12 - Independence - Night

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Es war tiefste Nacht, als sie den alten Dodge erneut durch die leeren Straßen des Vorortes von Independence lenkte.

In die erdrückende Stille hinein röhrte der Motor des Wagens und schnitt wie ein scharfes Messer durch wehrloses Fleisch.
Wenige Meter vor dem Haus des Polizisten-Ehepaars, erkannte sie im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung und des von Wolken verhangenen Mondes, dass direkt davor ein fremder Wagen parkte.
Ein schwarzer Escalade mit protzigen „Spinning Wheels" Felgen.
Er stand quer in der Auffahrt und blockierte so den BMW der Frau des Polizisten und somit auch das Auto in der Garage.

Das die Frau des Bullen auch wirklich das Haus verlassen hatte und auf dem Weg nach Boston, zu ihrer angeblich schwer erkrankten Schwester war, hatte sie kontrolliert.
Ein Anruf bei der Fluggesellschaft hatte gereicht.
Sie wollte eben keine Überraschungen erleben.

Als sie langsam an dem schwarzen SUV vorbei fuhr erkannte sie, dass der Fahrersitz noch besetzt war und der Motor lief.
Er wartete also auf jemanden, der sich noch im Haus befand.
Jemand, der dort noch etwas zu erledigen hatte, das Dunkelheit erforderte, denn im Haus selbst war kein Licht zusehen.
Auch der Escalde hatte die Scheinwerfer ausgeschaltet.

Das bedeutet nichts gutes, dachte sie besorgt.

Bevor der Mann in dem verdächtigen Auto noch misstrauisch werden konnte, gab sie wieder Gas und fuhr die Straße weiter hinauf.
Bis zur nächsten Kreuzung, an der sie ebenfalls die Scheinwerfer ausschaltete und den Dodge abstellte.
Bewaffnet mit ihrer bewährten Glock und dem Messer machte sie sich auf den Weg zu ihrem Ziel.
Die Kapuze ihrer Jacke zog sie dabei tief in ihr Gesicht.

Sie ging nur ein Stück über den schmalen Bürgersteig, bevor sie auf das Gelände eines leerstehenden Hauses abbog.
Sie wollte nicht durch Vordertür in das Haus eindringen, sondern über den Garten und dann durch die Terrassentür.
Ihr dunkler Weg führte sie durch mehrere Gärten.
Vorbei an befüllten Pools, gemauerten Grills, Kinderschaukeln und Sandkästen.
Alles Zeugen der heilen Familien-Welt der Vororte.

Zeugen der scheinbaren heilen Welt, denn überall gibt es das Böse.
Jeder hat eine dunkle Seite!
Selbst die angeblich so liebevollen Familienväter, die Abends noch länger im Büro blieben, nur damit sie die Sekretärin vögeln konnten.

Sie verzog angewidert das Gesicht.

Endlich stand sie in dem Garten, in den sie eigentlich wollte und konzentrierte sich wieder auf die bevorstehende Aufgabe.
Eine der letzten, bevor sie die größte und wohl auch gefährlichste in Angriff nehmen würde.

Vorsichtig schlich sie über die Terrasse zur großen gläsernen Tür.
Immer darauf bedacht keine Geräusche zu machen und im Schatten zu bleiben.
Kein zufälliger Blick aus dem Haus, von wem auch immer, sollte sie vorzeitig verraten.
Sie drückte sich ganz an den Rand der Tür, in die dunkelste Ecke.
Mit einem kurzen Blick durch das Glas erfasste sie alles im Wohnzimmer.
Sie hatte nicht erwartet dort zwei Personen im Dunkeln zu sehen.
Eine war an einen Stuhl gefesselt. Schräg dahinter erkannte sie die Umrisse eines Sofas.
Die andere, ein großgewachsener Mann mit Bodybuilder-Figur, stand davor, drehte ihr den Rücken zu.
Er sprach mit dem gefesselten Mann.
Was sie genau sagten, konnte sie nicht verstehen.
Der größere bewegte sich ein wenig zur Seite, so dass sie die Gestalt auf dem Stuhl erkennen konnte.
Das war ihre Zielperson.

Verdammt!
Was soll ich jetzt machen?
Einfach umdrehen und darauf hoffen, das Conan für mich den Bullen abknallt?
Verlockend!
Aber wie heißt es so schön ... wenn du willst, dass etwas richtig gemacht wird, dann mach es selbst!


Sie atmete einmal tief durch, bevor sie sich in eine günstige Schussposition begab, direkt hinter den breiten Rücken des großen Kerls.

Dafür musste sie sich allerdings aus ihrer Deckung begeben.
Einen kurzen Augenblick stand sie so im nun hell strahlenden Mondlicht und zielte durch das Glas auf den Fremden.
In der Scheibe der Terrassentür spiegelte sich kurzzeitig ihr Antlitz und sie sah in ein mageres Gesicht.
Ein Gesicht, dass von dunkelblauen Augen und von feinen Narben an einer Seite dominiert wurde.

Es ist jetzt nicht notwendig hübsch aus zu sehen. Ich verschwende keine Kraft mehr auf Äußerlichkeiten, dachte sie und wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu.

Aber nicht nur sie selbst sah sich, sondern auch für ihr eigentliches Ziel – den Polizisten - war sie in diesem Augenblick gut sichtbar.
Die Überraschung stand ihm zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht geschrieben, aber das reichte, um den anderen aufmerken zu lassen.
Er drehte sich blitzschnell um.

Seine bereits gezogene Waffe war fast schon in Position, als sie den Abzug ihrer Glock betätigte und drei Kugeln den Lauf verließen.

Die Erste durchschlug das Glas und danach irgendwo in die Wand ein.
Die beiden anderen trafen ihr Ziel.
Der große Kerl fiel um wie ein Baum.

Erst als sie über die Scherben der Glastür hinweg in das Zimmer trat, sah sie, dass der Polizist auf dem Stuhl auch geknebelt war.
Sie ging näher an ihn heran.

Er sah direkt in ihre Augen und sie verrieten Überraschung und Dankbarkeit.
Dankbarkeit für die unverhoffte Rettung in letzter Sekunde.
Plötzlich wechselte sein Blick weg von ihr, hinunter zu dem – vermeintlich -Erschossenen.
Sie vernahm ein Stöhnen hinter sich.

Ist der Typ immer noch am Leben?, dachte sie überrascht.
Nun, nicht mehr lange!

Sie drehte sich herum um ihr Werk zu vollenden.

Der Mann war von mindestens einer ihrer Kugeln in den Oberkörper getroffen worden, aber die Muskelberge mussten ihn irgendwie vor allzu großem Schaden bewahrt haben.
Trotzdem verlor er einiges an Blut und würde wahrscheinlich sterben, wenn er nicht bald Hilfe bekam.
Bodybuilder Körper hin oder her.
Die Waffe des Mannes lag irgendwo im Zimmer.
Außerhalb seiner Reichweite.
Er wusste das, aber trotzdem war er gefasst.
Er lag auf dem Rücken, sah sie einfach nur ruhig an und wartete.

Worauf wartet der Arsch nur?

Sie richtete die Waffe auf ihn, bereit jeden Moment abzudrücken.
Dann, plötzlich wanderten seine Augen flüchtig zu einem Punkt hinter ihr und ein boshaftes Grinsen schlich sich in seine osteuropäischen Gesichtszüge.

Bevor sie reagieren konnte, hörte sie das Klacken eines Entsicherungshahns.

Scheiße!

Sie fand gerade noch die Zeit sich halb zu ihrem neuen Gegner umzudrehen, als sie auch schon nach hinten gerissen wurde.
Die Waffe noch auf dem Weg zur angedachten Schussposition, spürte sie bereits den bekannten, brennenden Schmerz in ihrer Brust.
Sie landete unsanft neben dem Sofa.

Mit was hat der Kerl denn geschossen?
Ner Kalaschnikow?


Literweise Blut quoll urplötzlich aus mehreren Wunden, bedeckte schon komplett ihr schwarzes T-Shirt und füllte ihre Lungen.
Luftholen war fast unmöglich.
Sie spuckte Blut.
Ihre Lippen zitterten, wie ihr gesamter Körper vor Schmerz und Schock.
Ihr flacher Atem kam nur noch stoßweise und röchelnd.
Rötlicher Schaum stand vor ihrem Mund.
Sie ertrank gerade in ihrem eigenem Blut.

In ihre immer kleiner und leiser werdende Welt schob sich eine Gestalt.
Schmal und blass.

Der Schütze!

„Das ist ja ein Mädchen!", rief der blasse Typ erstaunt und auch etwas belustigt mit seinem russischen Akzent aus.

Und zu seinem verletzten Kumpan:
"Hey, Sergey! Ein Mädchen hat dich angeschossen! "

„Ja, ich weiß. Erledige die Schlampe jetzt, ok?"

Er lächelte kalt auf sie hinunter und hielt ihr eine brandneue Strike One vors Gesicht, um ihr den Rest zu geben.

Fuck!

Kurz bevor er abdrücken konnte, wurde er von den Beinen gerissen.

Der Polizist hatte sich befreien können, als beide abgelenkt waren und hatte den Schützen mit einem gezielten Tritt gegen das Knie von den Beinen geholt.
Dabei flog die Pistole im hohen Bogen hinter das Sofa.
Der Polizist lieferte sich mit ihm einen heftigen Faustkampf, der sie aus dem Wohnzimmer hinaus in den angrenzenden Flur und später sogar in die Küche führte.

Doch all das bekam sie nicht mehr mit, denn ihre Welt, ihr Denken, ihr Leben hatte vor wenigen Sekunden geendet.

Mit einem kurzen Erschaudern ihres Körpers war ihre Existenz erloschen.
Einsam und qualvoll war sie in diesem fremden Haus gestorben.
Ohne Freunde oder Familie an ihrer Seite.
Allein und verloren war sie in die Dunkelheit gegangen.

SeelenQual - Dark Heroes Rising || Supernatural FanFiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt