vierundneunzig

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Riku versuchte den ganzen Nachmittag Samu ins Gewissen zu reden. Ihm aufzuzeigen, dass sein Plan wegzulaufen niemals aufgehen würde und dass damit absolut niemandem geholfen wäre.  Samu verabschiedete sich am frühen Abend von Riku. „Danke, dass Du Dir den ganzen Tag diesen Scheiß angehört hast. Ich brauchte glaube ich einfach jemanden, der mir mal seine Meinung zu all dem sagt. Ich weiß zwar jetzt immer noch nicht, was ich tun soll, aber..." „Das ist selbstverständlich, Samu. Und tu mir bitte einen Gefallen und überstürze nichts. Fahr jetzt bitte nicht nach Hause und packe Deine Sachen. Das hat Lena wirklich nicht verdient und ich glaube auch, dass ihr das den Boden unter den Füßen wegreißen würde." Mehr als ein Schulterzucken bekam Riku nicht als Reaktion. „Wir sehen uns die Tage, vermutlich..." Mit diesen Worten verließ Samu das Studio. Der Gedanken daran, dass er Lena in ein paar Stunden wiedersehen würde und mit ihr einen Abend verbringen wollte, verursachte ein mulmiges Gefühl in Samu. Er wusste einfach nicht, wie er der Frau gegenüber treten sollte, die er über alles liebte. Gerade konnte es keinem Recht machen: er verletzte sie, wenn er jetzt Hals über Kopf aus Helsinki abhauen würde, aber genauso verletzte er sie damit, dass er bleiben würde, weil dadurch das Verhältnis zu ihrem Vater mit Sicherheit nicht wieder aufblühen wollte. Es fühlte sich so unfassbar mies für ihn an. Er krallte sich geradezu in das Lenkrad und merkte gar nicht, wie er mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Stadt raste. Nach einiger Zeit hielt er vor seiner Wohnung an und er konnte sich überhaupt nicht mehr an die Strecke vom Studio bis dorthin erinnern. Seine Hände taten fast schon weh, weil er sich so intensiv in das Lenkrad gekrallt hatte. Langsam ging er hoch in seine Wohnung, es fühlte sich an als würde er in einem Film gerade gefangen sein.

Irgendwie erhoffte er sich nach einer Dusche wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, aber dem war fast erwarteter Weise nicht so. Diese Gedanken würde wohl niemals verschwinden bis eine Entscheidung gefallen war. Sein Herz hatte sich lange entschieden, er wollte Lena nicht verlieren, er wollte ihr nicht wehtun und abhauen. Doch sein Kopf schrie ihm fast schon entgegen, dass er sie so oder so verletzt. Und dieses Dilemma brachte ihn um den Verstand. Gedankenverloren stand er an der Glasfront in seinem Schlafzimmer. Das Beziehungsaus zu besiegeln fiel noch nie jemandem leicht und eigentlich gab es keinen Grund, was es noch viel schlimmer machte. Trotz tiefer Gefühle für Lena glaubte Samu in diesem Moment, dass er sich entschieden hatte. Eine so große Baustelle ließ sich nicht einfach so ignorieren. Obwohl Samus Herz schon lange „ja" zu Lena gesagt hatte, war das „nein" in seinem Kopf in den letzten Wochen wieder lauter geworden. Die Beziehung würde zu einer Belastungsprobe werden und täte beiden nicht mehr gut. Eine Trennung aus Liebe konnte manchmal die beste Entscheidung sein, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Das Klingeln an der Tür riss Samu aus seinen Gedanken. Nachdem er einen flüchtigen Blick auf die Uhr geworfen hatte, war ihm klar, dass das nicht Lena sein konnte und er staunte nicht schlecht, als er an der Tür sah, wer unten stand. „Guten Tag, Herr Haber!" „Hallo Herr Meier! Was kann ich für Sie tun?" Samu musste sich in diesem Moment so unwahrscheinlich zusammenreißen, dass er nicht sofort begann Leo die wildesten Schimpfworte an den Kopf zu schalten, denn aktuell war Lenas Vater für ihn ein rotes Tuch. „Ich würde gerne noch einmal mit Ihnen reden." Samu war eigentlich nicht bereit Lenas Vater erneut in seine vier Wände zu lassen.

„Was meinen Sie mit reden? Wollen Sie mir haltlose Vorwürfe machen, mir sagen, was ich für ein schlechter Mensch bin, wie sehr ich Ihre Tochter verletzte?" Leo schüttelte den Kopf. „Ich bin eigentlich hier, weil Maria..." Sofort unterbrach Samu ihn. „Ihre Frau hat sie geschickt? Sie sind nicht aus freien Stücken hier? Sie sind nicht selber auf die Idee gekommen, dass Sie sich vielleicht einmal anhören sollten, was ich zu sagen habe?" „Doch, ich habe nur... Also ich.. Maria hat mir ins Gewissen geredet und vielleicht hat Sie ja Recht, dass ich übertrieben habe." „Entschuldigen Sie, Herr Meier, aber dafür ist mir meine Zeit zu schade. Wenn Sie nicht selber merken, dass Sie gerade die Beziehung Ihrer Tochter durch so ein unangebrachtes Verhalten aufs Spiel setzen, dann können wir beide uns das Gespräch hier sparen. Ich bitte Sie einfach wieder zu gehen. Vielleicht war das die letzte Chance alles wieder ins richtige Licht zu rücken, alles wieder in Ordnung zu bringen, was Sie durch Ihre unglaublich ignorante Art zerstört haben. Ich hatte wirklich für einen Moment geglaubt, dass Sie mich kennenlernen möchten oder zumindest sich anhören wollten, was ich zu sagen habe. Da habe ich mich wohl erneut getäuscht. Sie sehen in mir eine Person, die ich nicht bin." „Herr Haber, ich möchte doch nur meine Tochter vor einem großen Fehler bewahren!" Als Leo diese Worte ausgesprochen hatte, merkte er erst, was er gerade gesagt hatte. „Also so meinte ich das nicht. Ich meinte..."

„Es ist mir sowas von egal, was Sie meinen. Sie sind dafür verantwortlich, dass ich aus Liebe zu Ihrer Tochter vielleicht einen Schritt gehe, der mir das Herz zerreißen wird. Aber zu Liebe gehört manchmal auch, dass man das Glück des anderen über sein eigenes stellt. Und, entschuldigen Sie die klaren Worte, Sie wissen offensichtlich nichts von Liebe. Sie sind ein so negativer Mensch und Sie merken gar nicht, wie Sie andere Menschen durch Ihre Aussagen tief verletzten. Ihnen einen schönen Abend!" Nach diesen Worten knallte Samu Leo die Tür vor der Nase zu. Leo stand für einen Moment wie angewurzelt vor der Tür, drehte sich dann um ging die Treppen herunter. Gedankenversunken lief er die Straße lang, bis ihn eine bekannte Stimme ansprach. „Papa?"

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