Warme Sonnenstrahlen schienen dem jungen Selat ins Gesicht als er seinem besten Freund Peter hinterherrannte. Das Wetter war wärmer, als man es für Deutschland im Herbst erwarten konnte.
»Mich kriegst du nie!«, rief Peter lachend, während er an den Büschen vorbei, auf dem Loreleyfelsen umherraste.
Selat freute sich innerlich, denn Peter war der erste Kumpel, der sich nicht über ihn lustig machte.
»Pass auf, dass du nicht abrutschst, Peter«, sagte Selat besorgt und bemerkte, dass sie schon beinahe an die Ausflugsgruppe der Schule gelangt waren. Die anderen Schüler und die Lehrerin warteten bereits auf die beiden Jungen, und atmeten erleichtert auf, als diese endlich auftauchten.
Die Lehrerin verwarnte beide kurz, dass sie nicht so sehr rennen sollten und begann dann die Legende der Loreley zu erklären. Einige Schüler waren gelangweilt und schauten den über 100 Meter hohen Berg hinab auf die tobenden Wassermengen des Rheins. Die Lehrerin hörte kurz auf zu sprechen und nahm ein Taschentuch aus ihrer Jacke. Zur gleichen Zeit setzte sich Peter zwischen Selat und dem Abgrund auf einen der vielen kantigen Schiefersteine, welche aus dem Boden ragten. Er schien nicht zu bemerken wie gefährlich nahe er der Bergkante war und spielte verträumt mit den kleinen Steinbrocken auf dem Boden. Mit diesen malte er ein lächelndes Gesicht und etwas, dass er Selat als einen Drachen vorstellte. Dieser lachte und wandte sich erneut der Lehrerin zu.
Doch dann...
Ein Schrei durchriss die Luft. Dort wo eben noch Peter saß, waren nun nur noch Schleifspuren im Boden zu sehen und Selat wollte es gar nicht hören, als die Lehrerin abrupt an ihm vorbeirannte und entsetzt feststellte: »Er ist gestürzt!!«
Die Welt löste sich in Nebel auf und nun war Selat an einem komplett anderen Ort.
Der Boden unter seinen Füßen war sandig und das leise Geräusch von brechenden Wellen und raschelnden Palmblättern war zu vernehmen. Der Strand, an dem der Junge sich zu diesem Moment aufhielt hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn. Nach einigen Sekunden erspähte er eine komische Gestalt nahe dem Wasser. Es schien ihm als wäre es eine riesige Muschel, doch sie war viel zu groß für jegliches Wesen, welches der Junge jemals gesehen hatte. Bei genauerer Betrachtung erkannte er, dass sie zwei gegenüberliegende Öffnungen besaß. Die Muschelsubstanz war spiralförmig verdreht und ein leichtes farbenfrohes Schillern ging von ihr aus. Plötzlich schossen ein Kopf und ein Schwanz aus je einem der Öffnungen heraus und ein schlangenartiges Wesen, das halb in der Muschel war, schaute den verdutzten Selat an. Es machte eine nickende Bewegung mit dem Kopf und verschwand schlängelnd im Meer.
*
Selat Giarb fuhr aus dem Schlaf. Ein seltsames Gefühl durchfloss seinen Körper; als wäre etwas in ihm angeregt worden. Er hatte schon immer seltsame Träume gehabt, doch die Erinnerung an Peters Tod und das Auftauchen der seltsamen Muschelschlange hoben sich von allen anderen Träumen besonders ab. Sie waren nicht seltsamer als normalerweise, sondern hatten einen anderen Hauch von Realität in sich. Es war, als ob sich eine neue Erkenntnis an Selat heranschleichen wolle.
Der Teenager erinnerte sich schmerzerfüllt an seinen verstorbenen Freund.
Seit Peters Tod sind drei Jahre vergangen...
Die Umstände des Unfalls konnten nie genau geklärt werden. Nach dem Geschehnis hatte die Lehrerin der Polizei gesagt, dass Peter zu nahe am Felsenrand gewesen und ausgerutscht sei. Die Polizisten jedoch meinten, dass die Spuren darauf hindeuteten, dass er von irgendetwas gezogen worden war.
Selat war in all dem Chaos wie eingefroren. Der Junge konnte sich noch daran erinnern, dass ein seltsam gekleideter Mann auf ihn zugelaufen kam und ihn vom Abgrund wegzog, während zwei andere den Berg hinuntersprangen und unbeschadet am Flussufer entlangrannten. Niemand schien dies jedoch zu bemerken.
Der traumatische Vorfall zwang Selat dazu, unzählige Stunden mit trainierten Psychologen zu verbringen. Diese teilten ihm öfter mit, dass der seltsame Schrei und die übermenschlichen Männer, lediglich aus seiner Vorstellung entstanden seien. Selat hatte dies niemals akzeptiert. Den Fachmännern zufolge war es jedoch normal und stellte den unbewussten Wunsch nach übernatürlicher Rettung dar. Danach führten sie ihn durch mehrere therapeutischen Übungen. Diese begannen kurz darauf bereits Wirkung zu zeigen und halfen Selat dabei, das Geschehnis zu verarbeiten. Seitdem machte er es sich zum Motto, dass er seine Ängste vereinfachen, banalisieren und bekämpfen solle.
Langsam richtete sich der 14-jährige Junge auf. Er fuhr sich mit den Fingern durch die braunen Haare. Sie hatten einen Rotstich, welcher einen kupferfarbenen Effekt erzielte. Schläfrig schaute er auf die Uhr.
7: 15 Gut, dachte er sich, ich hab' noch genug Zeit um mich auf die Schule vorzubereiten.
Der Junge musste gestehen, dass er seine Schlafzeit am Morgen immer sehr gut einplante, da ihn das Frühaufstehen sehr schwerfiel. Jeden Tag nahm er sich vor, früher ins Bett zu gehen und musste nach ein paar Stunden des vertieften Lesens feststellen, dass er es erneut versäumt hatte.
Und morgens zahle ich jedes Mal aufs Neue den Preis, überlegte er, während er sich seine Kleider zurechtlegte, Schule um acht Uhr ist eine Qual.
Er schlüpfte schnell in die Klamotten und rannte in die Küche um sich schnell noch etwas zu Essen zu besorgen. Am Essenstisch traf er seine Eltern, John und Christine Giarb und seinen Bruder Ykia.
Christine schenkte sich gerade Orangensaft ein und lächelte ihrem Sohn entgegen.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte sie und stellte die Flasche auf den Tisch.
»Nicht ganz so gut. Hatte komische Träume...«, erwiderte Selat während er sich neben Ykia setzte. Dieser war hellwach und zeichnete seltsam aussehende Geschöpfe auf ein Blatt Papier.
Wie kann er bloß so ein guter Frühaufsteher sein?
»Hattest du wieder Albträume«, fragte Christine besorgt.
John, der zuvor eine Zeitung gelesen hatte, legte diese nieder und musterte Selat.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er schließlich und nahm seine Kaffeetasse in die Hand.
Selat wollte nicht darüber reden also sagte er bloß: »Jo, alles bestens. Aber ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät zur Schule.«
Und somit war er weniger als eine Viertelstunde später schon aus dem Haus getreten und hatte die Tür geschlossen. Zu seiner Schule musste er nur etwa zehn Minuten laufen, also blieb ihm noch Zeit vor Schulbeginn. Die kleine deutsche Stadt Zoberhagen war an jenem Morgen von Ruhe erfüllt und Selat fühlte, wie ihn eine seltsame Freude erfüllte.
Als er endlich in das Schulgelände kam, bemerkte er eine seltsame Stimmung in der Luft. Alle Schüler auf dem Pausenhof wisperten sich einander zu. Aus der Menge erschien Klaus, ein kleiner dicker Junge, und rief: »Selat, mein Kumpel mit dem komischen Namen.«
Er rannte auf den verwirrten Selat zu und sagte außer Atem: »Ich... Nein... Sie«.
»Atme, Klaus!«, empfahl Selat.
Nach einigen Momenten der Pause schien er sich erholt zu haben.
»Wir haben eine neue Schülerin. Schau mal wie hübsch sie ist, wie ein Model.«, flüsterte er mysteriös.
»Wie heißt sie?«, wollte Selat wissen und blickte neugierig in die Richtung, auf die der Junge wies.
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Was glaubt ihr hat es mit der neuen Schülerin auf sich?
Ich freue mich über jede/n Teorie, Like und Kommentar. :D
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Kinsormagie: Der Wandel zur Klarheit
FantasyDies ist das erste Buch der Kinsormagie-Reihe! ************************ Auf der Welt existieren, neben uns normalen Menschen, die Kinsor, eine antike Gesellschaft, bestehend aus magisch und technologisch weiterentwickelten Personen. Sie haben die A...