Kapitel 1

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Ich lief gerade ins Wohnzimmer als mir der Stapel Post ins Auge stach, der da auf dem Tisch lag. Da mein zweiter Name Ungeduld und mein dritter Neugier war, griff ich mir also die Umschläge und schaute sie durch. Der erste war schon so offensichtlich Werbung von einem nervigen Telefonanbieter, dass ich ihn gar nicht erst öffnete und sofort zerriss. Der zweite Brief kam von der Stadt Dortmund. Sofort fiel mir wieder ein, dass der nur von dem mobilen Fotostudio sein konnte, das mich vor einer Woche mit diesem wunderbaren roten Licht in der drießiger Zone fotografiert hatte. Auch dieser Umschlag hatte mit Sicherheit noch Zeit bis morgen, um geöffnet zu werden. Ich schmiss ihn also angewidert zurück auf den Tisch. Der letzte Umschlag aber zog mein Interesse auf sich. Es war ein weißer Umschlag auf dem in verschnörkelter Schrift mein Name stand.
"Muffin, wo steckst du denn? Wir müssen los.", brüllte mein bester Freund Dogan vom Flur. Trotzdem riss ich schnell noch den Umschlag auf und zog eine Karte heraus. Dick und fett stand Einladung darauf. Ich schlug die Karte auf und überflog den Text.
"Mensch Muffin, jetzt komm endlich, sonst kommen wir noch zu spät. Kathi wartet bestimmt schon unten." Dogan stellte sich neben mich und nahm mir die Karte aus der Hand. Er legte sie auf den Tisch, ehe er mich am Arm mit sich zog. Manno, war der mal wieder aufgeregt.
"Cookiemonster, nun chill doch mal. Wir werden schon noch rechtzeitig in der Uni sein. Ich strich noch einmal über meine Hose und schaute in den Flurspiegel. Meine kurzen Haare waren perfekt gestylt und auch das dezente Make-up war in Ordnung. Das smaragdgrüne Top passte perfekt zu meiner Augenfarbe. Ja, ich war mit meinem Anblick zufrieden als ich meine Ballerinas anzog. Dogan hielt mir die Jacke meines schwarzen Hosenanzugs gentlemanlike hin, so dass ich nur noch reinschlüpfen musste.
"So, und jetzt hopp." Schon wurde ich aus der Tür geschoben. Ich hatte echt Glück, dass er mich nicht gleich noch die Treppen hinunter schubste, damit es schneller ging. Kaum, dass wir die Haustür geöffnet hatten, hupte es auch schon. Ich schaute zu der G-Klasse, die vor der Tür parkte, als Dogan schon wieder die Autotür aufriss, damit ich einsteigen konnte.
"Wo ist denn mein kleiner Lieblingsneffe und wo ist Erik?" Ich schaute mich suchend im Auto um. So ein Blödsinn, als ob sich hier mal eben ein über 1,80 m großer Fussballer und ein 5 jähriger Stöpsel versteckten, ohne dass man sie sofort sehen würde. Ich zog enttäuscht eine Flappe.
"Hallo erst einmal, liebe Schwester. Ich freue mich auch unheimlich dich zu sehen.", begrüßte mich Kathi lachend und umarmte mich so gut es halt ging, wenn man auf dem Fahrer- und Beifahrersitz saß. Hinter mir hatte sich Dogan schon neben den Kindersitz gequetscht. "Die beiden kommen nach der Feier ins Restaurant. Sascha würde sich in der Uni ja nur zu Tode langweilen.", grinste mich meine Schwester an. Ehrlich gesagt würde sich nicht nur Sascha bei den Reden der Professoren langweilen. Mir würde es nicht anders gehen, aber da musste ich jetzt durch. Ich hatte das ganze Gelaber ja auch die letzten sechs Jahre überstanden.
Das Gesicht meiner Schwester fing plötzlich an zu strahlen. "Victoria Dorn, weißt du eigentlich wie stolz ich auf dich bin, dass wenigstens du deinen Master gemacht hast?" Ich schaute sie verwundert an. Bei genauerem Hinschauen sah ich, dass ihre Augen verdächtig glitzerten. Seit wann bitteschön neigte meine Schwester zu solchen Gefühlsausbrüchen?
"Das ist nur der Master in Sportwissenschaften und nicht der Friedensnobelpreis." Wir wollten hier mal nicht übertreiben.
"Ja, aber du bist wenigstens wirklich erfolgreich.", schniefte sie jetzt auch noch. Ach du heiliger Bimbam, wenn die jetzt schon so abdrehte, wollte ich gar nicht wissen, was nachher bei der Übergabe des Abschlußzeugnisses mit ihr abging. Ich schüttelte leicht meinen Kopf und drehte mich zu Dogan um, der auch nur mit den Schultern zuckte. Ich fragte mich wirklich, was mit meiner Schwester los war. Schließlich führte sie zusammem mit unserer Freundin Jasmin eine wirklich erfolgreiche Sport Consulting. Ich hatte dort die letzten Jahre als Bürokraft ein wenig zu meinem Studium dazu verdient. Außerdem war sie eine absolut tolle Mutter eines fünfjährigen Sohnes, der einfach nur perfekt war. Und auch Erik war mit ihr als Partnerin wohl mehr als glücklich. Scheinbar fraß es aber immer noch an ihr, dass sie ihr Studium wegen der Geburt von  Sascha hingeschmissen hatte. Aber mal ganz ehrlich, für so einen kleinen süßen Knopf hätte ich mein Studium auch zu gerne geopfert.
"Kathi, du bist wirklich erfolgreich. Ich muss jetzt erst einmal zeigen, was ich kann. Ein Abschluss alleine bedeutet noch gar nichts. Aber trotzdem wäre es toll, wenn du jetzt losfahren würdest. Sonst kommen wir wirklich noch zu spät."  Glücklicherweise startete sie ohne weitere Verzögerung den Motor und parkte aus.
"Kannst du dich eigentlich noch an Lucy erinnern?" Ich schaute wieder zu Kathi, die sich völlig auf den Verkehr konzentrierte.
"Du meinst die aus deiner Klasse? Mit der du nur immer abgehangen hast? Ward ihr nicht letztes Jahr zusammen auf Kreta?" Ich musste an den Urlaub denken und fing an zu grinsen. Oh man, hatten wir da abgefeiert. Das war ein richtiger Weiberurlaub gewesen.
"Genau die. Ich habe heute eine Einkadung von ihr bekommen. Ich werde also Ende Juni nach Berlin zur Hochzeit von Lucienne und Joshua fahren. Cookiemonster begleitest du mich?" Wieder drehte ich mich zu meinem besten Freund um.
"Ähm, naja, ähm.", stotterte er. Was gab es denn da zu stottern? Ein einfaches Ja oder Nein würde ja reichen. "Das wird schwierig, weil ich da eine Fortbildung habe und da kann ich nicht einfach fehlen. Die lässt sich auch nicht verschieben, weil die extra in die spielfreie Zeit gelegt wurde." Ups, da hatte ich ja noch gar nicht daran gedacht, dass Dogan da oft nicht so frei bekam. Und so wie er sich in seinen Job beim BVB reinhängte, war es kein Wunder, dass er es schon zum Leiter der Abteilung Spielbetrieb gebracht hatte. Wenn ich bedachte wie er neben seiner Ausbildung noch ein Fernstudium gemacht hatte. Das war echter Stress. Dafür hatte ich ihn echt bewundert. Für mich begann ja nun auch bald der sogenannte Ernst des Lebens. Ich musste aber erst ab Anfang Juli arbeiten, also konnte ich ohne Probleme zur Hochzeit meiner Freundin fahren. Dann würde ich Lucy halt antworten, dass ich ohne Begleitung kam. Mit Sicherheit setzte sie mir einen netten, absolut brauchbaren Tischherren zur Seite. Das würde schon lustig werden, da konnte ich mich auf sie verlassen. Außerdem freute ich mich schon darauf mal wieder nach Berlin zu kommen und mal wieder alles abzuklappern. Nicht, dass mir der Pott nicht gefiel. Das Ruhrgebiet hatte wirklich viel zu bieten, aber als Berlinerin genoss ich es schon meine alte Heimat mal wieder richtig zu durchforsten. Es war unglaublich wie schnell sich dort alles veränderte.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt