie hingegen meinte, dass Trev nie und nimmer wollen würde, dass sein Vater von seinem Zustand erfuhr. Aidan hatte sich nicht mehr blicken lassen, Fabiana zum Glück auch nicht, und Chase war irgendwo im Krankenhaus mit Trish unterwegs, die vor ein paar Minuten wieder hergekommen war. Vielleicht gönnten sie sich ein paar Schuldstündchen.

Immer mal wieder betrachtete ich Addie über den Rand meiner Zeichnung hinweg, weil ich fürchtete, sie würde gleich den Verstand verlieren. Irgendwann beschloss ich, nachzufragen.

„Geht es dir gut?"

„Ich hätte es ihm sagen sollen", erwiderte sie, wie aus der Pistole geschossen, als hätte sie nur darauf gewartet, dass ich etwas sagen würde. „Dass ich schwanger war."

„Du kannst die Vergangenheit aber nicht rückgängig machen." Ich legte die unfassbar schlechte Zeichnung, auf der ich nichts erkennen konnte, in die Mappe und legte diese beiseite. „Ich weiß, dass du dich schuldig fühlst. Aber du hast eine Entscheidung getroffen. Und sie war falsch. Und du würdest sie nicht wiederholen, oder?" Sie schüttelte den Kopf. „Na, also."

„Aber ich dachte damals, dass ich das Richtige tue... Wirklich." Bildete ich mir das nur ein, oder war das Grün in ihren traurigen Augen tatsächlich eine Spur dunkler als sonst?

„Das glaube ich dir..."

Sie seufzte. „Tja... Es sind nun einmal die Konsequenzen, die unsere Entscheidungen zu Fehlern machen." Toll, jetzt musste ich wieder an Aidan denken. „Aber im Leben geht es nur um die Menschen, denen wir als erstes die besten und schlechtesten Neuigkeiten erzählen wollen", flüsterte sie. Ich fragte mich, ob sie komplett verrückt, einfach nur naiv oder ein wahres Genie war. Und wo kamen plötzlich diese ganzen Lebensweisheiten her?

Und jetzt fühlte ich mich noch viel beschissener, weil sie recht hatte und ihre Worte mich abermals an Aidan erinnerten. Verdammt, wann war ich dem Liebeskummer so sehr verfallen, dass ich nur noch an ihn denken konnte und daran, dass ich am liebsten die Zeit zurückgedreht hätte? Es war fast so, als hätte das Verschwinden meines Dämons Aidan's und meine Empfindungen ausgetauscht. Ich fühlte mich doppelt so sehr zu ihm hingezogen, er sich hingegen offensichtlich kein bisschen mehr zu mir.

Chase hatte mich noch nie weinen sehen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt schon jemals vor jemandem geweint hatte. Und dass ich es ausgerechnet vor Chase getan hatte, störte mich unfassbar. Ich hatte versucht, meine Tränen vor ihm zu verstecken. Ich hatte meinen Kopf weggedreht und aus dem Fenster gesehen. Aber ich hatte mich nicht beruhigen können. Mit jedem Herzschlag waren diese kleinen Biester aus meinen Augen gekullert und erstickte Schluchzer waren immer wieder hervorgebrochen. Ich hatte angenommen, er würde Witze reißen, sich über die Situation lustig machen, oder versuchen, mich zum Lachen zu bringen.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt