27 - Deinen Größten Feind Erschaffst Du selbst

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Der Impala benötigte nur gut zehn Minuten bis zu Johnnie's Drive Inn und es verging keine Minute, in der Dean nicht über seinen vermeintlichen Fehlschuss oder das fehlende Einschussloch nachgrübelte.
Es ließ ihm einfach keine Ruhe.
Fast wäre er sogar am an der Einfahrt zum Parkplatz vorbei gefahren, hätte Sam ihm nicht gerade noch rechtzeitig einen Wink gegeben.
Direkt neben dem Parkplatz stand ein kleines, einstöckiges Gebäude.
Es war kaum mehr als eine Hütte und das Werbeschild an der Straße war fast größer, als die Vorderseite des Drive Inn's.
Aber es war Elvis' bevorzugter Burger Laden gewesen und die Besitzer ließen auch keinen ihrer Gäste darüber im Unklaren.
Ob nun im beengten Innenraum der Burger-Bude alles mit Photos und Blechschildern des Kings geschmückt war oder ob draußen an der Straße eine bunte, überdimensionale Plastik-Gitarre mit Warhol-Artigen Elivs Köpfen geschmückt, fast den kompletten Gehweg davor versperrte.
Dem King konnte hier in Tupelo keiner entkommen!
Dean stellte den Impala auf dem kleinen Parkplatz direkt neben Johnnie's Drive Inn ab.
Kaum ausgestiegen steuerte er auch schon auf den unspektakulären Eingang zu.

"Hey, Dean", hielt Sam seinen Bruder zurück. „Wie setzen uns draußen hin. Drinnen ist es etwas ... zu familiär. Wenn du weißt, was ich meine."

Klar wusste er es!

Sam ging rechts am Eingang vorbei, auf die Vorderseite des Ladens zu.
Dean folgte ihm stumm.
Und wie schon die ganze Zeit während der Fahrt zum Diner warf auch jetzt ein Teil von ihm auf diesem kurzen Weg immer wieder die Frage auf, wie um alles in der Welt er nur hatte vorbei schießen können?
Er war ein hervorragender Schütze, die Distanz war kurz und das Ziel nah gewesen. Sogar die kleine Bewegung Valerie's hätte keine Auswirkung haben dürfen, denn in seiner Besorgnis hatte er direkt auf ihr Herz gezielt.

Wie also ist das passiert?
So in Gedanken versunken stiefelte er Sam einfach hinterher, bis er registrierte, dass sein jüngerer Bruder stehen geblieben war.
Offenbar waren sie am Ziel angelangt.
Unter einem Wellblechdach standen zwei runde, weiße, Tische aus Beton, die von je drei gebogenen Sitzbänken aus dem selben Material umschlossen wurden.
Die aufgehende Sonne tauchte die Sitzecke in ein angenehm goldenes Licht und hatte glücklicherweise auch bereits die Bänke erwärmt.
Die beiden Winchesters setzten sich an den rechten der beiden Tische, in der Nähe der Drive Inn Zufahrt und nicht zum Parkplatz hin.
Eine Quelle ungebetener Zuhörer weniger, denn die beiden Winchesters wollten vor dem eigentlichen Treffen mit Valerie noch eine einheitliche Marschrichtung festlegen. Oder es wenigstens versuchen.
Der nicht unerhebliche Verkehrslärm der Hauptstraße erschwerte es glücklicherweise aus mehr als zwei Metern Entfernung ein klares Wort zu verstehen.

„Also," begann Dean das Gespräch, welches er eigentlich schon im Wagen beginnen wollte, aber da hatte er über etwas anderes nachgegrübelt „was hältst du von der ganzen Sache, Sam?"
Ihm schwirrte die Sache mit der Kugel zwar immer noch im Kopf rum, wollte es aber trotzdem nicht so deutlich ansprechen.
Bevor Sam allerdings antworten konnte, setzte er nach: „Ich meine Val sieht echt Scheiße aus! Was ihr wohl zugestoßen ist in den letzten ... wie viel ... zwei Jahren?"

„Was es auch war, jetzt ist sie hier! Sie lebt – und Verdammt, dass war wirklich nicht unser Verdienst – und ich denke sie braucht unsere Hilfe, Dean!"

Der Ältere studierte Sam's Gesicht und versuchte zu ergründen, was sein Bruder damit wohl genau meinen könnte. Dann glaubte er es erkannt zu haben.

„Meinst du damit etwa ... wir sollten sie in den Bunker lassen?", fragte er sichtlich überrascht und unbegeistert.

„Sie hat dich vor einem schlimmen Ende bewahrt, hat den Kindern und uns damals dort in der alten Fabrik das Leben gerettet und ihr eigenes dafür riskiert.
Meinst du nicht wir schulden ihr was?", entgegnete Sam leicht gereizt auf Dean's offene Zweifel.

Kann er denn keinem vertrauen?, fragte sich Sam.
Selbst ihr nicht, obwohl sie ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet hat?

Ich will ihr doch vertrauen, aber ....
Wieder stiegen die Gefühle in Dean empor, die er versucht hatte zu begraben.
Vielleicht hatte sein Bruder ja wirklich recht.
Jetzt brauchte Val offensichtlich Hilfe. Und zu was würde es ihn machen, ausgerechnet dieser Frau jetzt seine Hilfe zu verwähren?

Obwohl Sam äußerlich den Eindruck erweckte sich wieder gefangen zu haben, herrschte doch in ihm immer noch helle Aufruhr.
Er hatte wirklich bis vor wenigen Tagen fest geglaubt das Thema Valerie sei für immer erledigt.
Tod und begraben.
Auch wenn es schmerzhaft für ihn gewesen war, so hatte er einen Abschluss gefunden.
Bis Cas mit seiner Entdeckung wieder ihre Bilder in ihm herauf beschwor.
Selbst bis vor einer Stunde, bis er ihr gegenüber gestanden hatte, hatte er gedacht, seine Gefühle für sie überwunden zu haben.
Besonders, da er wusste, wie viel Dean wirklich für sie empfunden hatte und anscheinend immer noch empfand. Obwohl er versuchte es zu verstecken.
Doch er kannte ihn einfach zu gut.
Ihm konnte er nichts vormachen.
Dean liebte Valerie immer noch!
Um so überraschter war er, dass ausgerechnet Dean so ungewöhnlich misstrauisch war.
Verschwieg er ihm etwas?

Bevor sie die Sache klären konnten, wurden beide Winchesters durch ein lautes, sonores Motorengeräusch abgelenkt. Es war eindeutig ein Motorrad, das diesen Sound mit einem leicht heiseren Unterton produzierte.
Und es war keine einheimische Harley Davidson, die sie da hörten. Es musste etwas europäisches sein.
Und es näherte sich schnell.
Verdammt schnell!
Der Fahrer schien sich nicht besonders um die hier herrschende Geschwindigkeitsbegrenzung zu scheren.

Dean ahnte bereits wer da nahte, bevor er das Motorrad überhaupt sehen konnte.
Ein Blick in Sam's Gesicht verriet ihm, dass sein Bruder die gleiche Eingebung hatte.
Dann wurde Dean's Vermutung zur Gewissheit, als eine schwarze, britische Norton Commando die Straße herunter geschossen kam und es gerade noch rechtzeitig schaffte zu bremsen – begleitet von einem radierendem, querstehenden Hinterrad – bevor die Britin – fast wie eben der Impala – an der Einfahrt zum Parkplatz des Diners vorbei raste.
Das Motorrad bog in halsbrecherischem Tempo von der sonnenbeschienen Straße auf den Parkplatz ab.
Der Fahrer lenkte es trotz der hohen Geschwindigkeit geschickt direkt neben den schwarzen Impala, wo es mit fast abhebenden Hinterrad zum Stehen kam.
Zwei Oldtimer, zwei Ikonen ihrer Zeit, standen nun einträchtig neben einander.

Einigen der Autofahrer, die noch auf dem Parkplatz standen, war sowohl die gewagte Aktion des Motorradfahrers, als auch das Motorrad selbst aufgefallen, so dass nun einige interessiert hinüber sahen.
Der Fahrer der Norton, eine schlanke Gestalt in schwarzer Jeans und schwarzer Lederjacke, ließ den Motor ersterben.
Die Hand, die den Schlüssel aus dem Zündschloss zog, zitterte plötzlich.

Nein, nicht jetzt!
Es ist noch viel zu früh!


Sie atmete mehrere Male tief ein und aus und versuchte so die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Sie durfte jetzt keine Anzeichen ihres „Zustandes" zeigen.
Sie durfte die beiden Brüder unter keinen Umständen misstrauisch machen.
Sie konzentrierte sich, so wie Constantin es sie in den letzten Tagen vor seinem Tod gelehrt hatte. Als hätte er geahnt, was kommen würde.
Wenn sie so wenigstens die nächste Stunde überstehen würde, war schon viel gewonnen. Diese Konzentrationsübung hatte ihr auch vor wenigen Minuten geholfen die Schussverletzung zu heilen.
Glücklicherweise hatte die Kugel durch ihre kleine Seitwärtsbewegung ihr Herz verfehlt und war in einer Rippe stecken geblieben.
So hielt sich der angerichtete Schaden und die dafür zur oberflächlichen Heilung verschwendete Energie in vertretbaren Grenzen.
Und auch jetzt stellte sich der gewünschte Effekt ein.
Wenige Augenblicke später hatte sie wieder die volle Kontrolle über sich und ihren Körper.
Wenigstens vorläufig.

Als dann wenig später endlich der schwarze Jethelm, das ebenfalls schwarze Halstuch und die Fahrerbrille das Gesicht freigaben, waren die Meisten der Anwesenden überrascht, nun
eine junge Frau vor sich zu sehen, die dieses schwere Motorrad pilotiert hatte.
Von den staunenden Blicken der paar Autolenker vollkommen unbeeindruckt, zog sie sich noch die Handschuhe aus, verstaute diese im Helm, das Tuch zog sie nur nach unten, damit es
die breite Narbe am Hals verdeckte und setzte sich noch eine Sonnenbrille auf.

Dieses verdammte helle Sonnenlicht!
Sie vermisste ihren Kapuzenpulli, den sie im Rucksack verstauen musste, denn er trug ein kleines, verräterisches Loch in sich, welches glücklicherweise in der Gasse keiner der beiden Brüder gesehen hatte.

Trotzdem schlenderte sie äußerlich entspannt um den seitlichen Eingang des Drive Inn's herum, direkt zu den beiden Brüdern, die sie bereits draußen hatte sitzen sehen.

„Hi, Jungs!", begrüßte sie die beiden und setzte sich auf die freie Bank, mit dem Rücken zur Straße.

„Nettes Motorrad", bemerkte Dean. „Ne Britin, hä?"

„Yep. Nachdem ich meine Ducati ja in gute Hände gegeben hatte, musste ich mir was anderes besorgen. Und da ist mir doch zufällig in Europa dieses Schmuckstück ... über den Weg gelaufen."

Wie sie das „in gute Hände" betonte gefiel Dean gar nicht. Es hinterließ einen bitteren Geschmack des Vorwurfs bei ihm.
Aber nicht nur bei ihm.
Sein Bruder wirkte auf ihn sogar noch verlegener, als er hätte sein sollen. Es war ja immer nicht so, als ob sie hätten ahnen können, das sie noch lebte!
Bei der Explosion!

In diese eisige Stimmung hinein platze die Bedienung.
Eine freundliche junge Dame mit zu einem Knoten gebunden brünetten Haaren, einer dunkelroten Bluse mit beige farbigen Nähten am Kragen und einem eierschalenfarbenen Rock trat an den Tisch heran.
„Ich wünsche ihnen einen wunderschönen Guten Morgen. Es ist wirklich herrlich heute, nicht war?"
Als sie von keinem der Gäste eine Reaktion erhielt, fuhr sie ihren Mitteilungslevel herunter. Sie räusperte sich etwas verlegen, bevor sie fortfuhr.
„Ähm ... also was darf ich den werten Herrschaften bringen?", fragte sie erneut und sah erwartungsvoll in die Runde. Den aufgeklappten Block und schreibbereiten Stift in den Händen.

Dean antwortete als erster.
„Also ich hätte gern ihren größten Burger und einen Kaffee."

Sam sah ihn nur verständnislos an.
„Einen Burger zum FRÜHSTÜCK? Echt jetzt, Dean?"

Doch der zuckte zur Antwort nur mit den Schultern.

Die Bedienung richtete jetzt ihren fragenden Blick auf Sam.
„Also ich ... ähm ... haben sie Pan Cakes?"

Die Bedienung nickte.
„Also gut, dann nehme ich die Pan Cakes und auch einen Kaffee."

Jetzt war die Reihe an Valerie.
„Einen Kaffee."

„Mehr nicht?", fragte Sam neugierig.

„Das reicht mir", antwortete sie.
Und als Sam sie immer noch fragend an sah, setzte sie noch hinzu,
„Wirklich, Sam. Das ist genug."

„Wir laden dich auch ein, Valerie", rutschte Sam raus.

Als er aber sah, das Valerie schon mehr als nur leicht genervt von dem ganzen Hin und Her war, beschloss er die Sache nicht weiter zu verfolgen und entließ die Bedienung mit einem: „Das war's dann."

Die junge Dame notierte sich auch noch die letzte Bestellung und überließ die Gäste wieder sich selbst.

„Also, was hast du in diesem Theater gemacht?", wollte Dean wissen, sobald sie außer Hörweite war.

Direkt wie immer, schoss es Sam durch den Kopf.
Kein: wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen oder was ist passiert?
Wir hatten gedacht du seiest Tod.


Doch anstatt zu antworten, kramte Valerie erst mal in aller Ruhe eine schwarze Metallbox und ein Sturmfeuerzeug aus ihrer Jacke und legte beides auf den Betontisch vor sich.
In der Metallbox befanden sich ihre Zigaretten. Sie nahm eine einzelne heraus und zündete sie, betont langsam, mit dem Sturmfeuerzeug – ebenfalls schwarz – an.
Sie wusste, dies würde Dean auf die Palme bringen.
Genüsslich zog sie den Rauch in ihre Lungen.
Dabei beobachtete sie Dean auf eigenartige Weise. Als würde sie gezielt nach dem Zeitpunkt suchen, an dem er kurz davor war zu explodieren.

Na, lange dauert das nicht mehr, dachte Sam.
Was hat sie nur vor?

„Das Selbe könnte ich euch auch fragen, oder?", war nach einer gefühlten Ewigkeit ihre ganze Antwort.
Dean war kurz davor die Beherrschung zu verlieren.
Sam sah es an seinem verkniffenen Mund, an dem Funkeln in seinen Augen und in jeder seiner kleinen, unbewussten Bewegungen.

Sie treibt es wirklich auf die Spitze!
Sie hat Dean ja früher schon gerne geneckt, aber das hier hat eine neue Dimension.
Und es ist nicht lustig!


Keiner der beiden würde das Spiel so schnell aufgeben. Aber sie mussten irgendwie weiter kommen.
„Wir waren dort, weil wir hinter einem Monster her sind. Es hat in diesem Theater viele Menschen auf bestialische Art ermordet."

„Zwölf!", murmelte sie.

„Was?", fragte Dean verwundert.

„Es waren zwölf Opfer!"

„Woher ...", weiter kam Sam nicht.

„Ich bin auch auf der Jagd, wisst ihr. Da muss man über alles unterrichtet sein. Und wisst ihr, ich denke, wir könnten hinter dem selben Täter her sein."

Das klang für Sam einleuchtend.

Doch Dean bohrte weiter.
„Was also hast du da genau gemacht und warum bist du weggelaufen?"

Valerie's Blick sagte: „Was ähnliches könnte ich euch jetzt fragen, nicht war? Warum habt ihr mich verfolgt?"
Aber glücklicherweise tat sie es nicht.
„Mir nimmt man den Fed nicht ab, so wie euch. Ich bin auf andere Ermittlungsmethoden angewiesen. Mehr Arbeit auf der Straße, wenn ihr wisst, was ich meine?"

In der Tat wussten beide Winchesters, was sie damit sagen wollte, aber sie dachten auch, dass sie es so auf keinen Fall bis hier her geschafft haben konnte.

Nicht allein!
Sie lügt!


Und genau das drückten ihre Gesichter unmissverständlich aus.
Valerie war klug genug die kleinen Anzeichen darin richtig zu deuten und ihre Zweifel sofort auszuräumen.

„Nun ... ähm, um der ganzen Wahrheit die Ehre zu geben hatte ich auch ... ein wenig Hilfe von einem alten Bekannten, der bei Interpol arbeitet."
Auch jetzt regte sich kaum etwas bei Sam oder Dean.
„Hey, ihr habt doch auch Kontakte bei der Polizei, oder? Ich denke da mal an Sheriff Mills! Dieser besondere Bekannte hat mir eben noch was .... geschuldet ... um alter Zeiten willen."

Langsam kam jetzt doch Bewegung in die beiden Brüder.
Sie schienen ihre Geschichte nun eher zu glauben.
Jedenfalls Sam.

„Vielleicht können wir ja unsere Ergebnisse mit einander ... teilen, mh?"

Die Winchester's hielten stumme Zwiesprache.
Fragende Blicke trafen auf hochgezogene Augenbrauen und ein leichtes Zucken mit der Schulter. Dean nickte dann irgendwann kaum merklich und gab seinem Bruder damit sein Einverständnis.
Sam überlegte wie viel er ihr wirklich erzählen sollte; bis wohin Dean's Einverständnis reichte.

Das kann ich wohl auch allein entscheiden.
Dafür brauche in ihn nicht!


„Also, der Täter hat bereits weit über vierzig Menschen auf dem Gewissen. Erst schlug er in Europa zu. Seine ersten Morde tarnte er noch als Unfälle. Aber irgendwann hat er sich diese Mühe nicht mehr gemacht."

„Richtig, in Europa bin ich auch auf ihn aufmerksam geworden. Ich habe mich aber immer gefragt warum er seine Vorgehensweise geändert hat.
Serienmörder tun so etwas äußerst selten", antworte Valerie, zog beiläufig an der Zigarette und blies den Rauch genau in Dean's Gesicht.

Schon wieder eine bewusste Provokation, realisierte Sam.
Sie weiß er hasst das!

„Du weist, das wird dich irgendwann umbringen!", reagierte Dean gereizt.

„Wohl eher nicht, Dean!", antwortete sie herablassend.

Dean's Gesicht sprach Bände.
Ja, vermutlich hat sie recht! Nachdem, was sie alles schon überlebt hat ....

Die Luft zwischen den Beiden schien zu knistern. Sie war kurz davor Feuer zu fangen!
Sam räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, denn die Bedienung kam mit einem Tablett voller Essen an ihren Tisch und ein Gespräch über Morde war nun wirklich das Letzte, das sie mit anhören sollte.

„So. Da hätten wir einmal den BBQ XXL Burger und einen Kaffee."
Der riesige Teller und ein ebenfalls riesiger Becher Kaffee materialisierten fast aus dem Nichts direkt vor Dean.
Er hatte die Bedienung wirklich nicht wahrgenommen und war dementsprechend überrascht.

„Hier die Pan Cakes und den Kaffee ...."
Die Junge Frau stellte nun Sam's Bestellung geschickt auf den Tisch.

„Und hier nur der Kaffee."
Auch die einsame, aber große Tasse schwarzen Kaffees fand ihren Weg auf den Tisch, direkt vor Valerie.

„Also, warum hat er seine Vorgehensweise geändert und die Morde nicht mehr getarnt?", fragte Valerie nachdem die Bedienung wieder außer Hörweite war.

Sam brauchte eine Weile, bis er den Bezug wieder herstellen konnte.
„Ähm, das wissen wir auch nicht so genau, aber wir nehmen an, dass ... es ihm irgendwann einfach egal war."

„Und wie habt ihr dann überhaupt die Verbindung zwischen all den Fällen herstellen können?"

Das war eine heikle Frage, die Dean für Sam beantwortete.
„Sagen wir mal, wir hatten da etwas Beistand."

„Ich gehe mal nicht davon aus, dass du das näher erklären möchtest, oder?"

Von beiden kam keine Antwort auf ihre Frage.
Dean hatte außerdem auch schon hungrig in seinen Burger gebissen.

„Ok. Aber vielleicht könnt ihr mir ja bei der wichtigsten Frage helfen?"

„Und die wäre?", antwortete Dean vorsichtig und immer noch mit vollem Mund.

„Warum tötet er all diese Menschen? Darüber zerbreche ich mir schon die ganze Zeit den Kopf. Sie haben anscheinend nichts gemeinsam. Aber irgendetwas muss sie trotzdem verbinden. Nur was?"

„Propheten", murmelte Sam, der sich ebenfalls jetzt seinen Pan Cakes gewidmet hatte und erntete von Dean einen vernichtenden Blick, der sagte: „IDIOT!"

„Bitte?", fragte Valerie hellhörig.

Sam antwortete ihr trotzdem.
„Es sind ... waren alles zukünftige Propheten, Valerie!"

„Propheten? Echt jetzt?"

Sam nickte nur.

„Kommt Leute! Ihr wollt mich doch verarschen!"

Keiner der Winchester's antwortete darauf oder lächelte auch nur.
Nicht mal ansatzweise.

„Oder?

Aber beide Brüder schüttelten synchron die Köpfe.

Verdammt! Konnte das wirklich stimmen?, fragte sie sich.
Für den Bruchteil einer Sekunde nagten Zweifel an ihr.
Nein!
Sie lügen! Wie er es vorhergesagt hat!
Keiner der beiden vertraut mir mehr.
Sie stehen nun auf der anderen Seite.
Wenn ich ihr Spielchen mitspiele bekomme ich vielleicht mehr aus den Beiden raus.

„Aha, Propheten also," gab sie ungläubig und etwas belustigt von sich.

„Ja. Zukünftige Propheten des Herrn, Valerie. Ehrlich!", versetze Sam ernsthaft.

Sie hob beschwichtigend die Hände und meinte nur, „Also wenn ihr davon überzeugt seid .... wer bin ich dann euch zu widersprechen."
Ein leicht süffisantes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
„Und was habt ihr jetzt vor? Wie wollt ihr den Täter finden, bevor er auch den letzten Propheten tötet?"

Jetzt war es an Sam und Dean hellhörig zu werden.

SCHEIßE!
Das war ein Fehler!
Ich kann mich kaum noch konzentrieren.
Ich muss bald hier weg!


„Ich meine er wird doch bestimmt noch nicht fertig sein, oder? Wie wollt ihr ihn denn dann ... unschädlich machen?"

„Das sehen wir ... wenn es so soweit ist, Val", antwortete Dean reserviert.
Er biss ein weiteres großes Stück von seinem Burger ab und begann hingebungsvoll zu kauen.

Der jüngere Winchester beobachtete, wie sich etwas begann in Valerie aufzustauen und lenkte frühzeitig dagegen.
„Also auf einige dieser Fragen haben wir auch noch keine Antworten, aber wir tun unser Bestes die Verblieben erst mal in Sicherheit zu bringen", antwortete Sam schnell für seinen Bruder, der
im Begriff gewesen war etwas zu erwidern, was wahrscheinlich nicht so versöhnlich ausgefallen wäre. Damit wollte er die eh schon zwischen Valerie und Dean angeheizte Stimmung etwas abkühlen.
Eine Eskalation würde keinem helfen!

Doch es schien nicht recht zu funktionieren, denn Valerie schnaubte verächtlich:
„Sicherheit! Ihr wisst schon, dass das wahrscheinlich kein normales Monster ist, mit dem ihr euch da angelegt habt, oder? Wie wollt ihr denn überhaupt eure teuren Propheten beschützen, wenn ihr nicht mal genau wisst vor was?"

„ ... "

„Und wie könnte es irgendwo sicher genug sein, wenn ihr selbst nicht mal wisst vor was eigentlich ihr euch schützen müsst und wie???"

„ ... "

So, jetzt ist es wohl Zeit auf die Mitleidstour zu wechseln.
Jedenfalls bei Sam könnte es funktionieren.


In einem Anflug von gespielter Verzweiflung nahm sie die Sonnenbrille ab und legte einen besonders müden Gesichtsausdruck an den Tag, als sie ihre Augen schloss.
Zur Unterstützung und ließ sie noch ihre rechte Hand mit einem leichten Zittern – das kam immer gut und war jetzt sogar nicht gänzlich gespielt – über ihre Stirn und Nasenwurzel streichen, bevor sie dann mit einem tiefen Seufzer die Sonnenbrille wieder aufsetzten wollte. Doch mitten in der Bewegung verharrte sie.
Nacheinander sah sie die beiden Brüder, die immer noch stumm am Tisch saßen, an.
„Also anscheinend seid ihr nicht wirklich daran interessiert Informationen zu teilen!"
Sie stand mit etwas wackeligen Beinen auf.

Sam bemerkte es stirnrunzelnd.
Dean war es, wenn er es überhaupt bemerkt hatte, sichtlich egal.

„Oder diesen ach so sicheren Ort ...", murmelte sie augenscheinlich mehr zu sich selbst, als sie sich mit unsicheren Bewegungen an Sam's Sitzbank vorbei drückte.
Dabei musste sie sich kurz auf seiner Schulter abstützen, um nicht den Halt zu verlieren.

Das können sie jetzt nicht mehr ignorieren!

Und Sam tat es auch nicht!
Er stand sofort auf, stütze Valerie und schob sie wieder auf ihre Bank zurück.

Er ist so hilfsbereit!
Wie damals!

„Valerie! Es geht dir nicht gut! Setz sich wieder hin. Bitte!"

Dean beobachtete immer noch misstrauisch die Szene.
Sam legte seine rechte Hand auf die ihre.
Er versuchte ihr dadurch etwas Zuversicht und Wärme zu vermitteln. Ihr etwas von dem zurück zu geben, das sie damals so großzügig an sie beide verteilt hatte.
Er konnte ihr doch ausgerechnet jetzt, wo es ihr offensichtlich schlecht ging, nicht ihre Hilfe verweigern. War es denn nicht ihr Familienmotto Menschen zu retten?

Wie kann ausgerechnet Dean nur so kalt und abweisend zu ihr sein?

„Was ist damals eigentlich geschehen?", fragte Sam mitfühlend interessiert.

„Wir dachten du seiest Tod, Val", warf Dean emotionslos ein.
In seiner Stimme schwang wenig Mitgefühl oder gar Erleichterung mit.

Da ist nichts mehr zwischen uns, oder Dean?, fragte sie sich.

„Ja, wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen, Valerie?", wollte Sam wissen.
Er wusste diese Frage oder vielmehr ihre Antwort darauf konnte für ihn unangenehm werden, doch das war ihm jetzt egal. Er wollte ihr beistehen, ihr zeigen, dass er sich sorgte, für sie da war.
Wenn schon nicht damals, dann wenigstens jetzt!

Einen Augenblick sah sie abwechselnd die beiden Brüder an und blieb bei Sam hängen, bevor sie ruhig antwortete.
„Du meinst NACHDEM mir bewusst wurde, dass ihr beide nicht nach mir sucht? Das ich von euch keine Hilfe zu erwarten habe und auf mich allein gestellt bin?", antwortete sie voller Bitterkeit.

Sam sah betreten in seinen Kaffeebecher und von Dean hörte man nur ein lapidares: „Wir wussten doch nicht, dass du die Explosion überlebt hattest."

Sam schlucke schwer und sah zuerst noch tiefer in seinen Kaffee, bevor er direkt ihre Augen fixierte und sie stumm bat ihn seinem Bruder gegenüber nicht zu verraten. Seine Verfehlung, seinen Verrat nicht zu offenbaren.

„Klar, konntet ihr das ... nicht wissen."

„ ... "

„In den letzten zwei Jahren ist sehr viel geschehen. Zu viel, um euch jetzt und hier alles zu erzählen. Aber um es kurz zu machen: Die Explosion damals war ein Ablenkungsmanöver.
Mein .... Mentor hatte Kontakt zu einer Organisation hergestellt, die in der Lage war mich in Europa zu verstecken und mich vor den Dämonen zu beschützen.
In ihrem Hauptquartier, einem alten Kloster in den Pyrenäen, hatte ich ein paar lehrreiche und, ja, auch schöne Monate, bevor ...", ein verträumter Ausdruck stahl sich auf ihre Gesicht, der je in tiefe Trauer umschlug, „diese Mistkerle mich doch irgendwie fanden.
Auf der Suche nach mir haben sie alle, die sich im Kloster befanden getötet ...", nun sah Sam, dass diese Erinnerung sie zu tiefst bewegte, denn es fehlte nicht viel und sie würde weinen, „ auch Constantin.
Und auch vor den Einwohnern des nahen Dorfes haben sie nicht Halt gemacht. Keiner hat dieses Massaker überlebt. Nur durch einen Zufall bin ich alldem entkommen."
Mittlerweile starrte sie nur noch ins Leere.
Irgendwo zwischen Sam und Dean auf den Tisch. Sie schien nichts mehr um sich herum wahrzunehmen. War ganz und gar gefangen in der Vergangenheit und dem Schmerz, den die Erinnerungen mit sich brachten.
Keiner der Winchester's wagte es, sie zu unterbrechen.
„Sie hatten das Kloster bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Nur wenige Bücher konnte ich retten. Aber aus diesen habe ich einiges gelernt in der Zeit, in der ich mich verstecken musste.
In einer kleinen, kalten Höhle. Mitten im Winter!"
Ein humorloses Lachen entwand sich ihrer Kehle.
„Ich wäre dort fast erfroren, wisst ihr das?"

„ ... "

„Gefunden hat mich dann zufällig ein alter Schäfer. Er hat mich aufgepäppelt. Sobald ich mich wieder erholt hatte, nahm ich Kontakt mit meinem Bekannten bei Interpol auf.
Ich dachte er würde mir vielleicht helfen können, die Dämonen zu finden, denn immerhin war ja ein ganzes Dorf ausgelöscht worden und selbst in den Bergen fällt das auf. Doch alle Spuren verliefen im Nichts.
Bis ... ja bis ich zufällig auf diese anderen Todesfälle aufmerksam wurde. Irgendwie spürte ich, dass es einen Zusammenhang mit dem Übernatürlichen gab. Also verfolgte ich die Spuren, doch ich war immer einen Schritt zu langsam.
Ich war ihm ganz dicht auf den Fersen. Doch dann war er aus Europa verschwunden. Neue Vorfälle hier in den Staaten, von denen ich durch meinen Kontakt bei Interpol erfuhr, leiteten mich hierher.
In der Hoffnung ihn endlich zu stellen, bin ich ihm gefolgt und habe auch hier immer nur von ihm hinterlassenen Tod und Zerstörung gefunden.
Und dann ... ja dann bin ich zufällig euch wieder über den Weg gelaufen. Was für eine Fügung des Schicksals!"
Der letzte Satz troff nur so vor Ironie.

Lange sagte niemand auch nur ein Wort.
Die Luft war nur erfüllt vom Summen einiger Insekten und dem Krach der nahen Straße.
Valerie nutze den Zeitpunkt einen Schluck aus dem Kaffeebecher zu nehmen, der immer noch unangetastet vor ihr stand.
Schwarz.
Ohne Milch oder Zucker.

So passt er zu mir, dachte sie.

„Wie hast du es eigentlich geschafft dem Täter so nah zu kommen? Und was hat es mit dieser ominösen Verbindung zum Übernatürlichen auf sich, die du gespürt hast?", murmelte Sam leise und etwas abwesend.

„Komisch, nicht war, dass ausgerechnet DU das fragst, Sam?"

Sam blickte schon fast verschrocken auf und direkt in ihre herausfordernd blitzenden Augen.
Er ahnte worauf sie hinaus wollte.

„Worauf spielst du denn damit schon wieder an, Val?", fragte Dean gereizt.

Sam antwortete an ihrer Stelle.
„Du hattest Visionen, nicht war, Valerie?"

Sie nickte nur stumm und entließ Sam nicht aus ihrem Blick. Doch der hatte sich gewandelt hin zu müde, fast schon erschöpft.

So wie ich damals.
Oh mein Gott, nach allem was wir über diese fürchterlichen Morde wissen, will ich nicht Hoffen, dass sie alles gesehen hat!


„Ich habe ALLES gesehen, Sam! ALLES!", antwortete sie leise auf seine stumme Frage.

Die Hand, die immer noch auf der ihren lag, drückte mitfühlend zu.
Plötzlich brandete wieder dieses Gefühl in ihm hoch, das er schon seit Stunden verleugnet. Gegen das er nicht anzukämpfen vermochte, weil es so stark war.
Und trotzdem durfte er sich dem nicht hingeben.
Nicht jetzt!
Nie!
Für Dean!


Dean allerdings quittierte Sam's Geste mit einem eindeutig missbilligendem Gesichtsausdruck.
Es passte ihm offensichtlich nicht, dass sein Bruder wieder auf dieses Weib hereinfiel.
Aber da war noch ein anderes, das er sich aber nicht mehr eingestehen wollte.

Wer weiß schon, was sie wirklich ist?

„Was ist dir da passiert?", fragte Dean und deutete mit einer Hand an seinen Hals.

Valerie zog das Tuch und den Kragen ihrer Lederjacke etwas zur Seite, so dass man ungehindert die große Narbe an ihrem Hals sehen konnte.
„Du meinst das hier?"

„Genau das, Schätzchen!"

Gut, dass er fragt. Wieder ein Punkt für mich.

„Unglücklicherweise hatten meine ... Nachforschungen einen unangenehmen Nebeneffekt. Dämonen und jede Menge andere Monster sind seit einiger Zeit hinter mir her. Manchmal bin ich ihnen nur um Haaresbreite entkommen."
Sie grinste.
„Übrigens ein nettes Wortspiel, weil meine langen Haare mir das hier ..." sie deutete auf die Narbe an ihrem Hals, „damals eingebrockt haben."
Mit Schaudern schlichen sich die Erinnerungen an jene Nacht wieder in ihr Bewusstsein.
Die Nacht, in der die beiden Dämonen sie in ihrem Versteck, einem abbruchreifen Haus, gefunden hatten. Wie sie das geschafft hatten war ihr immer noch ein Rätsel, bei den Vorkehrungen, die sie getroffen hatte.
Aber sie hatte eine Ahnung, wie sie es ihnen gelungen sein könnte.
Dämonen-Sympathisanten, menschliche Helfer, menschlicher Abschaum, auf die ihre Hexen-Künste keine Auswirkungen hatte.
Fast wäre es ihr damals gelungen zu fliehen, doch einer der beiden Mistkerle hatten sie an ihren Haaren gepackt und sie den Gang entlang gezerrt.
Dorthin, wo sein Kumpan bereits mit dem Engelsschwert gewartet hatte.
Nichts hatte sie aus den stahlhart zupackenden Klauen des Dämons befreit, als er sie unermüdlich auf ihr Ende zu schleifte.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht hatte er zweite Dämon ihr dann die scharfe Klinge über den Hals gezogen.
Die letzten Worte, die sie noch vernommen hatte, bevor eine gnädige Ohnmacht sie umfing, war: „Viel Spaß beim verrecken, Hexen Schlampe!".
Sie hatten sie einfach dort zum Sterben zurückgelassen.
Das es nicht funktionieren würde, wussten zu diesem Zeitpunkt weder die beiden Dämonen noch Valerie selbst.

Sie riss sich von ihren Erinnerungen los und fuhr mit einem humorlosen, schiefen Grinsen fort.
„Leider ... ist es nicht dabei geblieben. Einige andere ... Andenken hab ich von diesen, immer häufigeren Zusammentreffen, auch behalten!
Eine vollständige Heilung war bis jetzt nicht möglich. Fehlende Zeit und ... Ressourcen. Wenn ihr wisst, was ich meine."

Die beiden Brüder wussten es nur zu genau.

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