Seit meiner Geburt hatte ich mir nie Sorgen machen müssen. Nicht um mein Leben, nicht um meine Familie und erst recht nicht um meine Zukunft. Denn ich hatte alles. Ich war reich geboren und konnte mich immer auf meine Eltern verlassen. Das Einzige, was ich meinem Leben wirklich erreichen musste, war, zu heiraten. Am besten jemanden, der meinem Stand gerecht war oder meiner Familie sogar noch mehr Ansehen einbringen würde.
Leider waren die Augen meiner Eltern derzeit nur auf mich gerichtet, denn ich war ihr erstgeborener Sohn und somit dazu verdammt noch dieses Jahr an der Auswahl teilzunehmen. Ein wirklich bescheuerter Name für die Versammlung aller heiratsfähigen jungen Männer und Frauen zwischen 18 und 24. Dennoch war das System der Auswahl weniger grausam, als es sich anhören mag. Hier werden die Verbindungen zwar häufig von den Eltern arrangiert, dennoch haben die meisten von uns ein gewisses Mitspracherecht, was unsere zukünftigen Ehepartner angeht.
Doch jetzt genug von diesem Thema. Ich wollte nicht über eine Heirat nachdenken müssen. Ehrlich gesagt liebte ich meine Freiheit viel zu sehr. Doch schon bald würde ich sie aufgeben müssen, nur um mich der Gesellschaft anzupassen. Die Rolle anzunehmen, die seit meiner Geburt für mich vorgesehen war und mir seit frühesten Kindheitstagen eingetrichtert worden war. Diese Rolle bestmöglich auszufüllen, sollte meine höchste Pflicht darstellen.
„Jisung? Hey wo steckst du? Sungie? .... Da bist du ja. Warum antwortest du mir denn nicht?" Mein jüngerer Bruder Jeongin trat zu mir an die Fensterbank. Ich saß mit angewinkelten Beinen auf dem breiten Sims und blickte auf den Garten hinaus.
Noch war es Frühjahr, doch man spürte schon die erste sommerliche Hitze. Die Bäume hatten noch ihre zartgrünen Blätter und die ein oder andere Blüte. Der milde Wind spielte mit den neuen Blättern und zauste die wenigen Blüten, als wolle er diese auch noch abreißen. Doch die Bäume waren stark und hielten dem Wind und seinen Eskapaden stand. Ich wünschte mir manchmal, genauso standhaft und unverwüstlich zu sein, wie die Bäume unseres Gartens.
Seufzend wandte ich meinen Blick vom Geschehen draußen ab und betrachtete für einen Moment das Gesicht meines kleinen Bruders. Er hatte fragend seinen Kopf schiefgelegt, beinahe wirkte es so, als wolle er ergründen, was in meinem Kopf vorging.
„Es ist alles gut Innie, ich genieße die Aussicht. Findest du nicht auch, dass die Mandelbäume traumhaft aussehen?" Kurz warf ich einen Blick zu dem kleinen Weg, der mit den zartrosa blühenden Bäumen gesäumt war und lächelte den Kleinen dann wieder an.
„Hyung, ist wirklich alles in Ordnung?"
Diesmal stieß ich mich vom Fenstersims ab und sprang auf den Boden.
„Natürlich, alles bestens, wie immer." Mit diesen leicht sarkastischen Worten schritt ich an ihm vorbei. „Wollen wir ausreiten Innie? Wir könnten Seungmin besuchen und aus der Stadt hinaus zur Obstplantage reiten."
„Ja aber hast du heute nicht deine Anprobe? Wir gehen morgen doch alle auf den Eröffnungsball dieser Saison", erinnerte mich Jeongin und trat neben mich.
„Alles gut. Ich weiß, was ich tragen werde, außerdem darf ich mich morgen schon den ganzen Tag langweilen, da kann ich ein wenig Abwechslung gut gebrauchen." Verdammt, warum hatte er mich auch daran erinnern müssen, dass morgen der Ball war. Nicht dass ich es hätte verdrängen können, dennoch verschlechterte sich meine Laune wieder.
„Lass uns gehen", murmelte ich und stieß die schwere Doppeltür zum Gang auf.
Wenige Zeit später waren wir zu dritt auf dem Weg zur alten Obstplantage. Nicht, dass dort gerade irgendwas zu holen war, doch die große weite Fläche unter den Bäumen, war wie dafür geschaffen, das ein oder andere Rennen auszutragen. Tia was tat man nicht alles im 18. Jahrhundert, um sich die Zeit zu vertreiben, wenn man denn mal welche hatte. Ich jedenfalls schätzte meine Freizeit sehr.
Da ich wie bereits erwähnt der älteste Sohn bin, hatte ich mich dementsprechend zu verhalten. Neben dem obligatorischen Reit- und Fechtunterricht hatte ich mich mit Englisch und Französisch abmühen müssen. Ganz zu schweigen vom Klavierunterricht, dem Tanzunterricht und den unzähligen Etikette-Regeln. Alles hatte ich über mich ergehen lassen und war mehr oder weniger erfolgreich daraus hervorgegangen. Im Grunde genommen waren meine Worte eine Untertreibung, ich hatte mir wirklich Mühe gegeben die Erwartungen, die an mich gestellt wurden zu erfüllen.
Könnten meine Eltern mich und Jeongin gerade sehen, so würden sie vermutlich die Nase rümpfen und uns für nicht sittsam genug halten. Laut lachend ritten wir drei im Galopp zwischen den Bäumen entlang, ließen unseren Pferden die Zügel um immer schneller zu werden.
Ich drückte meine Schenkel enger an den Sattel, ließ die Zügel los und streckte meine Arme aus. Ja genau dieser Augenblick fühlte sich nach Freiheit und Glück an. Schnell schloss ich meine Augen, spürte nur noch den Wind und die Bewegungen meines Pferdes, welches so ruhig und gleichmäßig auftrat, als wäre es jederzeit besorgt um meine Sicherheit. Tief sog ich die frische Luft in meine Lungen und lächelte das erste Mal seit Tagen wieder.
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„Hey Seungmin! Wollen wir über den Stamm da springen?" Bis gerade eben hatten wir alle unsere Pferde friedlich grasen lassen, doch mein kleiner Bruder schien voller Tatendrang und stieß sich vom Baumstamm ab, um schon im nächsten Augenblick wieder im Sattel zu sitzen und seine Araberstute zu wenden. Dieses Pferd passte tatsächlich perfekt zu ihm, sie waren beide schlank und anmutig, hatten aber ihren eigenen Dickschädel und konnten ziemlich biestig werden, falls etwas nicht in ihren Kram passte.
„Warte auf mich", lachend stieg der angesprochene Braunhaarige nun ebenfalls auf sein Pferd und jagte Jeongin hinterher.
Ich blieb angelehnt am Baum sitzen und sah den beiden zu.
Morgen war es so weit. Morgen würden ich und all die anderen Anwärter der diesjährigen Auswahl der Königsfamilie präsentiert werden wie Trophäen. Man würde uns bewundern, uns verehrten und loben. Doch was zählte das schon? Die wenigsten von uns, wollten sich gern verheiraten lassen. Wieso musste ich eigentlich schon wieder darüber nachdenken? Ich sollte froh, ja sogar dankbar sein, dass mich meine Eltern nicht bereits mit 18 Jahren verheiratet hatten. Jetzt war ich schon 20 und war wahrscheinlich wesentlich reifer und ausgeglichener. Mit 18 hätte mich wohl niemand lange ertragen, aber egal, auch das war nicht der Punkt. Ich würde dieses Jahr teilnehmen müssen, um meiner Familie keine Schande zu bereiten und den Weg für Jeongin zu ebnen. Auch wenn er nur ein Jahr jünger war, musste zunächst ich heiraten, bevor er an die Reihe kam.
Schon wieder in meinen verworrenen und bemitleidenswerten Gedanken verstrickt, rappelte ich mich auf und trat hinüber zu meinem Pferd. Der Schimmel kam zu mir getrabt und stupste mich sanft an. Sie war wirklich ein Engel, ich hätte geschworen, dieses Tier konnte meine Emotionen besser lesen, als ein Mensch. Sowieso waren Tiere viel feinfühliger als die meisten Menschen.
„Vielleicht wirst wenigstens du bei mir bleiben meine Liebe." Sanft strich ich über den Hals des Pferdes und zog mich dann in den Sattel.
„Wir sollte zurück, bevor es dunkel wird ihr zwei!" Schon wendete ich mein Pferd, um einen Vorsprung, bei dem gleich beginnenden Rennen bis zu den Stadttoren zu haben.
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Herzlich willkommen zu meiner ersten richtigen Story 🥰
Ich hoffe, der Anfang gefällt euch. In den nächsten Kapiteln wird es auf jeden Fall spannender, aber jede Geschichte braucht einen Einstieg. 😅
Also ich hoffe es gefällt euch. Wir sehen uns dann am Sonntag bei den Oneshots wieder. 🙋♀️
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The Earl and the Prince | Minsung
FanfictionWelcher Mensch kann schon von sich selbst behaupten, frei zu sein? Ich war es ganz sicher nicht. Problematisch war nur, dass ich nicht einmal wusste, wie ich meine Pflichten erfüllen sollte. Die Worte, die mir im Zusammenhang mit meinen Pflichten st...