Kapitel 43

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"Los Jungs jetzt tretet mal ordentlich in die Pedale, das Essen wartet." Ich feuerte von hinten die Truppe an. Wie jeden Tag waren wir auch heute zum Trainingsplatz mit den Fahrrädern gefahren. Ich spielte mal wieder den Auskehrer hinten. Wenn man den Kerlen nicht immer Dampf machte, radelten sie wie ein paar alte Waschweiber nebeneinander her und waren nur am Quatschen. Ich schaute zum Himmel, der sich langsam zuzog. Naja, bis ins Hotel würde das Wetter garantiert noch halten. Ich trat also weiter in meine Pedale als ich auch schon jemand am Straßenrand stehen sah, der sein Fahrrad fasziniert anschaute und vor sich hin meckerte. Ach, was hatte MEIN PEDALHELD denn nun schon wieder? Geschickt sprang ich von meinem Rad ab und kam neben ihm zum Stehen.
"Diese verpisste Kette ist abgesprungen.", nölte er sofort los.
"Tja, so was passiert ab und zu bei einem Fahrrad. Wie wäre es mit reparieren?" Ich grinste ihn an und wartete, dass er jetzt mal loslegen würde. Stattdessen trat er nur wutentbrannt gegen das Bike.
"Sehe ich aus wie ein Fahrradmechaniker, oder was?" Man, der hatte ja eine Laune. Wahrscheinlich hatte er nicht den leisesten Schimmer, was zu tun war. Der konnte nur bei seinem Porsche den Zündschlüssel drehen.
"Soll ich das etwa machen?", grummelte ich ihn an. "Als ob du so etwas könntest.", kam die kackendreiste Antwort. Das war doch wohl nicht sein Errnst. Natürlich konnte ich das. Das konnte doch jedes Baby. Naja gut, das war jetzt übertrieben, aber jeder normal begabte Mensch mit zehn normal koordinierten Fingern. Ich schubste ihn also beiseite und stellte das Fahrrad auf Sattel und Lenker. Es dauerte keine fünf Minuten und die Kette saß wieder ordnungsgemäß an ihrem Platz. Ich schaute auf meine Hände, die genau wie meine Trainingsklamotten voll mit Schmiere waren. Na super, wahrscheinlich hatte ich den Scheiß auch noch im Gesicht. Egal, nach dem Essen gab es eine Dusche und dann war gut.
"So, der gnädige Herr." Ich verbeugte mich vor MISTER PROTZ wie ein Butler und hielt ihm das Fahrrad hin. Knurrig griff er es sich und stieg auf, um dann festzustellen, dass das Vorderrad eine ziemliche Acht hatte. Das war doch jetzt wohl nicht wahr, dass der Depp echt gezielt und erfolgreich ins Rad getreten hatte. Toll, so konnte er jedenfalls nicht ins Hotel fahren. Ich stieg also auch wieder von meinem Rad ab. Eigentlich sollte ich ihn für diese Dämlichkeit einfach seinem Schicksal überlassen, aber irgendwie hatte ich ja auch Verantwortung. Dann würden wir halt die drei Kilometer ins Hotel laufen.
"Was machst du?" Der war ja lustig.
"Na, nach was sieht es denn wohl aus? Ich schiebe mein Rad und laufe mit dir ins Hotel bevor du dich auch noch zerlegst. Oder soll ich dich auf mein Stängchen nehmen?"
"Naja, wenn sollte ich dich ja wohl eher auf's Stängchen nehmen. Wäre ja wohl einfacher." Das hatte der jetzt nicht gerade gesagt. Ich schaute ihn wütend an, während er mich unschuldig anlächelte. So ein Mistkerl.
"Sag' mal bei deiner Anmache rennen doch alle Frauen schreiend weg."
"Was für eine Anmache?" Ich wurde von blauen Augen angefunkelt. "Ich habe doch lediglich gesagt, dass es besser wäre, wenn ich das Fahrrad fahre und du auf der Stange sitzt. Außerdem freuen sich normale Frauen, wenn ich ihnen meine Aufmerksamkeit schenke und rennen garantiert nicht weg sondern mir nach."
Ich fing an zu lachen "Genau, deshalb bist du auch Single. Und was heißt hier normale Frauen? Willst du damit sagen, dass ich eine Irre bin, oder was?"
"Boah, das kann doch jetzt echt nicht wahr sein. Womit habe ich das verdient?" MP holte aus und trat wieder gegen das Rad.
"Ay, du vollidiotischer Gehirnakrobat, jetzt hast du in mein Fahrrad auch noch eine Acht getreten. Wegen dir können wir jetzt endgültig laufen. Du solltest echt eine Antiaggressionstherapie machen. Kannst du nicht einmal deinen Jähzorn im Griff behalten? "  Mein Gegenüber stöhnte auf "Und kannst du nicht einfach einmal deinen Mund halten?" Der hatte mir doch nicht den Mund verboten. Gerade als ich weiter loslegen wollte, spürte ich die ersten Wassertropfen auf meinem Gesicht. Na, klasse. Dann wurde ich wegen dem auch noch nass. Missmutig lief ich mit dem Fahrad schiebend los, als die Tropfen immer größer wurden.
"Du willst die blöden Räder doch jetzt nicht echt bis zum Hotel schieben." MP joggte neben mir ohne Fahrrad her. Ich drehte mich um und sah seins am Straßenrand liegen.
"Hast du vielleicht ein Fahrradschloss dabei oder soll ich es mit meinem Haargummi anschließen?" Manchmal fragte ich mich wirklich, ob der überhaupt denken konnte.
"Die Dinger kannst du liegen lassen, die klaut sowieso keiner. Und wir sagen nachher im Hotel Bescheid, dass sie sie abholen sollen. Dann sind wir bei dem Pisswetter auch schneller da, wenn wir joggen." Okay, das war ein Argument, insbesondere da gerade ein richtiger ekeliger Landregen eingesetzt hatte. Ich schmiss also mein Fahrrad auch zur Seite und lief los.
"Komm, wenn wir hier durch den Wald laufen, werden wir nicht so nass." MEINE PLAGE zog mich an meinem Arm in einen Waldweg.
"Ach, da hat MEINE PRIMADONNA wohl Angst um ihre Haare. Kennst du dich denn hier aus?" Ich war mir nicht so sicher, dass der Weg zum Hotel führte.
"Klar, sonst würde ich ja hier wohl nicht lang laufen. Da vorne kommt gleich ein Abzweig an einem abgesägten Baumstumpf und dann müssen wir nur geradeaus." Woher wusste er von dem Baumstumpf? Wollte ich das wirklich wissen? Natürlich wollte ich das. Ich war schließlich eine Frau und wir wollten immer alles wissen.
"Wieso kennst du den Weg?" MP wurde etwas langsamer und schaute mich an "Weil ich hier morgens vor dem Frühstück immer eine Runde jogge." Er fuhr sich durch seine Haare, die ihm nass in der Stirn hingen.
Ich konnte gar nicht glauben, was ich da hörte. Wieso um alles in der Welt lief er noch vor dem Training?
"Bist du bescheuert? Das ist doch gar nicht mit deinem Trainingsplan abgestimmt. Das ist dann zu viel." Wozu gab ich mir eigentlich die Mühr und stellte einen Plan auf, der perfekt auf jeden zugeschnitten war, wenn er sich nicht daran hielt.
"Ich weiß schon, was ich meinem Körper zumuten kann." Wieder wurde ich von diesen blauen Glubschern durchlöchert.
"Wie kann ein einziger Mensch nur so selbstverliebt und ignorant sein? Ich mache eure Traininhspläne doch nicht nur, weil mir langweilig ist. Die basieren auf euren Fitnessdaten. Ich hole schon das Maximale heraus, ohne eine Verletzung zu riskieren." Gerade könnte ich echt in die Luft gehen.
"Ach ja, aber deine Extrastrafrunden und anderen Schikanen, die spielen keine Rolle, oder wie? Verfluchte Scheiße, ich muss absolut fit sein. Ich habe keine Lust wie beim letzten Mal beim BVB auf der Bank zu vergammeln." Ich schaute überrascht zu MP, der sich gerade wieder durch seine Haare fuhr. Es war das erste Mal, dass ich ihn fast ängstlich verzweifelt sah. Er musste wirklich unter einem enormen Erfolgsdruck stehen. Ich ging zu ihm und legte meinen Arm um die Schulter "Du bist von den Werten der fitteste und Fussballspielen kannst du auch. So what?" Eigentlich hätte ich ihm das gar nicht verraten dürfen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er das gerade brauchte.
"Echt, jetzt? Ich bin einfach der geilste. Ich wusste es doch." Ein verschmitztes Grinsen tauchte in seinem Gesicht auf. Warum hatte ich nur diesen kleinen Moment der Schwäche und hatte ihm das gesagt. Sofort war sein Selbstbewusstsein wieder so überdimensional wie das Empire State Building.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt