achtunddreißig

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Während Lena bereits Helsinki verlassen hatte, saßen Mikko und Riku immer noch auf der Intensivstation vor der Tür von Samus Zimmer. Eve hatte wirklich alles Ernst gemeint, denn mehrmals hatte einer von beiden an der Tür geklopft, aber immer wieder wies Eve sie ab. Sie wusste selber, dass es nicht richtig war, aber sie konnte nicht anders. Eine Schwester kam irgendwann mit einigen Papieren in der Hand an Mikko und Riku vorbei, ging in das Zimmer von Samu und kam ohne Papiere wieder heraus. Die Schwester hatte Eve ihren Brief gegeben, den für Samu hinterlegte sie jedoch im Schwesternzimmer, da sie mitbekommen hatte, dass Eve momentan ein wenig hilflos war und Samu von allem abschirmte. Eve öffnete den Umschlag, denn sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer ihr jetzt einen Brief schicken würde. Sie begann zu lesen... „Liebe Frau Haber, ich weiß, dass Sie diesen Brief vermutlich jetzt schon am liebsten zerreißen würden, denn Sie wollen nichts mit mir zu tun haben. Sie kennen mich nicht und ich bin die Person, die Ihrem Sohn das alles angetan hat. In Ihren Augen bin ich dafür verantwortlich, dass er nun in diesem Bett liegt. Und glauben Sie mir, mir fällt das alles auch nicht leicht, denn ich gebe mir selber Schuld an der ganzen Situation. Ich hoffe einfach, dass Sie den Brief noch nicht bei Seite gelegt haben, denn ich möchte Ihnen erklären, wer ich bin und wie es zu all dem hier gekommen ist. Ich heiße Lena Meier, bin 28 Jahre alt und Journalisten. Wie Riku Ihnen mittlerweile vermutlich schon erzählt hat, bin ich seine Halbschwester. Was Sie vermutlich viel mehr interessiert ist, wie ich Ihren Sohn kennengelernt habe. Nun ja, so genau kann ich Ihnen das gar nicht sagen, aber ich habe scheinbar durch meine, sagen wir einmal, ignorante Art beim Tourabschluss in Oulu sein Interesse geweckt. Ich wollte Riku endlich noch einmal auf der Bühne sehen und hatte mir ein Ticket besorgt, ohne ihm etwas davon zu sagen.

Mein Chef brummte wir damals aber noch einen Sonderauftrag auf und ich musste die Unterlagen bis abends fertig machen. Ich wollte das Konzert auf keinen Fall verpassen und entschied mich die Unterlagen dort fertigzustellen, am Handy. Und genau das hat Samus Aufmerksamkeit scheinbar erregt. Nach dem Konzert hatte ich noch einige Freunde in einer Kneipe getroffen und dort waren dann plötzlich die Jungs. Ich merkte, dass Samu mich die ganze Zeit beobachtete und als er kurz vor die Tür ging, habe ich all meinen Mut zusammengenommen und war ihm gefolgt. Man kann jetzt nicht davon sprechen, dass wir eine wirkliche Konversation geführt haben, aber Ihr Sohn hatte mich irgendwie beeindruckt, womit weiß ich bis heute nicht. Als ich die Kneipe verließ, bat ich die Besitzerin ihm meine Nummer auf einem Bierdeckel zuzustecken und wenn ich ehrlich bin, hatte ich niemals damit gerechnet, dass ich noch einmal etwas von ihm hören würde. Riku versuchte noch in der Nacht mir all das auszureden, aber es kam wie es kommen sollte. Samu meldete sich bei mir und wir verabredeten uns. Und ich muss sagen, dass ich nervös wie noch nie war, aber ab dem ersten Moment hat Samu mir ein gutes Gefühl gegeben, er hat sich für mich interessiert. Ich kannte nur den „Samu Haber" aus der Presse, aber er ist anders. Ihr Sohn ist einfühlsam, herzlich, humorvoll, ehrlich... ach, ich könnte diese Liste noch weiterführen. Als er mich am nächsten Morgen anrief und sagte, dass er mich sofort aus meiner Wohnung holen würde, konnte ich das alles nicht glauben. Er kannte mich nicht, aber er hätte alles getan, damit er wusste, dass es mir gut geht. Und genau das wollte ich auch: Ich wollte, dass es ihm gut geht. Ich habe ihn mehrere Stunden draußen gesucht und ich war so unfassbar verzweifelt, dass Mikko mich sogar bei sich aufgenommen hat. Ich habe mir seitdem ich von meinem Vater wusste, wo Samu ist, nichts mehr gewünscht, als ihn zu sehen.

Seine Hand zu nehmen und ihm zu sagen, dass alles gut wird. Ich war so kurz davor, aber Sie haben für Ihren Sohn entschieden und in Ihren Augen ist es wohl das Beste, wenn ich ihn nicht sehe. Mich zerreißt das innerlich und ich halte es einfach nicht mehr in Helsinki aus. Ich werde, wenn Sie diesen Brief lesen, bereits im Flugzeug sitzen. Ich hoffe, dass Sie diesen Brief immer noch lesen und ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Das ist keine Flucht vor etwas, ich halte es nur einfach nicht mehr aus so nah bei Samu zu sein, aber dann immer wieder gegen geschlossene Türen zu rennen. Ich brauche Zeit für mich, um mir darüber klar zu werden, was das zwischen Ihrem Sohn und mir ist. So wie ich für ihn empfinde, habe ich noch nie für jemanden empfunden. Aber ich weiß einfach nicht, ob das nicht alles zu schnell geht und ich mich in etwas verrenne. Wenn sich Samus Zustand verändert, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Riku oder Mikko Bescheid geben oder mir persönlich (+358 171 3945875). Und ich habe noch eine Bitte: Lassen Sie Riku bitte zu Samu. Ich hoffe, dass ich einige Ihrer Fragen beantworten konnte und ich hoffe auch, dass wir uns bald wiedersehen. Bis dahin verbleibe ich mit den besten Grüßen, Lena." Eve hatte den ganzen Brief gelesen und musste ab und an schlucken, denn das alles wollte sie nicht. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass Lena wirklich etwas für Samu empfindet, die beiden kannten sich schließlich gar nicht. Langsam stand sie von ihrem Stuhl auf und ging zur Tür. „Riku? Wusstest Du das Lena nach Berlin fliegt?", fragte sie ohne Riku richtig anzusehen. Riku zuckte zusammen, schaute Eve an und wusste ihm ersten Moment nicht was er sagen sollte. „Nach Berlin? Wann?"

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