vierundsiebzig

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Es blieb natürlich nicht bei dem einen Bier. Man sah Samu eigentlich nur mit einem alkoholischen Getränk in der Hand. Riku bemerkte das und zog seinen besten Freund beiseite. „Was ist denn mit Dir heute los? Wie viel willst Du Dir denn noch hinter die Binde kippen?" Riku nahm Samu den Mojito aus der Hand. „Ist nicht viel eher die Frage: Was mit Dir los ist? Hast Du keine eigenen Probleme? Kein eigenes Leben, worum Du Dich kümmern kannst? Musst Du Dich immer um mich kümmern?" Trotzig riss Samu Riku das Glas wieder aus der Hand und nahm einen Schluck des Cocktails. „Ich will Dich einfach nur davor bewahren, dass Du wieder mal zu viel trinkst und mit irgendjemandem über etwas sprichst, was Du später bereust." „Aaaach, danke Herr Rajamaa. Danke für all das Gute, was Du für mich getan hast." „Samu?", Rikus Stimme wurde energischer und er packte Samu an den Schultern. „Was ist los mit Dir?" Samu wollte nicht mit Riku über irgendwas sprechen, weshalb er wütend seine Arme wegschlug und einfach nur weggehen wollte. Doch Riku hielt ihn erneut zurück. In seinem mehr als angetrunkenen Zustand hatte Samu sich nicht mehr richtig unter Kontrolle und drehte sich einfach nur weg, wobei sein Arm in Rikus Gesicht knallte. Sofort blutete Rikus Nase. „Oh man, es tut mir Leid. Das war nicht beabsichtigt. Geht es?" „Fick Dich, Samu! Du bist so ein unendlicher Vollidiot. Du hast aus all dem nichts gelernt. Ich will Dir helfen und Du... Was machst Du?" Er rannte Samu fast schon um, als er an ihm vorbei wollte. Diese Aktion hatte Riku den Rest gegeben. Das war zu viel, zu viel des Guten. Samu stand wie angewurzelt einfach auf der Stelle. Er stand einfach nur da. Einige Augenblicke später stand er bei Mikko. „Du Mikko. Ich verschwinde jetzt. Wartet morgen nicht auf mich, ich brauch noch ein paar Tage für mich. Ich muss mir über einiges im Klaren werden und manche Dinge für mich selber ins richtige Licht rücken." Mikko war komplett überfordert. „Ehm, was? Du bleibst noch hier? Warum? Was ist los mit Dir?"

Mit einer eindeutigen Geste gab Samu Mikko zu verstehen, dass er es ihm nicht erklären wollte und Samu verschwand dann von der Gala. Er lief einfach durch Madrid. Ziellos, planlos, orientierungslos, emotionslos. Nach mehreren Stunden war er dann endlich im Hotelzimmer, es war schon früher morgen und die Vögel zwitscherten. In seinem immer noch besoffenen Zustand schnappte er sich sein Handy und rief Lena an. „Guten Morgen, Spinner!", meldete sich Lena liebevoll. „Hey...", nuschelte Samu. „Wenn Du Dich heute nicht gemeldet hättest, hätte ich Riku angerufen. Was war denn gestern los? Ist alles okay bei Dir?" „Lena, es tut mir Leid. Ich... ich weiß nicht, was ich mit meinem Leben anfangen soll." Lena hörte ein Schluchzen, was sie nur noch mehr beunruhigte. „Bist Du betrunken?" „Ja, aber ich weiß, was ich tue. Es ist nicht der Alkohol, der aus mir spricht." Für einen Moment herrschte absolute Stille. Samu hörte Lenas nicht mehr ganz entspanntes Atmen. „Was ist denn los? Was ist passiert?", Lena bemühte sich Samu nicht das Gefühl zu geben, dass sie genervt von diesem Anruf war. „Es ist einfach alles scheiße. Ich dachte echt ich würde das hinbekommen. Aber gestern hat mich meine Vergangenheit einfach wieder eingeholt. Es tut mir Leid. Ich kann heute nicht nach Hause kommen." „Samu? Das ist nicht Dein Ernst, oder? Was kann denn schon so schlimmes passiert sein, dass Dich daran hindert nach Hause zu kommen. Ich habe Dir gesagt, dass wir immer über alles reden können. Jederzeit. Immer. Egal was es ist. Aber bitte komm nach Hause." Samu ließ sich rücklings auf das Bett fallen und atmete tief durch. „Ich habe einfach Angst, dass ich es verkacke. Wobei ich das vermutlich schon gemacht habe. Riku hatte wahrscheinlich Recht. Du hast jemand Besseren verdient. Jemanden, der Dich aufrichtig liebt. Jemanden, der Dich auf Händen trägt." Diese Worte waren zu viel für Lena. „Was willst Du mir gerade sagen, Samu? Versuchst Du gerade das zwischen uns zu beenden?"

Lena schrie fast schon ins Telefon. Es war keine Traurigkeit, sondern Wut. Sie war wütend, dass Samu ihr das gerade nicht einmal sagen konnte. Nicht einmal jetzt hatte er die Eier in der Hose nach Hause zu kommen und in Ruhe über alles zu sprechen. „Schrei mich bitte nicht an." „Weißt Du was, ich werde Dich nicht mehr anschreien. Ich werde meine Zeit nicht mehr mit Deinen Launen und Problemen verschwenden. Ich wollte das wirklich zwischen uns. Ich habe alles ernst gemeint, aber wenn Du es hinschmeißen willst, dann mach das. Komm aber nicht auf die Idee mir in ein paar Stunden wieder die Ohren vollzuheulen. Lösch am besten meine Nummer und melde Dich nie wieder. Du hast angerufen, um das zu beenden, was gerade zwischen uns erst angefangen hatte, aber bekommst es nicht hin. Ich übernehme es für Dich. Es ist vorbei, Samu! Leb Dein Leben und stoße alle Menschen weiter von Dir weg, die Dir helfen wollen." Lena legte einfach auf. Sie wollte nicht mehr mit ihm sprechen. Denn diese Worte waren gerade einfach aus ihr herausgeplatzt. Aber vielleicht war es gut so. Vielleicht musste es einfach mal gesagt werden. Lena hatte in den letzten Wochen jede Sekunde mit Samu genossen, aber trotzdem ihr eigenes Leben ein wenig zurück gestellt. Sie hatte sich kaum noch Zeit für sich genommen. Und trotzdem war jetzt ihr Herz zerbrochen und die Tränen kullerten nur so über ihre Wangen. Heute wollte sie nicht ins Büro, denn auch wenn es mit Mats eigentlich ganz gut klappte, war sie immer angespannt. Deshalb meldete sie sich bei Taavi krank für den Tag. Sie verkroch sich in ihrem Bett, mit Taschentüchern und einer Menge Schokolade. In Madrid war die Lage nicht besser. Samu starrte an die Decke. Innerlich war er leer. Er versuchte Lena nochmals anzurufen, aber wie nicht anders zu erwarten, drückte sie ihn weg.

Samu konnte fast schon spüren, wie er in seinem tiefsten Inneren die Mauern wieder hochzog, die Lena so mühsam und liebevoll zugleich eingerissen hatte. Mit jeder Sekunde kam ein Stein dazu und die Mauern wurden höher und unüberwindbarer als sie vorher jemals gewesen waren. Irgendwann fielen ihm die verheulten Augen zu und er schlief bis in die frühen Abendstunden seinen Rausch auf. Als er aufwachte, fühlte er sofort wieder diese Leere. Erneut versuchte er Lena zu erreichen, aber ohne Erfolg. Er schleppte sich ins Bad, stützte seine Arme auf das Waschbecken und starrte in sein Spiegelbild. Diese Person, die er dort sah, hasste er gerade so sehr. Er duschte sich, zog sich irgendetwas über, verließ das Hotel und ging zielstrebig in eine Bar, die er noch von damals kannte. An der Theke kippte er sich einige Jägermeister ohne mit der Wimper zu zucken herunter. „Na hübscher Mann. Auch alleine hier?", riss ihn plötzlich eine Stimme aus seinen Gedanken.

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