achtundvierzig

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Sie kniff die Augen zusammen, weil Samu ihr direkt ins Gesicht leuchtete. „Ja, ich bin es. Kannst Du bitte das Licht nicht so in mein Gesicht halten." Lena lächelte ihn an und Samu knipste die Lampe an seinem Bett an. Auch auf Samus Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab. „Du bist doch verrückt." „Ich kann auch wieder gehen.", witzelte Lena. „Auf keinen Fall. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dass Du da bist." Lena stand mittlerweile direkt neben Samus Bett, weil sie sonst keine Chance hatte ihn zu verstehen. Es fühlte sich irgendwie alles zugleich richtig und falsch an. Sie kam sich vor wie ein Teenager, der nachts von zu Hause verschwunden war, um seinen Schwarm zu sehen. So eine Seite kannte sie gar nicht von sich. Samu schaute Lena an, die sich ein wenig im Zimmer umsah. Plötzlich trafen sich ihre Blicke. „Wie ich diese schönen braunen Augen vermisst habe.", murmelte Samu. Er erwischte sich selbst dabei, wie er Lena schon fast anstarrte. „Willst Du jetzt die ganze Zeit hier stehen bleiben?", fragte er und rutschte ein Stück zur Seite. „Ich bin nicht ansteckend, Du kannst Dich ruhig hier hinsetzen." Lena legte ihre Jacke beiseite und setzte sich zu Samu aufs Bett. Am liebsten hätte sie ihn einfach nur in den Arm genommen oder sich in den Arm nehmen lassen? Samus leise Stimme klang ganz anders, viel kratziger und nicht mehr so warm, wie sie sie in Erinnerung hatte, aber das lag vermutlich daran, dass er auch einige Tage nichts mehr gesagt hatte oder vielmehr nichts sagen konnte. „Wie geht es Dir? Hast Du Schmerzen?" Samu verschränkte seine Arme vor der Brust und sein Blick wurde ernster. Lena merkte, wie er sie musterte, aber versuchte nicht darauf zu reagieren. „Schmerzen habe ich nicht. Es ist glaube ich mehr mein Kopf, der mir das Leben zur Hölle macht. Niemand kann mir sagen, wann das hier wieder alles normal sein wird. Das macht mir gerade glaube ich mehr zu schaffen, als mir lieb ist."

Lena merkte, dass es Samu verdammt schwer fiel darüber zu sprechen, was er fühlte. Sie war sich unsicher, wie sie mit der Situation umzugehen hatte. War sie in einer Position ihm da Ratschläge zu geben? Müsste Samu nicht viel eher mit Menschen über seine Ängste und Sorgen sprechen, denen er vertraut, die er schon ewig kennt? Sie hatte einfach Angst, etwas Falsches zu sagen. „Das kommt schon alles wieder in Ordnung, Samu!" Auch wenn das Licht nicht besonders hell war, sah Lena nicht mehr diese Begeisterung, Leidenschaft und Lebensfreude in Samus Augen. Und auch wenn sie immer noch von diesem eisblau fasziniert war, waren es andere Gefühle, die jetzt transportiert wurden: Angst, Unsicherheit, Zweifel. Es herrschte eine schier endlose Zeit des Schweigens, die beiden schauten sich kaum noch an. Beide waren unsicher. Was war das gerade hier? Natürlich waren beide froh, dass sie sich wiedersehen konnten, aber Samu wollte auf der einen Seite Lena nicht belasten und Lena wollte Samu keine Ratschläge geben oder ihm in sein Leben reinreden. Plötzlich spürte Lena Samus Hand, die nach ihrer griff. „Du hast geschrieben, dass Du mich vermisst... Wie meintest Du das?". Lena merkte, wie das Blut sofort in ihre Wangen schoss und ihr wurde warm, nicht weil Samu ihre Hand genommen hatte, sondern weil sie keine Antwort darauf hatte, wie sie das gemeint hatte. Gerade war sie wirklich verdammt froh, dass das Licht den Raum nicht komplett erhellte. Lenas innere Stimme schrie sie fast schon an: „Sag es ihm! Sag ihm, dass er Dir nicht mehr aus dem Kopf geht! Sag es ihm, auch wenn er es schon im Brief gelesen hat!" Sie konnte es irgendwie nicht über die Lippen bringen und versuchte der Frage aus dem Weg zu gehen. „Hast Du meinen Brief etwa nicht bis zum Ende gelesen?" Instinktiv hatte sie ihre Finger mit denen von Samu gekreuzt, ohne wirklich darüber nachzudenken, was sie tat. Es tat so gut, seine Hand in ihrer zu spüren.

„Doch, habe ich, aber ich wollte es noch einmal von Dir hören." Lena schmunzelte. „Du bist doch verrückt. Jedes Wort, was ich geschrieben habe, habe ich so gemeint. Aber wenn Du unbedingt willst, kann ich Dir das auch alles noch einmal Auge in Auge sagen." Sie holte einmal tief Luft, sie wusste nicht, wie er es schaffte sie immer wieder um den Finger zu wickeln, aber irgendwie gefiel es ihr. „Ich dachte wirklich, dass Du so ein Aufreißer-Macho-Typ bist. Ich dachte, dass wir irgendwo essen gehen, Du das aber nur alibimäßig vorschiebst, um naja danach mit mir im Bett zu landen. Und wenn ich ehrlich bin, hatte mir dieser Gedanke gefallen. Aber Du hast mich überrascht mit Deiner liebevollen, aufmerksamen und ehrlichen Art. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass es Dir nur um Sex geht. Du hast Dich an diesem Abend irgendwie in mein Herz und in meine Gedanken geschlichen und offensichtlich bist Du bis heute noch nicht verschwunden. Ich meine das wirklich ernst, was ich geschrieben habe. Ich möchte Dich kennenlernen, aber ohne, dass jemand reinredet. Denn hätte ich mir reinreden lassen, dann hätte ich mich niemals mit Dir getroffen." Samu hörte Lena zu, auch wenn es ihm teilweise verdammt schwer fiel ihr zu folgen. Lena schaute ihn erwartungsvoll an. An das was sie gesagt hatte, konnte sie sich gar nicht mehr richtig erinnern, aber sie redete sich ein, dass es schon das Richtige gewesen sein muss. „Ich möchte das auch, Lena! Ich möchte, dass wir uns die Zeit nehmen und in Ruhe schauen, wo das hinführt. Ich weiß auch nicht, was Du mit mir gemacht hast, aber Du bist wirklich und das sage ich jetzt definitiv nicht einfach so, ein wunderbarer Mensch. Ich bin froh, dass Du wieder hier bist. Ich habe Dich auch vermisst, aber ein Teil von Dir war ja immer hier." Schüchtern löste er seine Hand aus ihrer und zog den Schal unter seinem Kopf hervor. Lena strahlte ihn an. „Du hast ihn als Kopfkissen benutzt?"


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