Die Wege, die wir gehen

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In den letzten Tagen hatte ich tatsächlich mit mir selbst gehadert. Meistens hatte ich mich so leer und verloren geglaubt, dass ich meinen Ausweg nur noch in der Flucht sah. Doch jedes Mal hielt mich etwas zurück, so als würden sich selbst mein Herz und mein Gehirn dagegen sträuben, wegzulaufen.

Tief in mir, war ich auch einfach zu stolz hier und jetzt aufzugeben. Meine Bemühungen und meine wahrscheinlich noch folgenden Strapazen sollten nicht umsonst sein. Je öfter ich darüber nachdachte, desto entschlossener war ich, das Ganze durchzustehen. Ich würde einen Weg finden, mit dieser Last zu leben. Damit zu leben, dass ich den Prinzen heiraten würde, dass ich Minho heiraten würde.

Erneut dachte ich an unsere Begegnung in der Bibliothek. An seine Augen, die so panisch und verzweifelt ausgesehen hatten. Als wüsste er selbst nicht, was er tun sollte. Vermutlich hatte ich ihn vollkommen überrascht mit meinem Kuss. Doch er hatte ihn erwidert, er hatte mich ebenfalls geküsst. Unterbewusst strich ich mit dem Zeigefinger über meine Unterlippe und dachte an das berauschende Gefühl seiner kurzen aber intensiven Erwiderung zurück. , Dieser eine Moment hatte sich wirklich unglaublich gut angefühlt. Mir wurde schon bei der bloßen Erinnerung warm und ich seufzte.

ʹTu das nie wieder. Wenn du leben willst, dann tust du das nie wieder.ʹ Was hatte er damit sagen wollen? Würde er mir wirklich etwas antun, wenn ich ihm erneut so nahe kommen sollte? Was hatte ich denn getan, dass er mich nicht mochte? Ein kalter Schauer lief meinen Rücken hinab, als ich darüber nachdachte, was passieren könnte, wenn ich ihn verärgerte. Wollte er mir wehtun oder hatte er vor etwas Angst? Vielleicht gab es auch eine logische Erklärung für sein Handeln, schließlich hatte Felix ihn vehement verteidigt.

ʹHab bitte keine Angst davor, ihn zu heiraten. Mein Bruder ist ein guter Mensch, er wird dir ein guter Ehemann sein.ʹ Diese Worte hätte Felix nicht gesagt, wenn er sie nicht auch so meinen würde. Zwar war Minho sein Bruder, dennoch traute ich dem blonden Sonnenschein nicht zu, dass er mich anlog. Was hätte er auch für einen Vorteil von einer solchen Lüge?

Ich sah hinab zu meiner linken Hand und erblickte erneut den funkelnden Diamanten.

Naja, wenigstens Geschmack hatte der Prinz... zumindest, was Edelsteine betraf.

Für diesen Nachmittag war ein Termin bei der Schneiderin angesetzt. Diesmal nicht für mich, denn ich hatte meine, vom Königshaus ausgewählte Robe schon. Doch meine jüngeren Geschwister durften heute ihre Kleidung anprobieren und da ich mich sonst immer sofort verdrückt hatte, wann immer es mir möglich gewesen war, musste ich heute mit zur Anprobe.

Meine Eltern bekamen glücklicherweise nichts von meiner schlechten Verfassung mit. Das mochte daran liegen, dass ich jedes Mal ein Lächeln aufsetzte, wenn ich mein eigenes Zimmer verließ und mich unter Menschen begab. Aber Jeongin schien etwas zu ahnen. Immer wieder sagte er mir, ich könne über alles mit ihm reden, ihn immer um Hilfe bitten, doch ich nickte jedes Mal nur und versuchte, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken.

Was hätte ich ihm denn auch sagen sollen? Dass ich nicht wusste, ob meine Ehe nicht jetzt schon zum Scheitern verdammt war? Dass Minho mich höchstwahrscheinlich nicht mochte und mich für unwürdig hielt, an seiner Seite zu stehen?

Nein! Ich würde schweigen und weitermachen. Lächeln, als wäre ich wirklich glücklich und mir Mühe geben, nicht vollkommen dem Wahnsinn anheimzufallen.

„Jisung? Kommst du mit?" Yves stand im Türrahmen und streckte ihre Hand nach mir aus. „Komm Bruderherz, wir wollen doch nicht zu spät bei der Schneiderin sein. Schließlich wollen wir auf deiner Hochzeit phantastisch aussehen."

Mit einem Nicken trat ich zu ihr. „Bin schon da du kleine Nervensäge."

„Eyyy, ich habe doch nur die Wahrheit gesagt. Aber natürlich wirst du am allerschönsten sein." Sie grinste mich von der Seite an und hüpfte beschwingt neben mir her. „Ihr beide werdet traumhaft zusammen aussehen."

„Mhm." Warum musste sie ausgerechnet solche süßen Sachen sagen? Bei meiner Schwester klang meine Hochzeit, wie ein Märchen, indem alles wunderbar ist und alle sich lieben. Die Realität war da um einiges härter.

Wir kamen bei den Kutschen an. Ich steuerte die Vordere der beiden an, ließ meiner Schwester den Vortritt und wollte gerade hinter ihr ins Innere der Kutsche klettern, als Jeongin mich abhielt.

„Du fährst mit mir mit, lass unsere Schwestern gemeinsam fahren." Ohne meine Antwort abzuwarten, zog er mich zur zweiten Kutsche und schob mich hinein. Kurz darauf setzte sich diese schon in Bewegung.

Ein wenig nervös, rutschte ich auf meinem Platz hin und her und hoffte, dass Jeongin mich nicht erneut ausfragen würde. Doch natürlich ging mein Wunsch nicht in Erfüllung.

„Hyung, sag mir was los ist. Dich bedrückt etwas. Du kannst mit mir darüber sprechen. Ich sage es keinem. Was ist das zwischen dir und Minho?"

Unwohl biss ich mir auf die Unterlippe und versuchte, eine möglichst einfache und glaubwürdige Antwort zu finden. Ich wollte ihm die Angst nehmen. Ich wollte nicht, dass er dachte mir ginge es schlecht. Er sollte zufrieden und unbeschwert sein und sich nicht solche Sorgen machen müssen.

„Ich bin einfach nur schrecklich aufgeregt, zu heiraten. Die Hochzeit und die vielen Vorbereitungen sind ein wenig stressig und ich mache mir Gedanken, dass ich irgendetwas nicht bedacht oder vergessen habe." Zur Untermalung meiner Worte raufte ich mir die Haare und sah ihn dann mit großen, bittenden Augen an. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ich will, dass du dich auf deine Hochzeit mit Chan freust. Ich finde, ihr seid ein so tolles Paar."

Mein Bruder schien nicht ganz überzeugt von meinen Worten und legte den Kopf schief. „Ich hab dich wirklich sehr lieb Jisung. Ich bewundere dich dafür, dass du immer versuchst, erst alle anderen glücklich zu machen und erst dann an dich selbst denkst. Trotzdem bitte ich dich, mit mir zu sprechen, wenn du nicht weiter weißt oder es dir schlecht geht. Ich bin dein Bruder, auch ich will dich froh und munter sehen."

Mir wurde warm bei seinen Worten und spontan setzte ich mich zu ihm und zog ihn an mich. „Danke Innie. Das weiß ich wirklich zu schätzen." 

The Earl and the Prince | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt