64 - Meer der Stille

33 2 0
                                    

Der jüngere Winchester rannte so schnell er konnte durch die leeren Gänge, zurück zu Valeries Quartier.
Mandy folgte wenige Meter hinter ihm wie ein Schatten, obwohl er sie mit knappen Worten angewiesen hatte dort, hinter der Biegung in Sicherheit zu bleiben.

Unaufhaltsam näherte er sich seinem Ziel, jagte direkt auf eine seiner größten Ängste zu.
Kurz vor der letzten Gabelung, die ihn in den Korridor zu ihrem Zimmer führen würde, schlug sein Herz bis zum Hals.
Nicht vor Anstrengung, sondern vor Sorge um das, was er dort vorfinden würde.

Das Gleißen war schon lange verschwunden und dieser Gang wurde, wie auch die anderen, nur noch spärlich durch die Notbeleuchtung erhellt.
Geballte magische Energie hatte einige Sicherungen zum Schmelzen gebracht.

Trotzdem erkannte Sam sofort die zierliche Gestalt, die mehrere Meter von der Tür entfernt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag, als er in den Gang eintrat.

Sofort stürzte er auf sie zu und drehte sie vorsichtig herum.
Ihr blasses Gesicht erschien auf den ersten Blick ohne Leben zu sein.
Panisch streckte er seine Hand nach ihrem Hals aus, um seine schlimmste Befürchtung bestätigt oder wiederlegt zu sehen.

In diesem Moment trat Mandy neben Sam und sog scharf die Luft ein, als sie Valeries leichenblasses Gesicht erblickte.
Geschockt schlug sie die Hand vor den Mund. „Ist ... ist sie tot?", murmelte sie.
„Oh, Sam bitte sag, dass sie noch am Leben ist. Bitte."

Immer noch fuhren seine Finger liebevoll tastend über Valeries Hals.

Das kann nicht sein!, dachte er und suchte weiter nach dem erlösenden Pochen.
Das darf nicht sein!

Plötzlich hielt er inne.

War es da?

Seine Finger bewegten sich nur Millimeter weiter, verstärkten nur sanft den Druck.

Da!

Erleichtert atmete er auf.
Er hatte eine schwache rhythmische Bewegung in seinen Fingern gespürt, die eindeutig nicht zu ihm gehörte.
Sam blickte Mandy direkt in die tränenschwangeren Augen. „Sie ist am Leben."

Sanft hob er sie auf. Sie schien mit einmal noch leichter zu sein als letzte Nacht, als er ... die Erinnerungen daran ließen einen Schauer durch seinen Körper laufen.

Wie kann ich jetzt nur daran denken!, schalt er sich. Jetzt zählt nur, dass sie überlebt.
Für wen? Für dich oder deinen Bruder?, meldete sich eine ketzerische Stimme in ihm.

Sam schob alle diese Widersprüche beiseite und trug die zierliche Gestalt zurück in ihr Quartier, wo er sie liebevoll auf das Bett legte, dessen Laken von der letzten Nacht immer noch zerwühlt waren.
Besorgt betrachtete er lange die ohnmächtige Frau.

Bis er von Mandy, die auf der anderen Seite des Bettes stand, wieder in die Gegenwart zurück geholt wurde. „Sam, was ist mit ihr? Was können wir tun?"

„Ich ... ich weiß es nicht genau", log er Mandy an.

Was die Magie der Barriere mit ihr angestellt hatte, konnte er wirklich nur ahnen.
Was er aber mit Sicherheit wusste, war dass sie etwas verletzt hatte, denn als er sie zum Bett getragen hatte, bemerkte er außer etwas frischem Blut auf ihrem schwarzen T-Shirt auch einen frischen Verband darunter.

Wo kommt das nur her?, fragte er sich.
Die Magie, kann es nicht gewesen sein

Weil er das Mädchen nicht noch zusätzlich beunruhigen wollte, verschwieg er ihr vorerst die Wunde an ihrer Seite.
Um die Verletzung vor ihren Augen zu verbergen, hob er die dunkle Wolldecke, die letzte Nacht auf dem Fußboden gelandet war auf und bedeckte damit vorsichtig die bewusstlose Gestalt.

„Wir können ihr jetzt am Besten helfen, wenn wir versuchen es ihr so bequem wie möglich zu machen. Ihr Körper muss sich selbst heilen", erklärte er.
„Trotzdem werde ich gleich mal in den Sanitätsraum gehen und sehen, ob ich etwas finden kann, das uns hilft. Du bleibst so lange bei ihr und gibst kurz auf sie acht, ja?"

Mandy hatte ihre Augen nicht von Valerie's blassem Gesicht weichen lassen. Immer noch in diesen besorgniserregenden Anblick vertieft, nickte sie nur.

Sam legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter, als er an ihr vorbei ging.
„Alles wird wieder gut, Mandy. Das verspreche ich dir."

Dankbar für diese wenigen, aber wichtigen Worte blickte Mandy zu ihm auf. Tränen rannen ihr Gesicht entlang und zeichneten feine Linien auf ihre Haut.

Der jüngere Winchester war fast schon zur Tür hinaus, als er bemerkte, dass Mandy anstalten machte sich auf die Bettkante setzen zu wollen.
„Bitte halte vorsichtshalber Abstand zu ihr. Du kannst ... ähm von dem Stuhl da drüben auf sie achten, ok?"

Das Mädchen runzelte verwirrt die Stirn. „Warum?"

„Weil ...weil ich nicht weiß, wie sie auf dich als Prophet reagieren wird, nachdem sie all dieser magische Energie ausgesetzt war."
Er bemerkte, dass Mandy nicht begeistert davon war. „Es ist nur zu euer beider Schutz und ... auch nur vorläufig."

„Ok, wenn du meinst", stimmte die junge Frau murrend zu und setzte sich auf den Stuhl an der Tür, statt auf die Bettkante. Verstehen konnte sie es zwar nicht, aber wenn Sam daran gelegen war, würde sie das tun worum er sie gebeten hatte, und ihm nicht noch mehr Sorgen bereiten, als er eh schon hatte. Er hatte es zwar mit keinem Wort erwähnt, aber so wie er Valerie ansah, war ihr sofort klar, dass zwischen den beiden etwas lief. Die Frau mit den schwarzen, kurzen Haaren so verloren und zerbrechlich im Bett liegen zu sehen brach ihnen beiden wohl das Herz!

Sam beeilte sich zum Sanitätsraum zu kommen und lief die Korridore entlang so schnell er konnte. Auch wollte er Valerie nicht länger als nötig allein in Mandy's Obhut lassen. Wer wusste schon wie schnell sich ihr Zustand noch weiter verschlechtern konnte? Und dann? Er hatte Mandy wirklich schon genug Verantwortung aufbürden müssen!
Außerdem zerbrach er sich den Kopf, wie sie sich wohl diese Verletzung zugezogen haben könnte, denn offensichtlich hatte sie noch Zeit gehabt sie provisorisch zu versorgen. Es konnte also nur in dem Zeitfenster zwischen seinem Verlassen des Zimmers und dem „Angriff" der Magie geschehen sein. Doch zu dieser Zeit war sie allein gewesen.

Wie also konnte das überhaupt passieren?, fragte er erneut und wäre fast an der Tür um Sanitätsraum vorbei gelaufen, so vertieft war er in seine Gedanken.
In letzter Sekunde realisierte er die Schriftzeichen auf der Eingangstür, stoppte abrupt ab, stieß die Tür auf und machte Licht.

In Windeseile durchsuchte er den Raum.
In einer Ecke direkt neben dem Eingang entdecke er sofort einen Erste-Hilfe-Koffer. Dieser wanderte als erster auf den Tisch, in der Mitte des Raumes.

In einem Schrank an der rechten Wand fand er diverses Verbandsmaterial, sowie Desinfektions- und Betäubungsmittel in kleinen Glasflaschen, welche er vorsichtig auf den Tisch legte.
Der Schrank auf der anderen Seite des kleinen Raumes war bis auf einen kleinen Arztkoffer, der hauptsächlich mit Operationsbesteck gefüllt war, leer.

Nach noch einem schnellen, prüfenden Blich durch den Raum stellte er fest, dass er alles hatte, was er brauchte. Also packte Sam eilig einige der losen Flaschen und den größten Teil des Verbandmaterial in diesen kleinen ledernen Koffer und verließ zügig wieder den Sanitätsraum.
Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe die Tür zu schließen.

Beide Hände voll mit den beiden Koffern und den Geist angefüllt mit sorgenvollen Gedanken an Valerie hastete er durch die Korridore.
Zurück zu Ihrem Quartier.
Zurück zu .... was immer da jetzt auch auf ihn warten möge.

Endlich am Ziel angekommen, reichte ein Blick in das leichenblasse Gesicht der Frau, für die er so viel empfand, um zu wissen, dass schnelle Hilfe nötig war.
Wie viel Blut sie in der Zwischenzeit wirklich verloren hatte, konnte er zwar nur ahnen, aber offensichtlich schien es viel gewesen zu sein.

Hoffentlich nicht zu viel, dachte Sam.

In dem Augenblick, in dem er zur offenen Tür hereinstürmte, sprang Mandy von ihrem Stuhl auf und warf ihm einen besorgten, ja sogar vorwurfsvollen Blick zu.

Mit wenigen langen Schritten war er an Valerie's Bett und berührte zärtlich ihre Stirn.
Sie war eiskalt und gleichzeitig nass geschwitzt.
Aus der Nähe wirkte ihr Zustand noch bedrohlicher.

„Kannst du wirklich etwas für sie tun, Sam?", schwang Mandy's Stimme leise durch den Raum und versetze dem jüngeren Winchester einen Stich ins Herz.

Bin ich so einfach zu durchschauen?, fragte er sich.

Mandy hingegen antwortete er mit fester Stimme: „Bestimmt kann ich das. Alles wird wieder gut, Mandy!" Er versuchte so viel Zuversicht in seine Stimme wie möglich zu legen.
„Ich möchte aber, dass du in der Bibliothek wartest, ok?"

„Ich will dir aber helfen, Sam!", widersprach sie und kam auf das Bett zu.

„Mandy, du kannst mir ... ihr ... am besten helfen, wenn du in der Bibliothek nach etwas suchst, das uns hier helfen könnte", antwortete Sam und bedeutete ihr mit einer Handbewegung an Ort und Stelle zu bleiben.

Und wiedererwarten blieb sie wirklich unweit des Stuhles stehen.
„Nach was genau soll ich jetzt schon wieder dort suchen, Sam?", fragte sie.
Ihr Tonfall machte mehr als klar, dass sie wusste, dass nicht nur sie keinen Schimmer hatte, wo und nach was sie suchen sollte und sie sich abgeschoben fühlte.
Doch trotzdem würde sie das tun, worum Sam sie bat.
Für Ihn, denn er wollte allein bei seiner Valerie sein und sie verstand es.
Für ihre Freundin, denn sie wollte nicht im Weg stehen oder es Sam noch schwerer machen.
Für ihre Genesung würde sie alles tun.
Egal was.

Sam erkannte all das in dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen und er war von so viel Reife überrascht.
Kaum war er in der Lage zu sprechen.
„Ich ... ich weiß nicht genau. Versuch einfach ... irgendetwas über ... magische Verletzungen oder Schwächung oder so zu finden. Ok, Mandy?"

Seine Worte versuchten wenigstens etwas Zuversicht aufrecht zu erhalten. Aber seine Augen sprachen eine andere Sprache. Sie bestätigten ihre größte Befürchtung.
Er wusste wirklich nicht, wie oder ob er ihr überhaupt würde helfen können, wollte aber beim verzweifelten Versuch Valerie's Leben zu retten allein sein. Allein mit den Entscheidungen, die er würde treffen müssen!
Und obwohl es sie schmerzte, respektierte sie es.
Auch er würde alles in seiner Macht stehende für sie tun.
Dessen war sie sich sicher.

Stumm nickend stimmte Mandy zu und verließ nach einem kurzem Blick auf die reglose Gestalt, deren Körper fast unter der schweren Decke zu verschwinden schien, den Raum.

Sie war gerade auf den Gang hinausgetreten, als Sam ein leises Schniefen vernahm.
Auch seine Augen füllten sich mit Tränen, als er sich Valerie zuwand und sie näher betrachtete.

Ihre Brust hob und senkte sich kaum noch merklich unter der Decke und in den letzten Minuten war sie sogar noch blasser geworden.
Besorgt und ängstlich schlug er vorsichtig die Decke zurück und erstarrte fast in der Bewegung.

War es bis vorhin nur eine Wunde gewesen, die er bemerkt hatte, hatte sich das helle Bettzeug nun an mehreren Stellen rot verfärbt.

Was geschieht hier nur?, fragte er sich.

Verzweiflung drohte ihn zu überschwemmen, doch er musste dieses Gefühl niederkämpfen, damit er ihr so gut es ging helfen konnte.
Er atmete mehrmals tief ein und aus, sein Blick klärte sich und Ruhe kehrte wieder in ihm ein.
Entschlossen nahm er den Erste-Hilfe-Koffer zur Hand und öffnete ihn.

Bis wir wissen, warum das alles geschieht, muss ich ALLES versuchen den Blutverlust so gering wie möglich zu halten.

Er holte aus dem Koffer mehrere Verbände und kleinere Flaschen hervor und machte sich daran den Körper der Frau zu untersuchen, um alle Wunden zu versorgen und ihr Leben zu retten.

SeelenQual - Dark Heroes Rising || Supernatural FanFiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt