achtundachtzig

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Lenas Innerstes kochte, am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ihren Vater vor die Tür gesetzt. Sie konnte es einfach nicht nachvollziehen, warum er so provokante und unangemessene Fragen stellt. Das Einzige, was sie davon abhielt, im Dreieck zu springen, war Samu, der sanft seine Hand auf ihren Oberschenkel gelegt hatte und die Ruhe in Person war. Lena konnte es sich zwar nicht erklären, wie er bei solchen Anschuldigungen, die haltlos waren, so in sich ruhen konnte, aber genau das kühlte auch ihre Gemütslage ein wenig herunter. Samu schaute abwechselnd Leo und Maria an, atmete einmal tief durch und stellte sich dann der Frage. „Ich weiß nicht, wie Sie sich das Tourleben vorstellen, Herr Meier? Ja, es gab Zeiten, wo wir wild gefeiert haben und nach den Auftritten in Clubs verschwunden sind und erst im Morgengrauen zurück zu den Bussen gekommen sind, aber diese Zeiten sind vorbei. Ich bin nicht die Person, die Sie sich unter dem Namen Samu Haber vorstellen. Ich habe mittlerweile so viel zu tun, neben den Auftritten, dass ich einfach nur froh bin, wenn ich abends in irgendeinem Bett liege und schlafen kann. Ich..." Komplett unerwartet grätschte plötzlich Lenas Mutter in das Gespräch. „Samu, Du musst hier niemandem Rechenschaft ablegen. Das ist Dein Leben und ich schätze Dich nicht so ein. Klar, ich will nicht abstreiten, dass ich zu Beginn ein wenig skeptisch und kritisch Eurer Beziehung gegenüber stand, aber wenn ich sehe, wie ihr beiden miteinander umgeht, dann geht mir das Herz auf. Ich bin einfach froh, dass Lena endlich den Mann gefunden hat, der ihr die Welt zu Füßen legt und da ist es mir ehrlich gesagt egal, was in Deiner Vergangenheit auf irgendwelchen Touren passiert ist." Auch wenn Maria versuchte es zu überspielen, nahm Lena sofort wahr, dass sie ihrem Vater unter dem Tisch einen Tritt verpasst hatte.

Auch Lenas Mutter war es mehr als unangenehm, dass Leo sich so vehement dagegen wehrte Samu auch nur den Hauch einer Chance zu geben, sich vorzustellen. Samu hingegen hatte sich vorgenommen das alles heute Abend so locker wie es nur irgendwie geht zu nehmen, auch wenn es ihn unendlich belastete, dass wieder einmal ein Mensch ihn auf das reduzierte, was irgendwelche Klatschblättchen in der Vergangenheit über ihn geschrieben hatten. Nach einem Moment der peinlichen Stille ergriff Samu das Wort. „Ich möchte wirklich nicht, dass das das einzige Thema hier heute Abend wird, denn ich wollte die Eltern meiner Freundin näher kennenlernen. Die Eltern, der Person, die mir mehr bedeutet als alles andere auf der Welt." Samu schaute die beiden erwartungsvoll an, er erhoffte sich irgendeine Reaktion. Maria lächelte ihn an, so wie sie es schon immer getan hatte. Klar, hatte Samu auch bei ihr ein paar Sorgenfalten ausgelöst, aber wenigstens gab sie sich Mühe ihn kennenzulernen, zu verstehen, wie er tickte, was ihn definierte. Leo hingegen trank einfach nur an seinem Wasser und schaute danach auf den immer noch leeren Teller. Er reagierte gar nicht und auch wenn er es vielleicht nicht wollte, sendete er dadurch eindeutige Signale. Samu stand auf und nahm das Fleisch aus dem Ofen. „Dann sollten wir vielleicht einfach Essen. Das Essen kann ja nichts dafür, dass hier so eine angespannte Stimmung herrscht." Das rutschte ihm einfach raus und sofort tat es ihm leid, dass er für einen kurzen Augenblick die Kontrolle über sich verloren hatte. Genau das würde Leo mit Sicherheit wieder als Schwäche definieren, als irgendetwas auslegen, was es gar nicht war. Zusammen mit Lena füllte er die Teller und stellte jedem seinen Teller auf den Tisch. „Darf ich Dir noch Wein anbieten, Maria?" „Gerne! Was hast Du denn da für einen Tropfen?" Samu erklärte ihr woher er den Wein hatte. Er hatte ihn damals schon in der Bar bestellt, in der Lena und Samu ihr erstes Date hatten.

Mit diesem Wein verbanden die beiden unglaublich viel, es war ihr Wein in gewisser Weise geworden. Sein Geschmack war die perfekte Mischung aus einer idealen Säure, die ein leichtes Prickeln hinterließ und einer dezenten Süße, die einen weichen und warmen Geschmack definierte. Maria probierte sofort einen Schluck und schien ihn zu genießen. „Wirklich eine gute Wahl, passt zu Euch!" Samu ging zu Leo und hielt ihm die Flasche hin. „Darf ich Ihnen auch etwas einschenken?" „Nein, Wein ist nichts für mich!", erwiderte Leo kühl und stocherte schon ein wenig im Essen herum. Wieder einmal trieb er alle Beteiligten an den Rand des Wahnsinns und dieses Mal ging es Lena zu weit. „PAPA!", erhob sie ihre Stimme. „Ich habe mir das ganze Theater hier jetzt lang genug angeguckt. Ich kann Deine Laune echt nicht länger ertragen. Entweder Du reißt Dich jetzt zusammen oder Du kannst gehen. Samu gibt sich wirklich Mühe und hat schon deine widerlichen Fragen beantwortet und was machst Du? Du behandelst ihn, als wäre er ein Schwerverbrecher. Jeder Mensch hat seine Vergangenheit, aber ist es nicht viel wichtiger, wie die Gegenwart sich gestaltet. Ist es Dir denn gar nichts wert, dass ich endlich wieder glücklich bin? Bedeutet es Dir gar nichts, dass ich den Mann gefunden habe, mit dem ich mir meine Träume erfüllen kann? Was bist Du nur für ein Mensch geworden? So kenne ich Dich gar nicht!" Samu stand wie angewurzelt neben Leo und hielt ihm immer noch die Flasche Wein hin. Maria faltete ihn diesem Moment ihre Serviette und rückte ihren Stuhl nach hinten.

„Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir gehen. Ich möchte nicht, dass es hier Streit gibt." Lena schaute ihre Mutter an und schüttelte ihren Kopf. „Nein, Mama! Ihr müsst nicht gehen, wenn dann muss Papa gehen." Ihr Blick wanderte zu ihrem Vater, der gerade aufstand. „Weißt Du was, macht doch was ihr wollt. Lena, ich will Dich einfach nur vor einem solchen Typen bewahren. Es tut mir Leid, aber ich glaube einfach nicht, dass das der Mann ist, der Dir die Welt zu Füßen legt und Dich auf Händen trägt. Und ich dachte ich hätte Dich so erzogen, dass selbst Du sowas bemerkst, aber scheinbar bin ich hier ja der Einzige, der nicht in einer rosaroten Traumwelt lebt. Ich verschwinde. Maria?" Fragend sah er seine Frau an, denn er erwartete, dass sie ihm den Rücken stärkte, dass sie aufstand und mit ihm ging. „Nein, Mama! Du bleibst!", versuchte Lena ihre Mutter davon abzuhalten. „Schatz, ich glaube es ist das Beste, sonst gibt es hier noch Verletzte. Mir tut es wirklich Leid." Maria stand vom Tisch auf, schob ihren Stuhl ran und schaute Samu an. „Lass Dir nichts einreden. Du bist ein wunderbarer Mann und ich habe meine Tochter lange nicht so glücklich und erfüllt gesehen." Sanft lächelnd legte sie ihre Arme um ihn und verabschiedete sich. Samu brachte kein Wort mehr raus, er war einfach nur geschockt und enttäuscht. „Wir finden den Weg raus. Danke für die Einladung." Mit einer Umarmung verabschiedete sie sich auf von Lena. „Es tut mir Leid, Kleine: Es tut mir wirklich von Herzen Leid, wie das heute abgelaufen ist."

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