Der letzte Rest Menschlichkeit

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TW: explizite Erwähnung körperlicher und seelischer Gewalt, Blut

„Hier"

Für einen Augenblick schien alles stillzustehen. Alles war leise, fast zu leise. Dann passierte alles viel zu schnell. Ich wandte mühsam den Kopf in Minhos Richtung und ein kleiner Schauder der Erleichterung durchfuhr mich beim Klang seiner Stimme. Gleichzeitig drückte Yoon-woo mir die Klinge des Dolches an die Kehle und presste mich mit dem Arm, der gerade noch meinen Hals umschlossen hatte, gegen seinen Körper. Ich stand nun vor ihm und konnte zusehen, wie Minho gerade im Begriff war, auf uns zu zulaufen. Doch bevor er auch nur zwei Schritte gemacht hatte, sprang Yoon-woos Söldner aus seiner Deckung hinter der Mauer hervor und attackierte ihn. Am liebsten hätte ich geschrien, Minho gewarnt, doch alles was ich tun konnte, war mit panisch geweiteten Augen zuzusehen, wie der Wächter sein Schwert nach vorn stach. Dabei zielte er genau auf Minhos Brust.

Doch noch ehe ihm das Schwert zu nahe kommen konnte, drehte Minho sich elegant und mit solcher Anmut zur Seite, dass die tödlich geführte Waffe ins Nichts stieß. Dann hörte man ein leises Sirren in der Luft und die bereits rot schimmernde Klinge meines Prinzen, trennte mit einer beängstigenden Leichtigkeit und Präzision den Kopf des Söldners von seinem Rumpf.

Für einen Augenblick war alles still und zumindest meine gerade noch ausgestandene Angst um meinen Mann legte sich ein wenig.

„Ahh, das war mal wieder wirklich beeindruckend, mein Freund. Ich würde ja applaudieren, aber leider muss ich deinen kleinen Liebling festhalten."

Minho stand nun mit von sich gestrecktem Schwert einige Meter vor uns. Er drehte seinen Kopf langsam in unsere Richtung und fixierte mich mit einem Blick, der zwischen Erleichterung und Besorgnis schwankte. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Bewegung und erkannte dann auch Felix und Hyunjin, die sich kampfbereit hinter meinem Prinzen aufbauten und auf den richtigen Moment warteten. Schnell sah ich wieder zurück zu meinem Mann, der nun offenbar nach den passenden Worten suchte, um die Situation zu entschärfen.

„Lass ihn gehen. Ich bitte dich Woo, lass Jisung gehen. Er hat nichts mit dieser Sache zu tun. Dein Zorn und deine Rache gilt mir und sollte auch alleine mir gelten. Kein anderer ist dafür verantwortlich, nur ich. Du willst mir schaden... dann nimm auch mich. Aber lass Jisung da raus." Der dunkelhaarige Kronprinz wirkte entschlossen und atmete einmal tief durch.

Schon wieder folgte eine unangenehme Stille, die diesmal von einem abfälligen Schnauben unterbrochen wurde.

„Tzz~ Ich hatte wirklich mehr von dir erwartet. Als ob ich auf dieses Angebot eingehen würde. Nein... Das wäre nicht befriedigend." Yoon-woo sprach mit tiefer, bedrohlicher Stimme, als hätten ihn Minhos Worte nur noch mehr verärgert. „Du willst mein Spiel einfach so beenden, dabei habe ich noch so viele Trumpfkarten, dass ich nicht mal weiß, welche ich zuerst ausspielen soll."

Ich sah deutlich die Sorge in Minhos Augen aufblitzen, die die ganze Zeit auf mir lagen. Kurz wanderten seine Augen über meinen Arm, über den blutdurchtränkten Ärmel meines Hemdes. Sein Blick wurde dunkler und seine Lippen pressten sich für einige Sekunden fest zusammen.

„Ich bitte dich. Mach nichts Unüberlegtes Woo. Gib mir Jisung zurück und wir vergessen diese Sache. Ich werde dir nie wieder in die Quere kommen und du lässt mich und meine Familie in Frieden leben." Die Stimme meines Prinzen war nun eindringlich und appellierte an den letzten Rest Menschlichkeit seines ehemalig besten Freundes.

Felix hatte sich in der Zwischenzeit knapp neben Minho gestellt und blickte nun ebenfalls besorgt zu mir. Seine Haltung war angespannt, so, als würde er abwägen, zu mir zu sprinten. Doch dann sah er zu Minho und legte diesem eine Hand auf den Arm.

The Earl and the Prince | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt