siebenundneunzig

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Samu stand wie angewurzelt im Flur. Er brauchte ein paar Minuten ehe er überhaupt reagieren konnte, irgendwas machen konnte. Das alles fühlte sich gerade wie ein falscher Film an. „Ist das gerade wirklich passiert?", war die Frage, die ihm durch den Kopf schoss. Hilflos lief er von einem Zimmer ins andere. Er wusste absolut nicht, was er tun sollte. Sollte er Lena anrufen? Sollte er Lenas Vater anrufen? Ihre Mutter. In ihm herrschte eine absolute Leere. Die Gedanken schossen zwar durch seinen Kopf, aber mehr war da auch nicht. Keine Lösung, keine Idee, nichts was ihn zu einer Handlung trieb. Er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht einmal, ob Lena jetzt gerade Schluss gemacht hatte? Ob die Frau, die er über alles liebte, sich gerade von ihm getrennt hatte? Es war von einem Moment auf den anderen nichts mehr so wie es war. Samus Körper, Seele und Geist befanden sich in einem Schockzustand und er wusste absolut nicht, was mit ihm geschah, als er zum Telefon griff und Timo, einen guten Freund, anrief. „Hey Großer! Lange nichts mehr von Dir gehört. Was steht an?", begrüßte Timo ihn. Ohne auf die Frage zu antworten, erwiderte Samu: „Gehst Du heute Abend feiern?" „Ehm, ich hatte nichts geplant, wieso meinst Du?" „Ich muss mich ablenken, ich muss mir das Hirn wegballern, sonst wird mein Kopf noch explodieren" „Samu? Ist alles in Ordnung bei Dir?", entgegnete Timo. Auch wenn sich die beiden längere Zeit nicht gesehen hatten, verwunderte es Timo schon, wie Samu gerade drauf war. „Bei mir ist nichts in Ordnung! Und nein, bevor Du auf die Idee kommst, dass wir reden können, kein Interesse!" Das einzige, was Samu gerade wichtig war, war der Wunsch diesen Schmerz, diese Trauer, diese Wut und Enttäuschung und ja, auch den Hass gegenüber Lenas Vater, mit Alkohol zu ertränken. Er wollte nichts von dem spüren, er wollte sich einfach nur abschießen. „Okay, wir können heute Abend was machen. 20:00 Uhr bei mir und dann sehen wir, wo uns der Abend hintreibt?" „Ja, passt!" Ohne sich zu verabschieden, legte Samu auf.

Bis er zu Timo aufbrach, durchlebte er ein Wechselbad der Gefühle. Trauer, Wut, Enttäuschung, Hass, Selbstzweifel, Einsamkeit und vieles durchlebte er mal im schnellen, mal im langsamen Wechsel, mal länger, mal kürzer anhaltend, mal mehr und mal weniger intensiv. Und auch wenn er genau wusste, dass jeder ihm jetzt sagen würde, dass es wichtig ist, diese Gefühle zuzulassen, wollte er das nicht. Keins dieser Gefühle versuchte er an sich ranzulassen. Er wollte sich selber keine Schwäche eingestehen. Er wollte nicht weinen, er wollte nicht trauern, er wollte nicht schreien. Und wenn er eins in den letzten Jahren gelernt hatte, dann war es seine Fähigkeit Emotionen zu verstecken. Immer schön ein Lächeln aufsetzen, immer für die Kamera freundlich sein. Keiner würde ihm heute Abend anmerken, was für ein Wrack er in den letzten paar Stunden geworden war und wie gerne er einfach sich nur verkriechen wollten würde. Kurz nach 20:00 Uhr klingelte er dann bei Timo. Etwas verwundert schaute er einer hübschen Blondine in die Augen, die ihm die Tür aufmachte. „Hey, Du bist bestimmt Samu. Komm rein!", sagte sie und begrüßte ihn sofort mit einem Küsschen rechts, einem links. Das verwirrte ihn jetzt noch mehr, aber er war auch nicht in der Lage sich dagegen zu wehren. „Ja, genau! Ich bin Samu. Und Du bist...?" Noch beim Betreten der Wohnung checkte er die schöne Unbekannte ab. „Ich bin Svenja. Eine Freundin von Timo. Er sagte, dass ihr Jungs heute mal so richtig feiern wollt und hatte mich und meine Freundin gefragt, ob wir nicht Zeit und Lust hätten, Euch zu begleiten."

„Ah okay!", entgegnete Samu ihr. „Wenn Timo schnippst dann sind die Frauen natürlich direkt am Start." Und tatsächlich lachte er ein bisschen. Svenja nahm ihm seine Jacke ab. „Dann wollen wir mal sehen, wo uns der Abend heute hintreiben wird.", während sie das sagte, berührte sie kurz seinen Oberarm. „Das hängt vermutlich von der Menge an Alkohol ab!", sagte Samu. Die vier verstanden sich wirklich gut und die anfänglichen Bedenken, dass er vielleicht doch besser zu Hause hätte bleiben sollen, verflüchtigten sich bei Samu mit jedem Bier ein bisschen mehr. „So, ihr Lieben!", warf Nina plötzlich ein. „Wie sieht es aus? Gehen wir in einen Club oder bleibt es bei der Privatparty?" Samu winkte sofort ab. „Mich bekommen keine zehn Pferde in einem Club. Das könnt ihr vollkommen vergessen." „Ach ja?", schmunzelte Timo. „Ich erinnere mich da an so einige Abende, bei denen Du Dich nicht vom Club lösen konntest. Zugegebener Weise war da aber auch mehr Alkohol im Spiel. Ich hab das Gefühl Du bist noch nüchtern!" Samu stand auf. „Ihr könnt gerne noch Feiern gehen, aber dann mache ich mich auf den Weg nach Hause!" „Spinnst Du, Haber? Du kommst mit und wenn ich Dich an der Bar parke!", antwortete Timo sofort. Svenja schaute Samu mit ihren rehbraunen Augen an. „Du kannst mich doch wirklich nicht mit den zwei Spinnern alleine lassen. Ich wette mit Dir um 50 Euro, dass die noch auf dem Weg anfangen rumzuknutschen und dann bin ich das fünfte Rad am Wagen." „Jetzt schau mich doch nicht so an. Das zieht bei mir nicht!", sagte Samu. Timo und Nina zogen sich bereits ihre Jacken an. „So, hier Eure Jacken. Auf geht's. Wir fahren jetzt tanzen!" Samu hatte wirklich vor zu gehen, aber von einem auf den anderen Moment wurde ihm klar, dass er dann in eine leere Wohnung zurückmüsste. „Meinetwegen, aber wir machen nicht die Nacht durch. Aus diesem Alter bin ich nun wirklich raus!"


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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 15, 2019 ⏰

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