Kapitel 84

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Ich zog meinen Gurt etwas fester um mich, als ich den Blick meines Bruders auf mir spürte. Boah, konnte der nicht mal lieber nach vorne gucken, wenn er schon so halsbrecherisch unterwegs war?
"So Vicki, jetzt erzähle aber mal, was das für eine Geschichte mit Milli ist. Letztens sind wir ja nicht mehr dazu gekommen." Nö, ich hatte so gehofft, dass er das vergessen hatte. "Die anderen glauben dir das mit dem Hundesitter vielleicht, aber mir kannst du nicht erzählen, dass dieser Hundesitter nicht Milli ist. Ich habe bei der Hochzeit deinen Blick gesehen und ich kenne dich und ich kenne die Kerle. Keiner fährt nur mal so nach Berlin über das Wochenende. Und was soll überhaupt der Scheiß von wegen der ist schwul?"
Ich schnaufte einmal durch. Wenn mein Bruder so in Fahrt war, dann gab es eigentlich kein Entkommen. Aber ich konnte es ja versuchen. "Du, das ist eine lange Geschichte."
"Macht nichts. Ich habe Zeit. Helin erwartet mich heute erst ganz spät abends. Also lege los." Mist, hätte ja auch klappen können. Ich konnte ja noch einen anderen Trick versuchen. Ablenkung und Themenwechsel klappten meistens.
"Ja, also. Wohnst du jetzt eigentlich schon mit Helin zusammen? Wann bekomme ich denn endlich eure Wohnung zu sehen?"
"Offiziell wohnen wir natürlich erst nach der Verlobung zusammen, aber inoffiziell hat Helin schon ihre meisten Sachen da." Mein Bruder grinste zufrieden "Genaugenommen wohnt sie also schon bei mir. Sie geht nur noch zum Post holen in ihre Wohnung oder wenn so wie heute ihre Mutter vorbeikommt. Außerdem, was heißt hier Wohnung. Wir haben ein schönes Haus mit Garten in Wellinghofen. Dann sind wir auch in der Nähe von Erik und Kathi." Prima, der Themenwechsel hatte funktioniert. Dann sollte ich gleich da dran bleiben.
"Habt ihr denn keine Angst, dass ihre Mutter da heute etwas mitbekommt? Und wie willst du das jetzt überhaupt mit dem Antrag bei ihren Eltern machen? Hast du auch schon eine Idee für den Antrag bei Helin?" Bei so vielen Fragen sollte er eigentlich abgelenkt genug sein.
"Die Mutter bekommt schon nichts mit, keine Angst und bei dem anderen baue ich auf deine Unterstützung. So, jetzt brauchst du aber nicht weier ablenken. Was ist jetzt nun mit Milli?" Mist, wieso musste der so ein Elefantengedächtnis haben.
"Jetzt guck' nicht so. Das war schon immer deine Taktik und sie hat vielleicht bei Kathi, aber noch nie bei mir funktioniert. Also, leg los." Ich schnaufte frustriert. Leider hatte er da wirklich recht, aber ich würde es trotzdem immer wieder versuchen.
"Man, ja du hast recht."
"Welch wunderbare Worte in meinem Gehörgang." Manchmal, nee eigentlich immer, war mein Bruder doch ein echter Idiot.
"Soll ich jetzt reden oder ihrer Hohlheit Alexander dem Großen huldigen?" Mein Bruder gab mir ein aufmunterndes Handzeichen. "Also die Knutschflecke waren von MIlli, wir haben eine Freundschaft plus und das  mit dem Schwulsein ist vielleicht ein dummes Missverständnis, das ich nicht aufgeklärt habe." Mein Bruder trat voll in die Klötzer, dass ich mich schnell am Armaturenbrett abstützte und starrte mich an , während hinter uns ein Hupkonzert einsetzte "Das soll aber jetzt nicht die ganze Erklärung sein." War ja klar, dass er damit nicht zufrieden war. Wäre ja auch zu schön gewesen. Nachdem mein Bruder zur Freude der anderen Autofahrer endlich eingeparkt hatte und den Verkehr nicht weiter behinderte, drehte er sich zu mir "So, jetzt hast du meine volle Aufmerksamkeit." Toll, da hätte ich gut und gerne drauf verzichten können, obwohl wer sollte mehr Verständnis für eine Freundschaft plus haben als mein Bruder mit seinen Eskapaden. Also fing ich einfach an zu erzählen und Alex hörte mir nur zu. Ab und zu kam ein kurzer Kopfschütteler. "Und die glauben das mit dem anderen Ufer echt alle?" War klar, dass er sich jetzt fast vor Lachen schüttelte, während ich grinsend nickte und ihm noch die Story vom Duschen nach dem Training erzählte  "Das ist echt der Hammer. Der Typ hat genauso einen kranken Humor wie du, wenn er darüber lachen kann und nicht rehabilitiert werden will. Kein Kerl lässt freiwillig so etwas stehen." Mein Bruder kratze sich am Kinn "Könnte es sein, dass er vielleicht mehr als ein Freundschaft plus will? So wie sich das anhört seit ihr das perfekte Paar. Du bist doch auch überhaupt nicht der Typ dafür."
"Nee stimmt, ich bin mehr der Typ für One-Night-Stands, oder wie." Toll, so etwas aus dem Mund des eigenen Bruders zu hören. "Nee, du bist eher der Typ für etwas Festes. So eine Beziehung mit allem drum und dran." Ich schüttelte sofort den Kopf "Garantiert nicht. Nur weil du auf einmal auf rosa Einhörnern über den Regenbogen reitest, will ich das noch lange nicht. Vor ein paar Monaten hättest du mir auch den Vogel gezeigt, wenn ich dir so etwas Unvernünftiges vorgeschlagen hätte."
"Siehst du, Meinungen ändern sich. Und wenn du ehrlich bist, hörst du das Wiehern auch schon." Alex zwinkerte mir zu.
"Was für ein Wiehern?" Was erzählte der denn für Mist? War der heute Nacht gegen einen Türpfeiler gelaufen?
"Na das von deinem Einhörn, das schon am Regenbogen auf dich wartet." Ich boxte ihn wütend gegen den Oberarm. "Mensch Schnattchen, jetzt mache nicht so ein Drama und warte einfach ab."
"Da gibt es nichts abzuwarten. Das ist und bleibt eine Freundschaft plus, da sind Milli und ich uns einig. Und du hälst dein geschwätziges Maul gegenüber den anderen, sonst muss ich dich leider kastrieren und dir die Zunge rausschneiden." Mein Bruder griff sich mit Schmerz verzerrtem Gesicht in den Schritt. Gott sei dank saßen wir ja im Auto und keiner konnte es sehen. Plötzlich grinste er wieder "Als hätte ich dich schon einmal hingehängt. Aber dafür musst du mir bei allem was die Verlobung angeht helfen." Genau, er hatte mich noch nie verpetzt, nicht einmal bei den blödesten Streichen, aber so ein bisschen Erpressung ging schon. Ich beugte mich grinsend über die Mittelkonsole zu ihm und drückte ihm einen feuchten Schmatzer auf die Wange "Geht klar. Ich liebe es zu sehen, wenn dir mal der Arsch auf Grundeis geht." Mein Blick fiel auf die Fussgänger, die an dem Auto vorbei liefen. Warte mal... Ich versuchte meine Augen noch schärfer zu stellen
"War das da nicht eben Dogan?" Mein Bruder schaute auch dahin, wo ich gerade hinstarrte "Wer war die Blondine neben ihm?" Ich schüttelte ungläubig den Kopf und mein Blick folgte immer noch dem Pärchen, das gerade um die Ecke bog. "Das war Lisa." Ich konnte es immer noch nicht glauben. Mein ehemals bester Freund verbrachte seine Zeit jetzt mit meiner ehemals besten Freundin.
"Sind die zusammen? Oder ist das auch so eine Plus-Geschichte?" Mein Bruder schaute mich irritiert an. "Ich habe keinen Plan. Aber normalerweise haben die nicht Händchen gehalten. Ich habe doch mit beiden keinen Kontakt mehr. Da musst du Helin oder Erik fragen, wenn du etwas genaueres wissen willst. Ich bin definitiv der falsche Ansprechpartner." Mein Bruder strich mir sanft mit seiner Hand über die Wange "Und tut dir der Anblick weh?" Tat mir der Anblick weh? Ich horchte kurz in mich hinein "Ehrlich gesagt nicht die Bohne. Sollen sie doch glückloch werden."
"Ich sage doch, da ist mit dir und Milli mehr."
"Du hast so einen Knall.", knurrte ich "Das ist nur eine Freundsch..."
"Ja,  ich weiß nur eine Freundschaft plus.", unterbrach mich Alex lachend "Und nur, weil man einer Sache einen anderen Namen gibt, bleibt es doch das gleiche." Ich streckte meinem Bruder einfach nur ganz erwachsen die Zunge raus.
"Du, wir sollten aber Lisa auch wegen der Feier von Erik und Kathi Bescheid geben. Schließlich ist sie ja auch seine Schwester und will bestimmt etwas mitorganisieren." Ich schaute zu Alex. Da hatte er schon recht und wenn ich seinen Blick richtig deutete, erwartete er, dass ich mich darum kümmerte. Ich zog meine Nase kraus "Warum ausgerechnet ich?" Einen aufmunternden Schulterklopfer später, grinste er mich an "Weil sie deine beste Freundin ist." Ich stöhnte auf "Falsche Zeitform, der Satz muss ins Perfekt."
"Dann wohl eher Präteritum.", lachte mein Bruder "Unvollendete Vergangenheit, die wieder ins Präsens wechselt."
"Das glaube ich eher nicht, aber eins sage ich dir, wenn ich das schon machen muss, kostet dich das garantiert etwas beim Juwelier für mich." Vielleicht hatte ich ja Glück und er war geizig und kümmerte sich lieber selber darum.
"Du hast freie Auswahl. Ich kaufe meiner wundervollen Schwester doch gerne Geschmeide." Der Mistkerl kannte mich einfach zu gut. Er wusste genau, dass ich mir aus Schmuck nicht allzu viel machte. Obwohl, man musste auch mal neue Wege gehen und ihn bluten lassen.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt