Ich erwachte durch das leise Zwitschern der Vögel. Zunächst ein wenig verwirrt schlug ich die Augen auf, dann sah ich auf die Uhr und erschrak. Verdammt, es bereits halb zehn! Was würden meine Eltern dazu sagen, dass ich so lang geschlafen hatte?
Auf einmal hellwach sprang ich aus dem Bett, streifte mir irgendwelche Kleidung über und rannte förmlich durch die Gänge zum Speisesaal. Kurz bevor ich diesen betrat, bemühte ich mich, meinen Atem zu beruhigen. Dann öffnete ich die Tür und fand zu meiner Verblüffung meine gesamte Familie friedlich beim Frühstück vor.
„Oh guten Morgen Jisung, komm setz dich. Wir sind heute alle ein wenig später aufgestanden. Wir waren ja auch gestern wirklich lange auf dem Ball." Schnell ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und nahm mir etwas vom Obst und ein Brötchen.
Gerade kaute ich genüsslich und hörte meinen Schwestern zu, die sich über die neuesten Skandale der Stadt austauschten, als mein Vater das Wort ergriff.
„Jisung, wir haben gestern gesehen, dass du mit den zwei Prinzen getanzt hast. Was denkst du über die beiden?" Kurz wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Meine Erinnerungen holten mich schlagartig ein.
„Ich-Sie...Sie sind wirklich sehr nett, vor allem Felix scheint äußerst freundlich und gebildet zu sein." Mein Vater nickte und sah mich kurz prüfend an, dann blickte er hinüber zu Jeongin und dann zu meiner Mutter.
„Wir werden die Königsfamilie in nächster Zeit öfter sehen. Ich denke, wir sollten nächste Wochen einen eigenen Empfang geben und dazu werde ich sie einladen."
Seine Worte ließen mich schlucken. Ich wollte sie nicht wiedersehen. Korrigiere, ich wollte Minho nicht wiedersehen! Unruhig wand ich mich auf dem Stuhl, nickte aber und würgte den Rest meines Frühstücks hinab.
„Mama? Können wir für mich gemeinsam die Kleidung aussuchen, die ich heute auf der Soiree der Wangs tragen kann?" Jeongin sah meine Mutter mit flehendem Blick an und diese nickte schnell.
„Das können wir machen. Dann suche ich erst dir etwas Passendes aus und danach deinem Bruder."
Na großartig. Schon wieder eine langweilige Abendgesellschaft und mein kleiner Bruder schmiss sich für Bang Chan in Schale, da war ich mir sicher.
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Die nächsten Stunden verbrachte ich in unserer Bibliothek. Diese war groß genug, um sich im Notfall verstecken zu können. Über die Jahre hatte ich hier schon einige Ecken entdeckt, die jedem normalen Menschen verborgen und unzugänglich waren. Doch wenn man wie ich, viel Zeit darauf verwenden musste, zu lernen und Wissen anzuhäufen, dann war die Verstecksuche eine willkommene Ablenkung.
Manchmal stand ich auch nur zwischen den Regalen und blickte auf die vielen Buchrücken, die säuberlich geordnet und alphabetisiert in den einzelnen Fächern standen. Jedes enthielt eine eigene Geschichte, jedes hatte seine eigene Herkunft. Sie waren alle besonders und einzigartig. Keines war gleich, auch wenn sich die Worte immer wiederholten und zuweilen ähnliche Formulierungen verwendetet wurden.
Behutsam strich ich über ein besonders dickes Buch, das Nibelungenlied. Ein namhaftes Beispiel dafür, das Ehen zum Scheitern verurteilt waren. Dass ein einzelner Mensch und seine unbedachten Handlungen einfach alle um sich herum in den Ruin reißen konnte. Zwar bekam die schöne Kriemhild am Ende ihre gerechte Strafe, doch das Unheil, welches sie verursachte hatte, war nicht mehr ungeschehen zu machen.
Sollte es mir ähnlich gehen? Würde ich auch alle um mich herum ins Verderben reißen und einfach zusehen? Oder war ich eher der Siegfried in der Geschichte? Mutig und kühn, ohne Furcht vor dem Kommenden. Doch auch dieser Held hatte seine guten Taten und sein unerschrockenes Auftreten mit dem Leben bezahlt.
Wie pflegte mein Hauslehrer immer zu sagen? »Wer eine Tragödie überlebt, der ist nicht ihr Held gewesen.«
Wahrlich beruhigende Worte. Doch wer würde sich schon an mich erinnern? Wer würde mich beweinen, wenn ich die falsche Entscheidung traf? Wahrscheinlich niemand, denn wenn ich mir einen Fehler erlaubte, würde ich schneller geächtet und ausgestoßen sein, als mir lieb ist. Schon wieder fühlte ich diese tiefe Traurigkeit mich übermannen. Diese ganze Auserwählten-Geschichte und die Gespräche über das Heiraten taten mir ganz und gar nicht gut.
Lächle Jisung, mach weiter!
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The Earl and the Prince | Minsung
FanficWelcher Mensch kann schon von sich selbst behaupten, frei zu sein? Ich war es ganz sicher nicht. Problematisch war nur, dass ich nicht einmal wusste, wie ich meine Pflichten erfüllen sollte. Die Worte, die mir im Zusammenhang mit meinen Pflichten st...