29 - Von Propheten und anderen Freaks

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Sie wartete jetzt schon fast seit drei Stunden in dem zugigen und altersschwachen Gebäude am Rande der Stadt.

Vor langer Zeit war es wohl einmal eine Schule gewesen. Doch das musste bereits eine halbe Ewigkeit her sein. Wo einmal die Tafel gehangen haben musste, gähnte jetzt nur noch ein großes Loch in der Wand, welches den Blick in den Nachbarraum zuließ.
Die Fenster waren kaum noch existent. Das Fensterglas hing nur noch vereinzelt im Rahmen und bot keinerlei Schutz vor den Unbilden des Wetters.
Mit dem Dach des einstöckigen Gebäudes verhielt es sich ähnlich. Die meisten Stellen ließen den ungehinderten Blick in den nächtlichen Himmel zu.
Das mochte an einem lauen Sommerabend, den man dort zu zweit verbrachte durchaus seinen Reiz haben, aber nicht wenn es in Strömen regnete.
Und das tat es jetzt bereits seit zwei Stunden ohne Unterlass.
Valerie hatte in der hintersten Ecke des kleinen Klassenraums auf einem klapprigen Tisch Platz genommen. Dies war der einzige Ort in diesem Gebäude der etwas Schutz vor den Wassermassen bot. Wenn gleich der Raum fast drohte weg zuschwimmen.
Der Regen hatte sich schon zentimeterhoch auf dem Boden gesammelt und begann langsam ihre Stiefel zu durchweichen.
Bereits zu Hauff schwammen Zigarettenkippen im Wasser und vollführten, vom Wind zum Leben erweckt, einen skurrilen Tanz auf.

Wie lang will er mich eigentlich noch warten lassen?

„Ich bin doch schon hier, meine kleine Artemisia!", erklang seine schnarrende Stimme direkt neben ihrem Ohr.

„VERDAMMT!", gab sie von sich und fuhr erschreckt hoch.
Er macht es schon wieder!, dachte sie.

Er ging um sie herum und blieb direkt vor ihr stehen.
Der kleine, bärtige Mann mit dem wirren Haar kicherte.
„Oh, ich kann einfach nicht widerstehen euch Menschen zu erschrecken. Aber vor allem nicht dich, meine unerschrockene Kämpferin."
Der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Valerie kannte sein Art und Weise mit und über Menschen zu sprechen mittlerweile nur zu gut.
Aber daran gewöhnen würde sie sich nie.
Es hinterließ bei ihr immer einen eigenartigen Nachgeschmack, der allerdings nie greifbar genug war, als dass sie daraus einen – wie sagt man in Juristen-Sprache – einen begründeten Zweifel hätte herleiten können.
Er sagte ihr immer die Wahrheit. Noch nie hatte sie Grund gehabt an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln.
Oder an seinen Motiven.
Hatte er ihr doch damals in Bergen das Leben gerettet.
Aber die Sache mit den angeblichen „Propheten" brannte ihr förmlich auf den Nägeln.

Und er spürte es.

„Was führt uns zu dieser Stunde hierher, meine Liebe? Was ist so DRINGEND, dass wir es unbedingt jetzt besprechen müssen? Nicht, dass der Kampf um den Himmel nicht auch noch warten könnte ...", sagte er spöttisch.
Er sah ihr dabei herausfordernd direkt in die Augen.

Da war schon wieder dieser herablassende Ton in seiner Stimme, den sie so hasste.
Bevor sie antwortete atmete sie einmal tief durch.

„Ähm, diese ... Sache, die ich für dich erledige ....", begann sie vorsichtig.

Immerhin hatte auch er sich im Gegenzug für ihre Hilfe zu etwas verpflichtet. Und das konnte ihm viel Ärger einbringen. Sehr viel sogar!
Wenn er es überhaupt schaffen würde ihr dabei zu helfen, ihre eigentliche Zielperson auswendig zu machen und ihren letzten Wunsch zu erfüllen, wenn es an der Zeit war und sie ihn darum bat.
Er war der Einzige, dem sie jetzt noch vertrauen konnte.

„Was ist damit? Gibt es Probleme dabei", fragte er ungeduldig.

„Nein. Natürlich nicht. Es sind nur noch zwei und um ... die beiden Brüder werde ich mich in Kürze kümmern."

„Du hast mir noch nie einen Statusbericht gegeben!", gab er misstrauisch von sich und kniff die Augen zusammen. „Was ist also verdammt noch mal jetzt so WICHTIG?"

„Deine ... meine ... Zielpersonen. Bist du dir sicher, dass diese Menschen wirklich zukünftige Hüllen für hochrangige Dämonen sind? Dass sie Verräter an der Menschheit sind und nicht ... irgendetwas anderes?", fragte sie unsicher.

Blinkte in seinen Augen bis eben noch Belustigung auf, ähnlich der, wenn man einem unbeholfenen Welpen beim Spielen zusah, hatten sie nun etwas lauerndes an sich.
„Du denkst da nicht an etwas bestimmtes, oder?"
Seine Stimme klang plötzlich gefährlich ruhig.

„Ähm, doch. Ich habe gehört es handele sich dabei um ... zukünftige Propheten?"

„Ach, nein. Hast du das?

„ ... "

„Nun, wer hat dir wohl diese Lüge erzählt, hm?"

„ ... "

„WER?", erhob er seine Stimme.

„Die Winchester's", antwortete sie leise.

„DIE WINCHESTER'S?" Seine Stimme überschlug sich fast, so außer sich war er für einen kurzen Augenblick.

Sie hatte also schon Kontakt zu ihnen!
Früher oder später musste das ja geschehen.
Und anscheinend nicht gerade auf die harte Art und Weise.
Vielleicht kann ich das für mich nutzen.
Ein Plan B schadet jedenfalls nicht, um diesen Dean Winchester auszuschalten.
Vielleicht muss ich mir nicht einmal selber die Finger dreckig machen ...

Schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle und fuhr etwas ruhiger wieder fort: „Du weißt, dass Bonny und Clyde lügen, wenn sie nur den Mund aufmachen, oder?
Hab' ich dir nicht genug Gründe genannt und sogar unwiderlegbare Beweise beigebracht, die dir zeigen, dass man den Beiden nicht vertrauen kann?"

In der Tat, dass hatte er wirklich.

Und der beste Beweis lag wohl behütet ganz unten in ihrem Rucksack, direkt neben der teuren Doppelläufigen Pistole.
John Winchesters Aufzeichnungen seiner „Recherche" in Frankreich, – so hatte der verdammte Hurensohn es selbst schönfärberisch genannt – ergänzt durch einige handschriftliche Anmerkung Bobby Singers.
Als der Engel ihr vor einigen Wochen von deren Existenz erzählte, hatte sie es kaum abwarten können, sie persönlich im Keller von Bobby's Hütte zu suchen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch fest an die Unschuld John Winchesters geglaubt.
Doch sein Geständnis hatte alles geändert.
Auch ihre Einstellung zu seinen Söhnen.

„Du weißt doch, wie der Vater so der Sohn!", setze der Engel noch einen drauf.

Er hat recht!
Trotzdem schmerzt es immer noch!


„Es klang so ... so ehrlich", antwortete sie leise.

„ES KLANG SO EHRLICH", äffte er sie bösartig nach.

„ ... "

Valerie erhob sich vom Tisch, auf dem sie halb gesessen, sich halb abgestützt hatte. Nun überragte sie den kleinen Mann fast um einen Kopf.
Ärger regte sich in ihr.

Augenblick bemerkte er, dass er einen winzigen Schritt zu weit gegangen war.
Sich ihren wild lodernden Zorn für seine Zwecke zu Nutze zu machen war eine Sache.
Ihn gegen sich selbst gerichtet zu sehen eine andere.
Dies konnte selbst für ihn gefährlich werden, wenn er die Kontrolle über sie verlor. Bis jetzt hatte er es mit einem geschickt eingeflochten Wort hier, dem Weglassen oder Verdrehen einiger Tatsachen dort und dem Lüften eines der best gehüteten Familiengeheimnisse der Winchesters, geschafft sie äußerst effektiv zu manipulieren.
Er dirigierte sie, wie ein Konzertmeister, der jedes einzelne Instrument geschickt arrangierte, um das gewünschte Endergebnis zu erzielen. Spielte auf ihr, wie eine Virtuose auf seiner Geige.
Brachte die richtigen Seiten in ihr zum schwingen. Jetzt durfte ihm kein Fehler unterlaufen oder die Vorstellung würde im Chaos enden und der Schlussvorhang viel zu früh fallen.
Er musste den Status Quo aufrecht erhalten und das Monster, wenigstens vorläufig, an der langen Leine lassen.

Versöhnlich legte er ihr eine Hand auf die Schulter.
„Entschuldige meinen Gefühlsausbruch, meine Liebe."
Er machte eine kleine Kunstpause, die er nutzte um einen besorgten Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern.
Um die Vorstellung noch zu perfektionieren, entließ er auch einen genau getimten, erschöpft klingenden Seufzer.

„Was ist los?", fragte sie interessiert.

Hab ich dich!, dachte er zufrieden.

„Ach, ... nur ... das übliche", antwortete er ausweichend.

„Komm schon. Ich weiß es stimmt was nicht", hakte sie nach.

„Also gut! Es läuft im Moment nicht besonders gut. Die andere Fraktion der Engel, die, die den Himmel für sich haben wollen, wird immer stärker.
Meine Chancen schwinden von Minute zu Minute. Und zu allem Überfluss scheint es, dass der Anführer dieser Fraktion Verbindungen zum König der Hölle hat.
Über ein paar Umweg zwar, aber er hat sie. Und das ... ist gar nicht gut. Wenn ich ... wir es nicht schaffen die Kontrolle über den Himmel zu erlangen, werde ich dir nicht helfen können. So leid es mir tut."
Der betrübte Hundeblick, den er dabei aufsetzte, hätte in der freien Natur seinesgleichen gesucht.

Sie wusste, die Mission durfte nicht scheitern. Er musste in den Himmel zurück und dort die Ordnung wieder herstellen. Denn dort sollten sich zwei Gegenstände befinden, die sie so dringend benötigte.
Zum Einen eine der vier Elementarwaffen – der Aufenthaltsort der anderen war ihr immer noch unbekannt - und dann noch die einzige Waffe, die ihr das würde geben können, was sie sich ersehnte, sobald alles erledigt war.
Ruhe und Frieden!

„Kann ich vielleicht irgendwie helfen?"

Er tat so als würde er ernsthaft überlegen. Abwägen, ob er es ihr zumuten konnte oder nicht.
Tatsächlich aber hatte er sie genau da, wo er sie haben wollte.
Ihr Ziel vor Augen, war sie schon jetzt sehr weit gegangen.
Zu weit.
Wie viel zu weit, war ihr nicht bewusst.
Ihm dagegen schon.
Und es war genau das, was er wollte.
Getrieben durch ihr Ziel, würde sie sich mit jedem Schritt weiter von ihrer Menschlichkeit entfernen.
Er hatte es so geplant, dass sie auf ihrem Weg dorthin für ihn alle zukünftigen Propheten beseitigen und irgendwann auch Castiel töten würde.
Jetzt, da er wusste, dass sie so etwas wie „freundschaftlichen" Kontakt zu den beiden Jägern hatte, reifte in ihm ein weiterer, wahrhaft genialer Plan heran.
Wenn er es geschickt anstellte, würden sich die drei gegenseitig umbringen. Dann hätte er – welche Ironie des Schicksals – sein Versprechen ihr gegenüber auf eine verdrehte Art und Weise sogar gehalten.
Ob sie vorher dieses andere Wesen, von dem sie immer faselte zur Strecke brachte oder nicht, war ihm ziemlich egal.
Am Ende würde er so mächtig sein wie Gott selbst – ja er wäre dann GOTT - und nichts konnte ihm dann noch etwas anhaben.
Nichts!

„Ich weiß nicht, ob ich dir das zumuten kann, meine Liebe?"

„Was zumuten?", fragte sie neugierig.

Der Engel druckste herum, bevor er ihr antwortete.

„Diese indirekte Verbindung zwischen dem abtrünnigen Engel Castiel und dem König der Hölle, von der ich eben gesprochen habe ..."

„Ja?"

„Nun, ähm ... diese Verbindung ist ... Dean Winchester! ER arbeitet mit dem Dämon zusammen, der dich immer noch verfolgen lässt. Der alle die Menschen auf dem Gewissen hat, die dir lieb und teuer waren."

Für einen flüchtigen Moment huschte Trauer über ihr Gesicht.
Dicht gefolgt von Wut und Unglaube.

Ich weiß von Johns Verfehlungen.
Aber jetzt auch noch Dean ...


„Ich werde es dir beweisen, wenn du mir nicht glaubst!", griff er eilig vor. „Aber das Vorrangigste ist, dass diese Verbindung unterbrochen wird. Ich habe leider keine Zeit mich selbst darum zu kümmern.
Du weißt wir zwei stehen fast ganz allein gegen diesen rebellischen Engel und seine Gefolgsleute. Wenn du also Kontakt zu diesem Winchester hast, dann möchte ich, dass DU dich darum kümmerst. Und zwar ENDGÜLTIG!"

Da ist zwar noch eine unerledigte Sache zwischen uns, dachte sie.
Aber werde ich DAS tun können?

„Valerie, ich weiß sehr wohl, was ich da von dir verlange. Wir hatten bis jetzt immer nur davon gesprochen Butch und Sundance zeitweise UNSCHÄDLICH zu machen, bis die Mission abgeschlossen ist.
Aber jetzt hat sich die Situation leider geändert.", beschwichtigte er sie.
Als hätte er nicht schon immer vorgehabt das zeitweise in eine für immer und alle Ewigkeit umzuwandeln.
„Ich weiß, dass es dir selbst jetzt, nachdem ich dir schon einmal geholfen habe, immer noch schwer fallen muss, aber glaube mir, es ist absolut notwendig.
Denk an unser großes Ziel, an DEIN Ziel, meine Liebe", antwortete er in einem betont väterlichen Ton.

Doch sein Gegenüber antwortete nicht.
Sie schien immer noch darüber nachzudenken.

Zu viel denken schadet, meine Kleine!
„Ich kann zwar die Prozedur nicht noch einmal wiederholen, aber trotzdem gibt es etwas, dass dir helfen kann zu tun, was getan werden muss."

Valerie blickte interessiert auf.

„Du müsstest einfach nur ... die Dosis halbieren. Dann würde dir alles etwas leichter fallen."

„HALBIEREN? Ich schaffe es doch schon so kaum meine dämonische Seite im Zaum zu halten!
Einfacher ist es auch nicht gerade geworden, seitdem mir diese Mistkerle wieder auf den Fersen sind und ich mit jedem, den ich von ihnen töte etwas von ihrer dämonischen Energie in mir verbleibt.
Wie stellst du dir das also vor?", erwiderte sie entsetzt.

Der Engel schnaufte enttäuscht auf und schüttelte frustriert den Kopf.

„Ich wusste, das ist zu viel für dich! Dass ich dich damit überfordere!"

Mit eingezogenen Schultern und hängendem Kopf wandte er sich zum Gehen um. Das Klatschen seiner schweren Schritte auf dem mit Wasser überzogenen Boden übertönte kaum das Prasseln des Regens.
Er hatte fast den Ausgang des Zimmers erreicht, als er von einer leisen Stimme aufgehalten wurde.

„Ich mach's!"

Er blieb stehen und lächelte hinterhältig.

„Was hast du gesagt, meine Liebe?", fragte er scheinheilig, ohne sich zu seiner Marionette umzudrehen.

„Ich mach's! Ich tue was nötig ist, Metatron!"

SeelenQual - Dark Heroes Rising || Supernatural FanFiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt