Kapitel 116

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Ich schlurfte in den Speisesaal. Heute war unser erster Tag im Trainingslager in Marbella. Ich ließ meinen Blick über das Buffet gleiten. Das sah ja alles ziemlich lecker aus, aber wenn ich ehrlich war, hatte ich gar keinen richtigen Appetit. Schon auf dem Flug war mein Snack an MP gewandert, der neben mir gesessen hatte. Nachdem er sich die letzten Tage hatte von mir pflegen lassen, war er wieder fit wie ein Turnschuh. Er hatte mich wirklich meinen letzten Nerv gekostet. Wenn man dachte im Verlauf eines Männerschnupfens wäre die Phase des Totgeweihten die schlimmste, dann irrte man sich gewaltig. Denn sie wurde von der Phase leichte Genesung und Langerweile abgelöst, die noch viel schlimmer war. Nie hätte ich geglaubt, dass erwachsene Männer zu fordernden kleinen Kindern mutieren konnten, die die ganze Zeit beschäftigt werden wollten und auf gar keinen Fall auf die ungeteilte Aufmerksamkeit verzichten konnten. Die letzte Phase war dann die Quängelphase, als es hieß Mein Patient, der ja gerade noch einmal so von der Schippe gehopst war, dürfe nicht ins Trainingslager wegen der Ansteckungsgefahr. Nachdem er realisiert hatte, dass er dann wohl oder übel seinem nahenden Tod alleine überlassen war, da ich mit der Mannschaft fliegen würde, war er spontan genesen. Freudestrahlend lief er jetzt am Buffet neben mir her und knallte sich seinen Teller voll, während ich mir ein paar Löffel von der Pasta auftat. Nudeln gingen ja irgendwie immer, auch wenn man keinen wirklichen Hunger hatte. Seit wir gestartet waren hatte ich jetzt schon so dämliche Kopfschmerzen. Nachher würde ich einfach mal den Doc nach einer Tablette fragen. Dann konnte ich wenigstens gut schlafen und war morgen wieder fit, wenn das Training begann. Glücklicherweise hatte ich ja die Krankentage genutzt, um schon alle Pläne vorzubereiten.
"Na, ihr zwei.", zwinkerte Erik uns zu als er sich zu uns an den Tisch setzte. Keine Minute später waren auch Roman, Marco und Marius zu uns gestoßen. Wie nicht anders zu erwarten entwickelte sich sofort ein lautes Gespräch zwischen den M und Ms, nur mein M schwieg noch. Waren diese zwei Schreihälse eigentlich immer so laut oder war ich heute nur so empfindlich?
"Und wisst ihr schon was die Drillinge werden?" Seit wann interessierte sich Marius für den Nachwuchs in der Familie Reus. Marco schüttelte den Kopf "Also nicht genau, zwei verstecken sich immer, aber eines wird garantiert ein Junge.", strahlte er sofort. Wahrscheinlich hoffte er, dass doch noch ein männlicher Nachwuchs in seine Fußstapfen trat.
"Und habt ihr schon Namen?" Roman schaute neugierig. Wahrscheinlich wollte er nur sicher gehen, dass er mit Jasi nicht versehentlich den gleichen aussuchte. Wäre ja schon blöd, wenn es auf einmal eine Marie Durm, Bürki und Reus geben würde. Bei dem Gedanken musste ich schon grinsen.
"Na, wenn es drei Jungs werden, würde ich sie Tom, Marten und Mark nennen.", grinste Mister Popupcomedian frech.
"Joa, coole Namen." Marco zuckte mit der Schulter, schien aber nichts zu raffen, während ich anfing laut zu lachen. Sein irritierter Blick brachte mich nicht gerade zum Stoppen, sondern sorgte eher dafür, dass ich mich verschluckte. MP klopfte mir besorgt auf den Rücken und zwinkerte mir zu.
"Hä, was ist daran jetzt so lustig?" Okay, er hatte es wirklich nicht gerafft und das, obwohl er in solchen Sachen eigentlich immer ziemlich fix war.
"Naja, du kannst sie dann immer Tommartenmark rufen.", gluckste ich und hielt MP meine Hand zum Einschlagen hin.
Es war der Hammer, als er jetzt die Augen aufriss und zwischen mir und MP empört hin und herschaute "Boah, ihr habt doch echt den gleichen kranken Humor. Das ist überhaupt nicht witzig, schließlich geht es hier um meine ungeborenen Kinder. Nur weil ihr wahrscheinlich nie welche haben werdet, müsst ihr nicht solche blöden Sprüche ablassen. Werdet doch glücklich auf eurem Regenbogen." Marco sprang auf und marschierte los. Oha, da war aber jemand ziemlich angepisst, dass er mal nicht der Sprücheklopfer war. Ich schaute auf meinen Teller und schob mir meine erste Gabel in den Mund. Boah, diese Pasta schmeckte ja wie alte Zeitung mit Kleister. Und das sollte ein fünf Sterne Hotel sein? Ich stocherte also weiter in meinem Essen herum, bis ich den Doc aufstehen sah. Na, dann würde ich ihm doch lieber folgen, als weiter das Essen zu zermanschen, obwohl es bei der Qualität wirklich nicht schade darum war.

Der Doc hatte mir eine Aspirin gegeben, die ich sofort geschluckt hatte und mich jetzt in mein Bett kuschelte. Obwohl kuscheln war irgendwie übertrieben, denn in Spanien gab es nur Lacken und total ungemütliche Decken. Ich vermisste total mein Federbett und noch mehr vermisste ich Mein Polster. Also wühlte ich mich wie ein Wattwurm durch mein Bett und konnte einfach nicht einschlafen. Da ich als einzige in den Vorzug eines Einzelzimmers gekommen war, konnte ich auch nicht damit rechnen, dass noch Abhilfe geschaffen wurde und MP sich zu mir schleichen konnte. Das wäre dann doch aufgefallen und hätte auch eine Menge Ärger bedeutet, wenn wir erwischt worden wären. Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit. Mein Handy vibrierte auf einmal.
Du fehlst mir Dornröschen. Ich kann gar nicht einschlafen. Ich hoffe du kannst wenigstens schlafen. Träum was Süsses. Bussi
Ich musste grinsen, dass es MP genauso ging wie mir. Wir hatten uns so wie es aussah beide an unser Plus-Kuschel-Ding gewöhnt. Scheinbar war ich dann doch beseelt von dem Gedanken in einen Tiefschlaf oder auch eine Vollnarkose gefallen, denn ich wurde von unterschiedlichen Stimmen geweckt. Mühsam öffnete ich meine Augen. Manno, warum brummte mein Kopf denn so ? Stöhnemd versuchte ich mich aufzusetzen.
"Mensch Vicki, du glühst ja." Okay, das war die Stimme von MP, der scheinbar Eishände hatte.
"Ist ja kein Wunder. Du hast sie garantiert angesteckt.", meckerte Erik ihn sofort an. Wunderbar, was machten die beiden denn in meinem Zimmer?
"Was wollt ihr hier?" Na klasse, ich hörte mich ja wie eine heisere Krähe an.
"Wir haben uns Sorgen gemacht, weil du nicht zum Frühstück gekommen bist." Klar, Erik hatte immer den Auftrag von meinen Geschwistern ein Auge auf mich zu haben. Ich war ja auch noch nicht so alt, dass ich schon selber auf mich aufpassen konnte. Das konnte man mit knapp dreißig auf keinen Fall erwarten.
"Ich hole sofort den Doc." Klasse, jetzt hatte er auch noch von Meinem Protektor Verstärkung. "Obwohl nein, ich rufe gleich einen Krankenwagen und fahre mit ihr ins Krankenhaus." Och nö, der sollte mal nicht gleich übertreiben. Ich hatte nur eine kleine Erkältung, das war doch kein Drama. Es war  ja schließlich kein Männerschnupfen. Ich war eine Frau, also das starke Geschlecht. Uns machte nichts so schnell fertig. Mühsam schwang ich also meine Beine über den Bettrand und versuchte aufzustehen "Gebt mir fünf Minuten, dann bin ich im Trainingszelt." Ehe ich mich weiter bewegen konnte, wurde ich auch schon wieder auf das Bett zurückgedrückt.
"Nichts da, du legst dich schön wieder hin, du bist krank. Und ich kümmere mich um dich." Seit wann war MP denn so bestimmend? Außerdem wie wollte er das machen? Er musste doch trainieren. Kaum noch widerstrebend kuschelte ich mich zurück in mein Kissen und dämmerte wieder dahin mit dem Gedanken, dass Trainingslager wohl etwas gegen mich hatten.

Ein Schuss, ein Volltreffer    ✔Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt