Kapitel 53

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Ein Blick ins Wartezimmer sagte mir, dass wir die einzigen waren. Das gefiel mir gut, denn dann konnte ich dort Sascha wenigstens beschäftigen, ohne dass mir ständig irgendwelche Helikoptermütter meinten Tipps über den adäquaten Umgang mit Kindern geben zu müssen. Während Kathi gerade irgendwo Urin und Blut ließ, saßen Erik und ich auf dem Ledersofa im Wartezimmmer. Sascha schaute sich ganz interessiert ein Buch in der Kinderecke an, während Erik die ganze Zeit mit seinem Finger auf der Armlehne herumtippste. Das machte mich langsam echt auch nervös. Gerade als Kathi auch in das Wartezimmer kam, öffnete sich die Tür zum Behandlungszimmer und Marco und Franzi kamen heraus. Ihre Gesichtsausdrücke konnte ich jetzt nicht wirklich deuten. Marco sah irgendwie enttäuscht aus, während Franzi erleichtert schien. Da ich ja wusste, dass Marco total versessen auf Kinder war, konnte das nur bedeuten, dass Franzi nicht schwanger war. Man, der sollte sich doch nicht so haben, schließlich hatten sie doch schon vier gesunde Kinder.
"Und?" Kathi war sofort auf Franzi zugestürzt und auch Erik und ich waren aufgesprungen.
"Schwanger. Fünfte Woche.", strahlte Franzi. Okay, jetzt verstand ich aber Marcos enttäuschtes Gesicht noch weniger.
"Warum sieht der denn so enttäuscht aus?", schoss es mir natürlich auch gleich wieder aus dem Mund, während ich mit meinem Daumen auf Marco zeigte. Marco schüttelte abwesend den Kopf "Der muss sich irren. Das kann gar nicht sein.", brabbelte er vor sich hin. "Meine Jungs würden mich niemals enttäuschen."
"Ach, der hat nur eine Egokrise.", lachte Franzi lauthals "Diesmal ist es doch wirklich nur ein Kind. Endlich einmal kann ich das dann genießen und muss nicht Fließbandarbeit leisten." Kathi und ich umarmten sie lachend. Der Kerl würde sich schon wieder einbekommen.
"So, dann kann jetzt bitte Frau Durm eintreten.", der Arzt lächelte meine Schwester freundlich an und reichte ihr die Hand bevor er auch Erik die Hand reichte und mit beiden im Untersuchungszimmer verschwand.
"Der ist schon so verwirrt von den ganzen Schwangerschaften, dass er Durm und Dorn verwechselt.", grinste Franzi "Damit hat er wohl so kurz vor seiner Rente auch nicht gerechnet, dass die halbe BVB Mannschaft hier aufschlägt. Na, dann sag' Kathi mal, sie soll mich nachher anrufen. Und du Reus, komm jetzt. Unsere Brut hat bestimmt schon deinen Vater und deine Mutter in die Verzweifelung getrieben." Marco folgte ihr paralysiert.
"Wo sind denn Mama und Papa?", quietschte Sascha auf einmal und packte sein Buch auf den Tisch zurück.
"Die sind beim Doktor." Sascha nickte und riss dann seine Augen besorgt auf "Sind sie krank?" Ich schüttelte mit dem Kopf "Warum sind sie dann beim Doktor?" Na toll, was sollte ich denn jetzt darauf antworten. Ich hatte keinen blassen Dunst wie ich dem kleinen Kerl jetzt kindgerecht beibringen sollte, dass seine Mama ein Kind bekam. Der stellte dann doch noch mehr Fragen, auf die ich noch weniger Antworten hatte. Vielleicht noch wie das Kind entstanden ist oder so.
"Mama, bekommt vielleicht ein Baby." Das war doch mal ein unverfänglicher Anfang. "Jetzt?" Sascha schaute mich mit großen Augen an.
Ich kniete mich vor ihn "Nicht jetzt. Das dauert doch neun  Monate." Sascha schaute mich nachdenklich an und nickte "Aber wenn Mama das Kind bekommt, warum ist Papa dann mit beim Doktor?" Okay, das ist jetzt eigentlich eine gar nicht so schwere Frage. Aber auch nur eigentlich.
"Weil sie zusammen mit dem Doktor in Mamas Bauch schauen." Mein Teddy riss seine Augen noch weiter auf und rannte auf einmal los. Ehe ich mich aus meiner Hockposition aufgerappelt hatte, hatte der Zwerg schon die Tür vom Behandlungszimmer aufgerissen und war hineingestürzt. Ich sprintete also hinterher.
"Nicht Mamas Bauch aufschneiden.", hörte ich nur die kleine weinerliche Piepsstimme und sah wie Erik den Kleinen aufhielt und auf den Arm nahm. Dicke Tränen kullerten über sein Gesicht.
"Herrgott Vicki, kannst du nicht mal den Zwerg unter Kontrolle halten.", meckerte meine Schwester rum, die auf der Liege lag "Was hast du ihm überhaupt für Horrorgeschichten erzählt, dass er so durch den Wind ist?"
Man, die hatte überhaupt keinen Grund hier rumzumeckern. Hätte sie ihren Sohn vorbereitet, wäre das gar nicht passiert.
"Ich habe nur gesagt, dass ihr im Bauch nachschaut, ob da ein Baby ist.", schnaufte ich beleidigt. Das war doch durchaus kindgerecht.
"Und wie kommst du jetzt darauf, dass ich der Mama den Bauch aufschneide?" Der Doktor schaute Sascha freundlich an.
"Na, das ist doch klar. Wie sollen Sie denn sonst in den Bauch gucken? Mama hat da ja keinen Reißverschluß." Sascha schlug sich mit seiner kleinen Hand vor die Stirn. Na wenigstens weinte er nicht mehr. Und ehrlich gesagt musste ich mir gerade ein Lachen verkneifen. Auch in den Gesichtern von Kathi, Erik und dem Doktor sah ich verdächtiges Zucken. Ich war mir ziemlich sicher, auch sie mussten sich ein Lachen verkneifen.
"Ich habe da aber ein Zaubergerät. Da muss ich der Mama nur Gel auf den Bauch machen und dann kann ich da auf dem Fernseher sehen, wie es bei deiner Mama in Bauch aussieht. Das nennt man Ultraschall. Magst du vielleicht mitgucken?" Der Doktor schaute zu dem Kleinen, der sofort nickte.
Erik setzte sich mit Sascha auf seinem Schoß auf den Stuhl neben der Liege und ich stellte mich dahinter.
"Magst du das Gel bei Mama auf den Bauch machen?" Sofort nickte der Zwerg wieder und griff nach der Flasche, die ihm der Arzt hinhielt und tröpfelte vorsichtig etwas davon auf Kathis Bauch. Mit seinem Blick versicherte er sich immer wieder, ob er alles richtig machte.
"So, nachdem mein kleiner Assistent alles vorbereitet hat, schauen wir jetzt mal, ob es für dich ein Geschwisterchen gibt." In dem Moment als der Arzt die Ultraschallsonde ansetzte, beschleunigte sich mein Puls. Gleich würde ich wissen, ob ich noch einmal Tante werden würde und ich war sogar live dabei. Danke, Teddy.
"Na, schau mal, was wir da haben." Der ältere Herr deutete mir seinem Finger auf einen kleinen Punkt auf dem Bildschirm  "Das da ist ein kleines Baby. Herzlichen Glückwunsch, du wirst großer Bruder." Ich musste schlucken, ich wurde wieder Tante. Ein dicker fetter Kloß bildete sich in meinem Hals. Sascha guckte skeptisch. Ohoh. Es würde doch jetzt hoffentlich keinen Streß geben, weil er kein Geschwisterchen haben wollte.
"Aber das ist doch nur ein Punkt. Und wieso schneit es bei Mama im Bauch?" Okay, der Kleine sagte genau das, was ich auch gerade dachte. Ich erkannte da nie irgendetwas. Meine Niere könnte man mir genauso als Embryo verkaufen wie auch umgekehrt.
"Das sieht nur wie Schnee aus. Und der Punkt wird ganz schnell zusammen mit Mamas Bauch wachsen und dann wirst du im nächsten Frühling einen Bruder oder eine Schwester haben." Der Doktor wandte sich an meine Schwester "Sie sind in der achten Woche schätzungsweise." Ich sah wie Kathis Augen feucht schimmerten und Erik starrte immer noch total gebannt auf den Monitor. Plötzlich küsste er Sascha auf sein Haar und beugte sich zu meiner Schwester und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
"Wir bekommen ein Baby. Wir bekommen ein Baby. Können Sie schon sehen, was es wird? Wird es ein Mädchen oder ein Junge? Ist alles gesund und wie es sein soll? Worauf müssen wir achten? Was darf meine Frau essen? Muss sie Vitamine nehmen?" Erik sprudelte auf einmal förmlich über. Der Doktor grinste ihn an und klopfte ihm auf die Schulter "Alles im grünen Bereich und bis wir wissen, was es wird, dauert es noch etwas." Der Mann war echt um seine Ruhe zu beneiden. Aber wahrscheinlich war er total überdrehte Väter gewöhnt. Immerhin hatte er ja schon zweimal die Schwangerschaft von Franzi mit dem total überdrehten Marco überlebt und auch Roman war sicherlich nicht gerade anspruchslos im Handling.
Erik nickte beruhigt und wischte Kathis Bauch sauber, ehe er ihr von der Liege half.
"Was hättest du denn lieber? Einen Bruder oder eine Schwester?" Der Arzt schien Gefallen an Sascha gefunden zu haben. Aber wie konnte man das auch nicht an dem kleinen süßen Knopf.
"Egal, Hauptsache es ist nett.", strahlte ihn Sascha an. Na das war doch mal die perfekte Antwort.
"Magst du denn auch ein Ultraschallbild haben?" Das war ja mal eine echt tolle Idee.
"Jaaa.", jubelte Teddy "Ich mag auch ein Ultraballschild." Wieder fingen wir alle an zu grinsen. Der Zwerg war einfach zu goldig. Konnte mich der Doktor nicht auch fragen? Ich hätte auch so gerne ein erstes Bild von meiner zukünftigen Nichte oder meinem Neffen. Während ich noch grübelte, ob ich einfach danach fragen konnte, kam der Doktor auf mich zu "Sie möchten doch bestimmt auch eins." Und schon hielt er mir eins hin. Der Kerl war göttlich, er konnte Gedanken lesen. Ich stand jetzt genau wie Erik und Sascha da und drückte diesen Papierfetzen an meine Brust. Ich, Vicki Dorn, wurde zum zweiten Mal Tante. In meinem Bauch fing es plötzlich an zu kribbeln und ich hätte vor lauter Glück wie Pippi Langstrumpf durch die Praxis hüpfen und vor Freude laut jubeln können.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt