neunundfünfzig

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Samu schaute Lena noch nach bis er sie nicht mehr im Treppenhaus sehen konnte und die Haustür ins Schloss fiel. Mit einem Lächeln auf den Lippen lehnte er sich in der Küche gegen die Arbeitsplatte. Er schüttelte den Kopf, nicht weil er an dem, was letzte Nacht passiert war, zweifelte, sondern weil er ganz neue Seiten wieder an sich entdeckte. Verhalten, die er seit Jahren nicht mehr an sich erlebt hatte. Die letzten Jahre hatte er eine Mauer um sein Innerstes aufgebaut. Er hatte niemanden mehr an sich herangelassen, weil er einfach niemandem mehr vertraute. Zu oft wurde er enttäuscht, verletzt, hintergangen. Aber aus irgendeinem Grund hatte er bei Lena sofort ein gutes Gefühl gehabt. Und jetzt war es sowieso schon zu spät gewesen, denn sie wusste, wo er wohnte und sie wusste mit Sicherheit auch, dass da mehr als nur einmal Sex zwischen den beiden war. Seine Prinzipien hatte er bereits über Bord geworfen und wenn er tief in sich herein hörte, dann gefiel es ihm. Er trank den letzten Schluck Kaffee und schon erinnerte sein Handy ihn daran, dass er um zehn Uhr wieder im Krankenhaus zur Therapie sein musste. Lena war indes schon fast am Verlag angekommen und da sie davon ausging, dass Riku schon wach war, wählte sie seine Nummer. „Guten Morgen.", meldete sich Riku. „Hey, ich hoffe ich habe Dich nicht geweckt. Du sag mal, hast Du heute Abend Zeit, dass wir über all das einmal in Ruhe sprechen, was in den letzten Wochen passiert ist?" „Ich bin schon auf dem Weg ins Studio und da werde ich auch den ganzen Tag bleiben. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass es Sinn macht, wenn wir über Dich und Samu reden." Rikus Stimme klang kalt und abweisend. „Bitte Riku. Was ist denn dein Problem?" „Du willst doch sowieso nicht hören, was ich zu sagen habe. Also lassen wir es am besten einfach direkt bleiben. Das gleiche habe ich auch zu Samu gesagt und ihn gewarnt, dass er Dich ja nicht verletzen soll. Denn dann weiß ich wirklich nicht, was passiert!" Aus Rikus kalten Antworten waren ernste und bestimmende Worte geworden. „Riku, Du machst mir Angst. Was ist es denn, dass Du Deinem besten Freund nicht vertraust? Wäre es nicht mehr als fair, wenn Du mir das erzählen würdest?"

Riku seufzte genervt. „Du lässt sowieso nicht locker, aber ich werde es Dir sagen und wir reden nicht darüber. Ich möchte nicht darüber diskutieren, in Ordnung? Und schon mal gar nicht am Telefon!" „Hmmm. Also treffen wir uns heute Abend?" „Nein, ich hab keine Zeit. Wann machst Du Mittagspause? Ich werde vor dem Verlag auf Dich warten." „Halb eins, denke ich." „Ich werde da sein." Mit diesen Worten beendete Riku das Telefonat. Sofort versuchte Lena die Gedanken zu ordnen und den Worten von Riku irgendwie mehr Inhalt zu verleihen, aber es gelang ihr nicht. Gedankenverloren trottete sie an ihren Schreibtisch und schaltete ihren Laptop ein. Während der Laptop startete, lief sie gedankenverloren zur Kaffeemaschine, füllte ihre Tasse und setzte sich danach wieder an ihren Platz. Sie hatte über Nacht wieder mehrere Mails bekommen, die ihre Laune nicht gerade steigerten. Die Zeit bis zur Mittagspause verging im Schneckentempo und wirklich gearbeitete hatte sie bis dahin noch nicht. Irgendwie wusste sie mittlerweile gar nicht, ob sie überhaupt noch mit Riku sprechen wollte, aber da musste sie jetzt durch. Um kurz vor halb eins zog sich Lena die Jacke an, packte ihr Handy ein und ging nach unten. Riku wartete bereits vor der Tür in seinem Wagen. Lena sah ihn, ging zu seinem Wagen und stieg ein. „Hey!", auch wenn ihr gerade nicht nach Lächeln zu Mute war, lächelte sie ihren Bruder an. „Schnall Dich an. Wir haben ja nicht ewig Zeit.", motzte Riku Lena an. Sofort heulte der Motor auf und die beiden fuhren zu einem Park. „Lass uns ein paar Schritte gehen.", murmelte Riku. Die schlechte Laune von Riku hatte Lena die Sprache verschlagen. Stumm stieg sie aus dem Auto aus und schaute Riku einfach nur abwartend an. „Lena, schau mich nicht so an. Du wolltest das hier. Gib mir nicht jetzt schon für irgendwas die Schuld." „Sag mir doch einfach, was an DEINEM BESTEN FREUND so schlimm ist, dass Du glaubst, dass das zwischen uns nicht funktionieren kann." Ihre Betonung legte sie bewusst auf die Worte, die ausdrückten, dass Samu eigentlich für ihn wie ein Bruder war und er sich für ihn freuen sollte.

Die beiden gingen ein Stück und Riku ergriff das Wort. „Pass auf. Ich kenne Samu schon sehr lange und seit seiner Trennung von Vivi, naja... Er hat alle seine Gefühle über Bord geschmissen, er hat in seinem Innersten nichts als eine Leere geschaffen. Und Du, Du bist so emotional, so gefühlvoll. Er kann Dir niemals das geben, was Du von ihm erwartest." Lena blieb stehen und starrte Riku fassungslos an. Ihr fehlten wieder die Worte. „Er hat die letzten Jahre Frauen nur dafür benutzt um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Sobald eine mehr als nur ein paar Wochen mit ihm zusammen sein wollte, hat er sie fallen gelassen." „Ganz ehrlich Riku? Bist Du Dir sicher, dass Du auch nur irgendwas über Deinen besten Freund weißt? Ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, der mir das Gefühl gegeben hat, etwas Besonderes zu sein. Der letzte Mann mit dem ich so vertraut war, war Mats. Und weißt Du was, ich habe jetzt schon das Gefühl, dass ich mit Samu schon vertrauter bin, als ich es mit Dir jemals sein werde. Ich will mir Deine angeblich besorgten Worte nicht mehr anhören. Freu Dich doch einfach mal für Deine Schwester und Deinen besten Freund. Nur weil Du momentan niemanden hast, mit dem Du so etwas Ähnliches erlebst, wie ich es gerade mit Samu tue, musst Du wirklich das hier nicht schlecht reden. Ich habe wirklich mehr von Dir erwartet!" Lenas Stimme wurde lauter, aber nur deswegen, weil sie sich nicht anmerken lassen wollte, dass sich in ihrem Hals ein Kloß gebildet hatte. „Lena, bitte! Ich freue mich natürlich für Dich, aber..." Bevor Riku jetzt irgendwelche faulen Ausreden anbringen konnte, drehte sich Lena um und stiefelte zurück zum Auto. „Bring mich bitte einfach zurück zur Arbeit und wage es nicht, Dich auch nur noch einmal in das zwischen Samu und mir einzumischen." Kopfschüttelnd trottete Riku hinter Lena her, brachte sie zurück zur Arbeit. Sie stieg aus ohne sich zu verabschieden und verschwand im Inneren des Bürogebäudes. „FUCK!" Riku schlug mit beiden Händen auf sein Lenkrad und brauste dann in Richtung Studio zurück.

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