zweiunddreißig

87 5 0
                                    

Nachdem Mikko die Empfangshalle verlassen hatte und auf dem Weg zu Samu war, beobachtete Lena die Menschen, die an ihr vorbeiliefen. Menschen, die scheinbar ihre Liebsten abholten und sie mit nach Hause nahmen. Menschen, die ihre Liebsten im Krankenhaus besuchten. Das machte sie aber alles nur noch trauriger. Es machte sie traurig, weil ihr das verwehrt wurde. Sie durfte nicht zu dem Menschen, der sich in ihr Herz geschlichen hatte mit seinem Verhalten. Ihr Blick schweifte weiter durch den Eingangsbereich und sie stoppte bei einem Pärchen, das scheinbar gerade auf dem Weg nach Hause war. Sie ertappte sich selber dabei, wie sie sich vorstellte, dass Samu und sie vielleicht auch einmal so durch Helsinki laufen würden. Arm in Arm. Verliebt. Unbeschwert. Doch kurz darauf wurden diese schönen Gedanken damit zerstört, dass ihr klar wurde, dass das vermutlich niemals so sein wird und außerdem wollte sie sich auch nirgendwo rein steigern. Letztlich war Samu noch ein Unbekannter und man müsste sehen, wohin sich das entwickeln würde. Ihr wurde jedoch klar, dass es niemals eine normale Beziehung sein würde. Die Presse hätte immer einen Anteil an ihrem Leben. Lena atmete tief durch. Das machte sie gerade nur noch trauriger und wie ferngesteuert verließ sie das Krankenhaus und machte sich mit einem Taxi auf den Weg weg vom Krankenhaus, weg von dem Ort, an dem Samu um sein Leben kämpfte. „Wo darf ich Sie denn hinbringen?", fragte der ältere Taxifahrer. Lena nannte ihm eine Adresse, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie dort überhaupt jemanden antreffen würde. Der Taxifahrer fuhr sie durch den morgendlichen Berufsverkehr und plötzlich hörte sie im Radio eine Stimme, die sofort wieder Tränen in die Augen trieb. „Home is where ever I am, I feel you with me. They'll never take that away. 'Cause you are home to me!" "Können Sie das Radio vielleicht ausschalten?", fragte sie den Taxifahrer mit tränenerstickter Stimme ohne ihren Blick von der Straße abzuwenden. Der Mann schaltete das Radio aus und stellte keine Fragen. Endlich hielt er an und sie waren am Ziel angekommen. „Danke!", murmelte sie beim Aussteigen.

Sie ging zu dem Hauseingang und klingelte. Zu ihrer Überraschung summte der Türöffner und sie lief den Weg nach oben. Als sie Riku in der Tür stehen sah, stürmte sie in seine Arme. „Gott sei Dank. Du bist wieder zu Hause." Riku drückte Lena fest an sich, denn er war froh, dass er seine Schwester endlich wiedersah. „Dir geht es gut, ich bin so erleichtert. Ich habe Dich und Samu versucht tausendmal zu erreichen. Was war denn los bei Euch und was hast Du überhaupt für Klamotten an?" Zusammen gingen die beiden in die Wohnung und setzten sich an den Küchentisch. „Samus Handy hat keinen Akku mehr und ich habe irgendwie nichts mehr auf die Reihe bekommen. Samu ist gestern auf dem Weg zu mir gestürzt und liegt jetzt auf der Intensivstation des Helsinki Hospitals." Riku starrte fassungslos Lena an. „Um Gottes Willen. Warst Du bei ihm?" Verzweifelt schüttelte Lena den Kopf. „Sie lassen mich nicht zu ihm, Riku. Ich will doch nur wissen, dass es ihm gut geht. Ich muss ihn sehen." Riku war mit dieser Situation überfordert und das merkte Lena. „Ich weiß, dass Du das vielleicht nicht verstehen kannst oder willst, aber irgendwas ist da zwischen uns. Ich kann es Dir nicht erklären, weil ich selber nicht weiß, was es ist." Nach diesen Worten stand Riku auf und umarmte Lena. Er drückte sie an sich, wie er sie noch nie an sich gedrückt hatte. Er merkte, dass es Lenas sehnlichster Wunsch war und dass scheinbar wirklich etwas zwischen seiner Schwester und seinem besten Freund in der Luft lag. So kannte er sie nämlich nicht. Das ganze Jahr über wollte sie nichts von Männern wissen und nach jedem Date, zu dem er sie überredet hatte, wurde ihre schlechte Meinung über die Singlemänner Helsinkis bestärkt. „Es tut mir Leid, Lena. Ich habe überreagiert, ich hätte mich nicht einmischen dürfen. Ihr seid beide erwachsen."

Lena vergrub ihr Gesicht an der Brust ihres Bruders. Ihr liefen wieder die Tränen über die Wangen. Sie hatte das Gefühl, dass sie es gar nicht mehr kontrollieren konnte, die Tränen sammelten sich einfach immer in ihren Augen und dann konnte sie sie nicht mehr aufhalten. „Bitte Riku, ich muss zu ihm." Riku schaute in die verheulten Augen seiner Schwester. „Wo warst Du denn jetzt die ganze Zeit?" „Bei Mikko und gerade waren wir im Krankenhaus. Ich bin aber abgehauen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich musste da weg. Es hat mir das Herz zerrissen so nah bei Samu und doch so weit weg zu sein." „Mikko weiß nicht, dass Du hier bist. Der dreht jetzt bestimmt komplett durch. Ich rufe ihn kurz an, okay? Und dann schauen wir weiter." Riku rief Mikko an, der bereits komplett verzweifelt die Eingangshalle und den Park am Krankenhaus absuchte. „Riku? Ich habe gerade keine Zeit.", meldete sich Mikko gestresst. „Lena ist bei mir, falls Du gerade nach ihr suchen solltest." „Wie bei Dir?", erwiderte Mikko. „Woher kennt sie dich denn?" Riku seufzte. „Das ist eine lange Geschichte. Warst Du bei Samu?" „Klärst Du mich bitte mal auf, was hier los ist?" „Nicht am Telefon, es ist nicht der richtige Augenblick. Wie geht es Samu?" „Soweit ganz okay. Er liegt im künstlichen Koma und wir müssen jetzt schauen, wie es weitergeht und ob es bleibende Schäden gibt." Mikko blieb gewohnt kontrolliert, aber innerlich zerrissen ihn diese Worte. Er wollte sich nicht vorstellen, was alles passieren könnte. „Bleibende Schäden?", hakte Riku nach. Als Lena diese Worte hörte, stand sie ruckartig wieder vom Küchentisch auf und rannte ins Bad. Ihr Magen meldete sich wieder und dass obwohl sie seit vorgestern nichts mehr gegessen hatte. „Mikko, kommst Du vielleicht einfach bei mir vorbei, damit wir über alles reden können? Ich muss mich um Lena kümmern." „Ja, mache ich. Bis gleich!"

#afterglowfeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt