fünfundsiebzig

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„Hm, und so soll es auch bleiben." Er hatte keine Lust jetzt mit jemandem zu quatschen, aber die Dame ließ nicht locker. „Geteiltes Leid ist halbes Leid. Liebeskummer?" Sie zog einen Barhocker näher zu Samu und setzte sich zu ihm. „Hm.", murmelte Samu. Er starrte einfach nur auf das leere Pinchen vor sich. „Hey, ich bin Maria." Maria bestellte direkt zwei Jägermeister. „Was hast Du an meiner Aussage, dass ich alleine hier meine Schnäpse runterkippen will nicht verstanden?" „Weißt Du, ich saß schon so oft hier in dieser Bar und habe versucht mir mit hochprozentigen Getränken den Liebeskummer wegzutrinken und ich kann Dir sagen, dass es nicht funktioniert." Zum ersten Mal blickte Samu in Marias Augen. „Aber es betäubt ein bisschen und wenn der Wirt mit einfach den Jägermeister hier hinstellen würde, dann könnte ich auch vergessen." Maria lächelte ihn an. „Naja, hier ist zumindest schon einmal ein bisschen Nachschub." Vorsichtig schob Maria ein Pinchen zu Samu rüber. „Danke!" Beide kippten den Schnaps einfach runter. „Ich bin übrigens Samu. Was machst Du denn hier alleine?" „Freut mich. Meinem Vater gehört die Bar und ich habe ihm bei der Buchhaltung geholfen. Naja, und beim Rausgehen habe ich Dich hier so bedröppelt sitzen gesehen." Samu grinste und rollte mit den Augen. „Und da dachtest Du, dass ich Gesellschaft brauchen könnte?" „Ach keine Ahnung. Vielleicht will ich Dich einfach davor bewahren einen Fehler zu machen. Dir sieht man nämlich schon von Weitem an, dass Du Liebeskummer hast." „Vielleicht.." Samu zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt. Ich habe hier schon so oft gesessen, wenn ich verletzt wurde und ich kann Dir sicher sagen, dass es nur kurzzeitig Besserung bringt." „Du kennst mich nicht, Maria. Du weißt nicht, was meine Situation ist und trotzdem glaubst Du, dass Du mir Ratschläge geben kannst?" Maria griff über die Theke und krallte sich eine Flasche Jägermeister. „Vertrau mir einfach und komm mit."

Sie griff nach Samus Hand und zog ihn mit sich nach draußen. Sie zerrte Samu in einen Hinterhof und deutete auf eine Leiter hin, die an der Hauswand befestigt war. „Na los. Hoch mit Dir?" „Da hoch? Willst Du mich umbringen oder was?" Zögernd griff Samu nach der Leiter und kletterte hoch. Maria folgte ihm. Sie hatte ihn auf das Flachdach der Bar geführt, auf dem ein Strandkorb stand. Sie ließ sich in den Strandkorb fallen. „Willst Du jetzt stehen bleiben oder setzt Du Dich zu mir?" Was hatte Samu schon zu verlieren. Bevor er sich selber bis nahe an den Kontrollverlust betrinken würde, konnte er auch mit Maria in einem Strandkorb sitzen. Maria hielt ihm die Flasche Jägermeister hin. „Pinchen konnte ich jetzt nicht auch noch mitnehmen." Sie lächelte ihn an. „Und jetzt erzählst Du mir mal, warum Du gerade so leidest." „Maria, ich will Dir echt nicht zu nahe treten, aber ich kenne Dich nicht und Du mich auch nicht. Warum tust Du das? Warum setzt Du Dich mit mir hier oben hin und bietest mir an, dass ich Dir mein Herz ausschütten kann?" Maria schaute Samu an. „Weil ich das Gefühl habe, dass Du jemandem brauchst, der Dich nicht kennt. Du brauchst jemanden, der Deine Vergangenheit nicht kennt. Wir können natürlich auch einfach nur diese Flasche Schnaps leer trinken, aber wenn Du reden willst, dann bin ich hier und höre Dir zu. Und mir ist es wirklich egal, wer Du bist." „Ich glaube Dich schickt irgendwie der Himmel." Samu ließ seinen Blick einen Moment über die angrenzenden Häuserdächer schweifen, ehe er Maria erzählte, was er für einen Mist gebaut hatte. „Ja, und das ist meine Geschichte. Ich habe den Menschen weggestoßen von mir, der mir unendlich viel bedeutet und ich kann es nicht rückgängig machen. Ehrlicherweise weiß ich nicht, ob ich das überhaupt will. Nicht, weil ich Lena nicht wieder in die Arme schließen will, sondern weil ich das Gefühl habe, dass ich ihr niemals das bieten kann, was sie verdient. Ich bin ein emotionales Wrack." Lena hatte Samu die letzte halbe Stunde einfach nur zugehört ohne auch nur eine Sache zu hinterfragen oder zu kommentieren. „Du bist ein Idiot, Samu!" Maria begann einfach zu lachen und Samu schaute sie verdutzt an.

„Hast Du das, was Du mir gerade erzählt hast, jemals Deiner Lena gesagt? Ich bin mir sicher, dass Du das nicht getan hast." „Nein, natürlich nicht. Die Vergangenheit hat mir gezeigt, dass es im Nachhinein immer gegen mich verwendet wird, wenn ich mich zu sehr emotional an einen Menschen binde." Für einen Moment herrschte absolute Stille. Die Sonne war mittlerweile bereits untergegangen. „Und warum hast Du es dann so weit mit Lena kommen lassen? Was war anders?" „Diese Frau ist einfach wunderbar. Zu wunderbar. Ich will ihr nicht jedes Mal weh tun, wenn ich mich so verhalte, wie ich mich verhalten." „Ich glaube, dass Deine Freundin besser mit einem kleinen Fehlverhalten umgehen kann, als damit, dass Du jetzt einfach alles beendet hast nach ein paar Wochen." „Und was meinst Du soll ich jetzt machen? Lena geht verständlicherweise nicht mehr ans Handy, wenn ich sie anrufe." „Warum bist Du überhaupt hier? Warum bist Du nicht nach Hause geflogen? Warum?" „Weil ich ein Idiot bin, Maria. Weil ich ihr das, was ich Dir über sie gesagt habe niemals ins Gesicht sagen kann. Weil ich Angst vor der Reaktion der Menschen habe, die ich liebe, wenn ich ihnen alles sage." „Na endlich! Du liebst sie, sie liebt Dich. Merkst Du was?" Samu lächelte zum ersten Mal aufrichtig. „Auch wenn ich mich wiederhole: Du bist ein Engel! Bist Du mir böse, wenn ich jetzt verschwinde und nach einem Flug suche?" „Wenn wir uns den letzten Schluck aus dieser Flasche noch teilen, dann nicht!" Maria reichte Samu die Flasche. Samu nahm die Hälfte des letzten Schlucks dankend an und umarmte Maria. „Danke!" Daraufhin verabschiedeten sich die beiden. Samu machte sich schwankend auf den Weg zurück und fiel müde, aber erleichtert in sein Bett.

In Helsinki hatten sich die Dinge über Tag verändert. Lena war nicht auf der Arbeit erschienen, stattdessen hatte am frühen Abend Mats bei ihr geklingelt. Widerwillig war Lena aus dem Bett gekrochen, hatte die Tür geöffnet, weil Mats vermutlich eine Minute lang durchgeklingelt hatte. „Was willst Du hier?", fragte Lena als sie Mats vor ihrer Tür stehen sah. „Ich wollte schauen, wie es Dir geht. Taavi sagt, dass Du krank bist, aber das konnte ich nicht glauben. So lange wie ich Dich kenne, hast Du noch niemals wegen Krankheit auf der Arbeit oder in der Uni gefehlt. Es musste also was passiert sein." „Es ist nichts. Nichts, was Dich angehen würde!" Lena knallte die Tür zu, aber Mats hatte seinen Fuß schon in den Türrahmen gestellt. „Wenn es Dir schlecht geht, geht mich das sehr wohl etwas an. Wir sind schließlich Kollegen."


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