Kapitel 142

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Ich schaute zu meinem Bruder, der glücksstrahlend neben seiner Helin stand und seinen Arm um sie geschlungen hatte. So happy hatte ich ihn noch nie erlebt.
"Sind sie nicht ein hübsches Paar? Genau wie Katharina und Erik und du und Maximilian." Meine Mutter lächelte mich auch total verstrahlt an. Hilfe, ich hatte schon wieder Fluchtgedanken und außerdem musste ich da  gleich mal etwas richtig stellen. "Jetzt musst nur noch du heiraten.", fuhr sie schon fort, bevor ich dazu Gelegenheit hatte.
"Ich heirate garantiert niemals." Meine Mutter schaute mich schockiert an "Nicht?" Sofort mischte sich mein Vater ein "Na, das wird man schon noch sehen." Ja, klar. Wo kam der denn her? Wenn ich sagte niemals, dann meinte ich das auch garantiert so. War es bei ihrem lausigen Vorbild vielleicht ein Wunder, dass ich auf so einen dämlichen Trauschein garantiert keine Lust hatte. Wer wollte schon von einem Kerl bestimmt werden, der sowieso keine Zeit hatte und nur Kinder in die Welt setzte, weil es zum guten Ton gehörte und man es sich ja leisten konnte. Genau wie die devote Ehefrau, die immer hüpfte, wenn man es sagte. Meine Mutter musste ihm doch immer den Hintern pudern, anstatt für ihre Kinder Zeit zu haben. Es zählte nur das Geschäft. Gefühle konnte man ja in keiner Bilanz unterbringen. Am liebsten würde ich ihnen gehörig meine Meinung blasen, aber ich wollte auf keinen Fall die Hochzeit meines Bruders ruinieren. Also schlug ich einen Themenwechsel an. Wenn sie uns schon immer für den schnöden Mammon hinten angestellt hatten, könnte ich den ja wenigstens nutzen. "Ihr seid ja mit dem Privatjet hier. Da können Milli und ich doch mit euch mit nach Malle zur Taufe fliegen." Meine Mutter schüttelte sofort den Kopf "Das geht nicht." Warum schaute sie denn jetzt so nervös zu MP, der sich zu uns gesellt hatte?
"Das wäre ja auch Blödsinn. Wir haben doch schon unsere Tickets gebucht.", mischte der sich ein. Klar hatten wir die, aber das bedeutete, dass wir morgen früh schon um 10 Uhr am Flughafen sein mussten. Einen anderen Flug hatten wir leider nicht mehr bekommen. Mit meinen Eltern hätten wir mit Sicherheit später fliegen können und das hätte ausschlafen bedeutet. "Ja, und das geht auch überhaupt nicht, weil wir noch einmal ganz dringend weg müssen." Ich schaute meine Mutter verwundert an "Aber die Taufe ist doch schon in zwei Tagen."
"Ja, ist ja auch egal, wir müssen jedenfalls noch dringend nach...nach Dortmund wegen des Hauses." Wer sollte ihr das denn glauben? So wie sie überlegt hatte, wo sie hin müssen. Garantiert war das nur eine Ausrede und sie waren dann plötzlich zur Taufe von Rosa verhindert. Also doch wie immer. Ich drehte mich um und ließ die beiden einfach stehen. MP folgte mir. Seit er ein paar der Cousins von Dogan gesehen hatte, war er immer an meiner Seite. Es war ein Wunder, dass er mir nicht noch bis in die Damentoilette folgte, sondern vor der Tür wartete. Als wir gerade an den Typen vorbei liefen, drehte sich dieser eine Schleimbolzen gerade um "Ah, da ist ja wieder unsere wunderschöne Fussballkennerin." Sofort krallte sich MPs Hand noch fester um meine. "Was sagst du denn zu der spontanen Hochzeit von den beiden?" Er zeigte zu Dogan und Lisa, die daneben standen "Schließlich warst du doch seine Perle und nur, weil er seinen Minidogan nicht unter Kontrolle halten konnte, ist er jetzt mit einer anderen verheiratet." Bei dem Minidogan hörte ich einen unterdrückten Grunzlaut neben mir. War klar, dass das wieder voll auf MPs Linie lag. Aber was sollte das mit der Hochzeit jetzt heißen? "Du, wir waren nie ein Paar. Außerdem haben die beide aus Liebe und aus keinem anderen Grund geheiratet. Das sollte ja auch der einzige Grund für eine Hochzeit sein." War ich jetzt durch die Hochzeit meines Bruders eigentlich auch mit diesem Hohlpfosten verwandt? "Naja, aber nach dieser überstürzten Hochzeit ist doch allen klar, dass es nicht um die Liebe geht, sondern darum zu vertuschen, dass seine Frau unrein in die Ehe geht. Und welch besseren Beweis gibt es da als ein Baby. Eine gute Frau wartet mit dem Sex bis sie verheiratet ist." Wer war er eigentlich, darüber zu urteilen? Ich schaute zu Lisa, die zu schniefen anfing. Also ihre dämlichen Schwangerschaftshormone hatten aus der taffen Frau eine weinerliche Primel gemacht. Früher hätte sich der Spinner in ihrem Atem gleich die Haare fönen können. Mein Blick sagte mir, dass Dogan mehr damit beschäftigt war sie zu trösten als sie zu verteidigen. Ich holte tief Luft "Naja, vielleicht ist das so bei euch in Hinteranatolien. Aber bei uns heiraten wir eine Frau, weil wir sie lieben. Da ist es egal, ob ein Kind vor , nach oder während der Hochzeit geboren wird. Und bei uns haben Frauen auch die gleichen Rechte wie Männer ihre sexuelle Freiheit zu genießen", erklang auf einmal MPs gereizte Stimme und er funkelte den Kerl wütend an. So fuchsig hatte ich Meinen Protektor selten erlebt. Der Typ schnaufte empört auf, drehte sich um und marschierte mit seinem anderen hirnlosen Gefolge ab, das jetzt auf türkisch lossabbelte. MP schaute zu Dogan "Ich habe dir doch gleich gesagt, dass da sowieso alle draufkommen, Johny." War klar, dass er Cookiemonster doch noch eine kleine Schlagseite mitgeben musste, obwohl er für ihn eingespruungen war. Das wunderte mich schon. Ich hätte eher erwartet, dass er in die gleiche Kerbe wie diese Hohlbirnen schlug, nur um Dogan auch eine mitzugeben, aber was jetzt passierte, würfelte mein ganzes Weltbild durcheinander. "Danke, dass du ihnen die Meinung gesagt hast.", kam es von Dogan. "War mir ein außerordentliches Vergnügen.", grinste MP. Ich schaute zwischen beiden hin und her. War das vielleicht der erste Schritt in Richtung eines zivilisierten Umgangs? Auf eine Freundschaft wagte ich gar nicht zu hoffen.
Als auf einmal Musik einsetzte, traute ich meinen Ohren nicht. Wieso um alles in der Hölle plörte auf einmal türkische Musik aus dem Lautsprecher? Ich schaute zur Tanzfläche, wo vor gerade einmal einer Viertel Stunde mein Bruder mit Helin einen wunderbaren Brautwalzer hingelegt hatten. Es hatte sich so ziemlich der gesamte Teil der türkischen Gäste aufgestellt und an den Händen gefasst. Mein Blick fiel zu Helin, der das ganze scheinbar überhaupt nicht gefiel. Klar, sie hatte sich eine völlig westeuropäische Hochzeit gewünscht. Warum konnten sich diese Hinterwäldler da nicht einfach dran halten?
"Tante Vicki, gucke mal die tanzen genau wie die letztes Jahr im Urlaub in Griechenland." Mein Teddy strahlte mich an "Tanzt du auch Tsatziki mit mir?" MP neben mir grunzte auf und ich wusste, dass er sich versuchte krampfhaft ein Lachen zu unterdrücken. "Klar tanzen wir Sirtaki." Ich griff mir die Hand meines Neffens und die von MP und versuchte den Tanz mit ihnen nachzuahmen. "Tanzt du nachher auch noch mit uns Gyros oder ein Döner?" MP grinste. Sascha schüttelte nur den Kopf "Mensch Milli, das ist doch was zu essen und kein Tanz." Ja, mein Neffe wusste Bescheid.
"Menno und ich hatte mich so auf deine Drehung am Gyrosspieß gefreut.", flüsterte er mir ins Ohr.  Manchmal war er doch eine echte Plage, aber glücklicherweise war er ja Meine Plage.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt