Keine Zukunft

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Heute war wieder Samstag. Wie zu erwarten, hatte ich Minho den ganzen Tag über nicht gesehen.

Gut das mochte auch daran liegen, dass ich den Großteil des Tages in der Bibliothek saß und Shakespeares Versdichtungen förmlich verschlang. Vor allem Lucretia hatte es mir angetan.

Lucretia. Eine Frau, die berühmt für ihre Schönheit und Tugendhaftigkeit ist, wird genau durch diese Eigenschaften in den Tod getrieben. Ihre Schönheit macht einen Prinzen auf sie aufmerksam. Obwohl Lucretia verheiratet ist, versucht er sie zu verführen und bedroht sie schließlich, um sein Ziel zu erreichen. Danach ruft die tugendhafte Frau ihren Mann und ihren Vater. Sie erzählt ihnen von der Vergewaltigung und wird von beiden Männern für unschuldig befunden. Damit sich jedoch nie eine untreue Ehefrau auf ihr eigenes Schicksal berufen kann, bringt sie sich selbst um.

Ich bewunderte ihren Mut und ihre Entschlossenheit, das Richtige zu tun. Sie war ein beeindruckendes Beispiel einer starken und intelligenten Frau. Auch wenn sie nichts für ihre schreckliche Lage konnte, hatte sie am Ende nicht gezögert sich selbst zu richten. Die Treue zu ihrem Mann war tatsächlich etwas, dass ich verstand.

Auch wenn mein Mann mich offenbar nicht liebte, könnte ich mir nie vorstellen, ihm untreu zu sein. Das war doch wahre Stärke oder? Ich liebte ihn, ich vergötterte ihn und das sollte Grund genug sein, ihm immer treu zu sein.

Leider hatte ich ihm nicht einmal sagen könne, dass er mich nicht loswerden würde, egal, wie oft er mich von sich schob oder mir die kalte Schulter zeigte. Da er seit unserem erste Mal auch nicht mehr in seinem Zimmer schlief, hatte ich auch sonst keine Chance ihn zu treffen und ihn mit all meinen Fragen zu konfrontieren.

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Gerade saß ich beim Abendessen, als die Tür aufschwang und Minho zum Tisch schritt und sich an der anderen Stirnseite der Tafel niederließ. Mein schon jetzt nicht vorhandener Appetit verschwand gänzlich. Ich schob den Teller von mir und nahm mir nur einige Weintrauben.

Der Kronprinz würdigte mich keines Blickes und aß die Speisen, die ihm bereit gestellt worden waren. Als ich nach weiteren zehn Minuten aufstand, um den Speisesaal zu verlassen, wurde ich von seiner Stimme zurückgehalten.

„Warte. Ich muss mit dir sprechen."

Abwartend blieb ich neben der Tür stehen. Nicht einmal umdrehen wollte ich mich, um ja nicht seinem Blick begegnen zu müssen.

„Das neulich war ein Fehler. Es wird nicht wieder passieren. Solltest du schwanger sein, dann werde ich dich zu einem Verwandten von mir schicken, wo du sicher bist."

Ich wusste nicht einmal, welcher Satz am schlimmsten war.

„Habe verstanden."

Mit diesen beiden Worten war ich aus dem Saal getreten und versuchte möglichst schnell im Zimmer des Kronprinzen anzukommen. Dies erwies sich als äußerst schwierig, wenn man halb blind vor Tränen war und die Beine so sehr zitterten, dass es an ein Wunder grenzte, dass ich noch nicht gestürzt war.

Ich warf mich auf das Bett. Erneut rollte ich mich zu einem kleinen Ball zusammen und begann haltlos zu schluchzen.

Dieses Leben war keine Probe. Dieses Leben war eine Strafe, dessen war ich mir nun sicher. 

The Earl and the Prince | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt