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Beverly

Zu laut, zu laut, zu laut!

Quietschend ließ sich die alte Türe aufdrücken, und wir traten ins Innere der Kirche. Unsere Schritte hallten auf dem Boden wieder. Durch die hohen Fenster fiel sanftes Mondlicht, aber sonderlich viel konnte ich trotzdem nicht erkennen. Der angenehme Weihrauchgeruch erfüllte meine Nase. Früher hätte ich diesen wohl als schmerzhaft empfunden, aber seit Dentalion weg war, war vieles anders.

„Ist das der Moment, in dem einer von uns beiden wie bescheuert Hallo durch die Kirche schreit?", murmelte ich und tastete neben mich, bis ich Aidan's Hand zu fassen bekam.

Eigentlich mochte ich Kirchen. Als ich an Dentalion gebunden gewesen war, hatte ich mich nicht wirklich einer nähern können. Zwar war ich nicht gläubig, aber ich mochte die Atmosphäre und die Stille. Kirchen hatten etwas Hoheitliches an sich. Etwas, das mir immer wieder den Atem verschlug.

Normalerweise.

Denn in dieser Kirche verschlug mir etwas ganz Anderes den Atem. In dieser Kirche musste ich fürchten, jederzeit von einer Wahnsinnigen angesprungen zu werden, die mir mit einem Messer das Rückenmark durchtrennen würde. Mir fiel ein, dass wir Chase gar nicht Bescheid gegeben hatten. Das wäre durchaus von Vorteil gewesen. Aber so waren er und Trish wenigstens nicht in Gefahr.

Wir schoben uns langsam durch den Gang zwischen den Holzbänken hindurch, bis nach vorne zum Altar.

„Bist du sicher, dass Addie hier ist?", flüsterte ich.

„Ja, ich spüre Vaya. Oder das, was von ihm übrig geblieben ist." Verdammt. Ich hatte so sehr gehofft, dass sie uns nur einen makabren Streich gespielt hatte.

„Und Jo?"

„Keine Ahnung. Ihre Anwesenheit habe ich noch nie spüren können."

Ein lautes Geräusch ließ mich aufschrecken, und ich drückte mich instinktiv näher an Aidan heran, der sofort seinen Arm um meine Taille legte. Es hatte geklungen, als wäre etwas herunter gefallen, aber bei dem Hall war es unmöglich zu lokalisieren, wo genau das Geräusch herkam. Plötzlich vermisste ich die Fähigkeit, im Dunkeln sehen zu können.

„Gibt es hier noch einen Oberstock?", flüsterte Aidan und sah sich in der Schwärze um. „Ich glaube, das kam von oben." Dann zeigte er auf eine Türe, rechts von mir. „Da hinten."

Obwohl Addie bestimmt wusste, dass wir hier waren, schlichen wir so leise wie möglich zu der Stelle, an die Aidan gezeigt hatte. Ich öffnete die Türe und sanftes, oranges Licht, wie von einer Kerze, tränkte die Kirche und gab den Blick auf eine Holztreppe frei, die nach oben führte.

Noch hatte ich die Chance, Aidan's Angebot anzunehmen und umzukehren. Und jetzt, da ich tatsächlich da war, hatte ich auch gar keine Lust mehr, weiter zu gehen und die tapfere Heldin für ein Mädchen zu spielen, das Aidan gestalkt hatte. Es ging auch nicht darum, Aidan zu beweisen, dass ich tapfer war, denn er wusste, dass ich ein kleiner Hosenscheißer war. Das hatte ich bewiesen, als Felicity in mein Haus eingebrochen war.

Nein, es ging viel eher um meinen eigenen, beschissenen Stolz, den ich aufrechterhalten wollte. Sofern ich überhaupt noch einen besaß.

Trotzdem drückte Aidan sich an mir vorbei und bedeutete mir, hinter ihm zu bleiben. Langsam stiegen wir die Treppen nach oben.

Wie im Film, schoss es mir durch den Kopf.

Als ich gerade hoch genug gestiegen war, um auf den Dachboden schauen zu können, blieb ich wie versteinert stehen. Jetzt war ich vollends verwirrt. Aidan ging es bestimmt ähnlich, aber im Gegensatz zu mir, sah man es ihm nicht an und er ging die letzten paar Stufen hoch. Zögerlich folgte ich ihm.

Cursed Boy (Band 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt