Kapitel 30

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Mir wurde schon nach dem ersten Klingeln die Tür geöffnet.
"Gott sei Dank bist du endlich da." Lucys Mutter zog mich zur Begrüßung in die Arme und schob mich gleich weiter in das Haus. "Lucy dreht völlig am Rad. Sie dachte schon du lässt sie im Stich." Ich schaute auf meine Uhr und stellte fest, dass ich sogar zehn Minuten früher da war als verabredet. Ich atmete noch einmal durch bevor ich in Lucys altes Zimmer lief, aus dem ich schon das aufgeregte Geschnatter meiner Freundin hörte. Sie hatte es wirklich durchgezogen die letzte Nacht vor der Hochzeit bei ihren Eltern zu verbringen, weil es ja sonst Unglück brachte. Wenn das wirklich zutraf, dann mussten die ganzen in der Scheidungsstatistik Betroffenen, also knapp 50 Prozent aller Verheirateten wohl keinen Wert auf diesen Aberglauben gelegt haben. Das wäre wirklich einmal ein interessanter Ansatz, wenn der Scheidungsrichter das bei jeder Scheidung abfragen würde, um diesen Schwachsinn zu evaluieren. Während sich gerade wieder mein Kopfkino in Betrieb setzte, wie der Richter einen Vortrag über die Wichtigkeit der Einhaltung dieser Tradition hielt und dem scheidungswilligen Ehemann erklärte, dass nicht der Fehltritt seiner Frau Schuld an der Scheidung war, sondern sein Fehlverhalten in der Vorhochzeitsnacht, wurde ich schwungvoll auf einem Stuhl neben Lucy platziert, die mich anstrahlte wie ein mittlerer Atompilz.
"So, jetzt werden euch Fleur und Violet stylen. Fleur ist für das Make up zu ständig und Violet für die Haare. Ich sehe euch dann später in der Location. Ich will da noch einmal kontrollieren, dass auch alles perfekt ist. Falls noch etwas zu klären ist, melde ich mich bei dir. Deine Nummer habe ich ja. Ansonsten bin ich wieder zurück zum Anziehen des Brautkleides und zur Abfahrt mit der Limosine" Jenny, die Weddingplanerin umarmte mich zum Abschied und verschwand hektisch. Wieso wollte sie sich bei mir melden, wenn etwas war? Ich war nur die, die ihren Namen mit auf die Heiratsurkunde schrieb, um die Trauung zu bezeugen. Und woher bitteschön wollte sie meine Nummer haben? Während ich noch überlegte, zuppelte irgendwer an meinen Haaren herum und zog damit meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich schaute also hoch.
"Ja, das machen wir so, das sieht dann ganz fantastisch aus.", brabbelte die eine von diesen Blumentanten rum. Wer bitteschön war nach Blumen benannt? Die Eltern mussten doch echt eine Wette verloren haben. Kein Mensch kam auf solche Namen. Wer wollte schon das seine Tochter Blume oder Veilchen hieß? Mit den Namen musstest du echt stark werden.
Ehe ich mich versah, waren meine Haare nass und wurden mit irgendwelchem Zeug eingeknetet und gefönt und gesprayt. Was tat das Blumenmädel da? Ich hatte kurze Haare, die eigentlich nur kurz trockengefönt werden mussten und dann einfach gut saßen. Was schmierte die denn jetzt noch in die trockenen Haare? Ich wollte ganz dringend einen Spiegel. Ehe ich jedoch in den Genuss kam, fummelte jetzt die andere Blumemtante in meinem Gesicht herum und verteilte dort irgendetwas mit so komischen Schwämmchen. Hatte ich eigentlich schon einmal gesagt, dass ich diese  Schmiere hasste. Wimperntusche, ein wenig Lidschatten und Lippenstift waren völlig ausreichend. Ich hielt das immer eher natürlich.
"Wir haben wegen der ja immer fließenden Tränen sowohl bei der Braut als auch bei Ihnen wasserfestes Make up genommen." Grinste mich jetzt die Schminkblume begeistert an. Welche Tränen bitte? Warum sollte ich heulen, wenn meine Freundin heiratete. Ich war es doch nicht, die sich da suizidal in ihr eigenes Unglück stürzte. Wahrscheinlich würde ich eher anfangen zu heulen, wenn ich die Rechnung für den ganzen Tamtam hier bekommen würde. Wenn ich mir vorstellte, was man damit alles viel Sinnvolleres anfangen könnte. Da wäre garantiert eine ziemlich ausgiebige und luxoriöse Reise drin, die mit Sicherheit auch den Horizont erweitern würde.
"So, jetzt könnt ihr euch gleich angucken und vor Begeisterung uns um den Hals fallen." Stolz liefen beide zu den vor uns aufgebauten Spiegeln, die sie abgehangen hatten. Ich schaute schon einmal zu Lucy, die wirklich sehr hübsch geschminkt aussah und auch die hochgesteckten Haare mit diesem Krönchen sahen nach Prinzessin aus.
"Ach, halt stop. Ich habe ja noch das wichtigste vergessen." Ehe ich mich versah hatte Haarblume irgendetwas in meinem Haar befestigt. Was sollte denn der Scheiß.
"So, jetzt aber." Und schon fielen die Tücher effektvoll vom Spiegel. Ich starrte in den Spiegel und riss meine Augen auf.
"Da staunst du, was wir aus dir gemacht haben.", lächelte mich diese Schminkblume an, während Lucy anfing zu schluchzen "Das habt ihr wirklich toll gemacht. Schau nur Vicki, wie toll wir aussehen." Wollte die mich verarschen? Ich sah aus wie eine gelockte Omi mit einer Blume im Haar und mein Gesicht sah aus, als hätte es mit einem Tuschkasten Bekanntschaft gemacht. Obwohl ich sagen musste, dass dieser grüne Lidschatten schon super meine Augen betonte und auch der kräftige Lippenstift gar nicht einmal verkehrt war. Okay, mit dem Make up konnte ich leben, aber die Haare gingen ja mal so gar nicht.
"So, wir sind dann auch weg. Wir wünschen euch eine zauberhafte Hochzeit." Kicherte diese Haarblume noch und verschwand mit ihrer Mittäterin aus der Tür. Ehrlich gesagt war das auch besser für ihre Gesundheit, denn bei dem Anblick meiner Haare, war ich mit Sicherheit durch Nothilfe gedeckt, wenn ich ihr den Hals umdrehte und jeder Richter würde mich freisprechen.
"Dann müsste jetzt ja auch gleich Jenny wieder da sein.", lächelte  ich Lucy an.
"Klar, ich müsste aber erst einmal noch schnell ins Bad." Meine Freundin nickte mir nur zu und lief in ihrem Zimmer auf und ab. Ich beeilte mich also meinen Kopf so schnell wie möglich unter die Wasserleitung zu bekommen, denn mit der Frisur würde ich das Haus garantiert nicht verlassen, eher zog ich mir ja eine Papiertüte über den Kopf.
Als ich meine Haare einshamponiert hatte, hielt ich auf einmal ein Stück Fell in der Hand. Die alte hatte mir doch allen ernstes ein Haarteil eingearbeitet. Wie beklopt war die denn? Wenn ich längere Haare haben wollte, würde ich sie ja wohl wachsen lassen und mir nicht so dämliches Kunsthaar reinknallen. Ich hatte auch noch nie diesen Hype um diese Extensions verstanden. Warum gaben zum Denken begabte Menschen Geld dafür aus sich etwas anschweisßn zu lassen, was auch ganz von alleine wuchs?  Aber wahrscheinlich scheiterte es bei diesen Tussen an dem zum Denken begabt. Das war die einzige und logischste Erklärung.
Nachdem ich mir also glücklich meine Haare trockengefönt hatte und wieder mit meinem Spiegelbild konform ging, klopfte es an die Badtür.
"Vicki, du musst mir mit dem Kleid helfen.", hörte ich die panische Stimme von Lucy. Wieso musste ich das jetzt machen? Jenny wollte doch da sein.
Ich öffnete also die Tür und schaute in das verzweifelte Gesicht meiner Freundin "Du musst das Kleid hinten schnüren. Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht? Wo bleibt Jenny überhaupt? Nach dem Zeitplan müsste sie jetzt hier sein und mein Kleid schnüren. Oh Gott, oh Gott, wir haben schon fünf Minuten Verspätung. Was ist, wenn Joshua nicht auf mich wartet?" Mannometer, musste Lucy nicht irgendwann mal Luft holen? Ich nahm ihr ihren blöden Zeitplan aus der Hand, mit dem sie schon die ganze Zeit herumwedelte und schob sie zurück ins Zimmer, wo ihre Mutter schon das Kleid aus dem Kleidersack holte. Ich schlüpfte in der Zeit schnell in mein Kleid.
"Ach siehst du hübsch aus.", schluchzte Lucy schon wieder. Die war ja definitiv durch den Wind. Warum tat sich jemand das nur freiwillig an und warum spielte bei den Frauen plötzlich alles verückt, nur weil sie an einem Verwaltungsakt mitwirkten und eine Urkunde unterschrieben? Ich hatte noch nie erlebt, dass jemand so ein Theater machte, wenn er seinen neuen Personalausweis beantragte und dort auf dem Formular unterschrieb. Letztendlich war das doch auch nichts anderes.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt