Das letzte Wort und eine Metapher

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„Jeongin. Jisung. Kommt mal bitte her." Vater hatte uns sofort in der Eingangshalle abgefangen und uns zu sich gewunken. Er musterte mich nur kurz abschätzig und wandte sich dann Jeongin zu.

„Offenbar meint es Christopher Bang ziemlich ernst mit dir. Seine Familie und er waren heute hier und der Junge hat um deine Hand angehalten." Mein Vater lächelte sehr zufrieden und klopfte meinem kleinen Bruder auf die Schulter. Jeongin stand mit weit offenem Mund da und im nächste Augenblick fiel er mir um den Hals. Ich lachte und zog ihn fest an mich. Das waren wirklich wunderbare Neuigkeiten.

„Nur haben wir ein kleines Problem Jeongin. Du kannst nicht vor deinem älteren Bruder heiraten. Das würde sich nicht gehören." Nun hatte sich mein Vater zu mir gewandt. Sein Blick war fest entschlossen und ich ahnte nichts Gutes.

„Deshalb werde ich mich jetzt um deine Verlobung kümmern Jisung. Anscheinend hast du den Ansporn verloren."

Seine Worte trafen mich hart und ich schnappte entsetzt nach Luft. Das durfte nicht wahr sein!

„Aber Vater, ich~" „Nein Jisung, ich habe mich bereits entschieden, das selbst zu regeln. Wenn alles so läuft, wie ich es denke, dann werden wir auf unserem Ball in drei Tagen beide Verlobungen bekanntgeben. Das ist mein letztes Wort." Und schon hatte er sich umgedreht und war gegangen.

Ich stand einfach nur da und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. Wie viele Hiobsbotschaften konnte ein einzelner Mensch eigentlich verkraften? Offenbar war das Universum der Meinung, dies an mir austesten zu müssen.

Das Problem gerade war, dass ich nicht mal mehr die Kraft hatte, mich zu wehren. Was sollte ich auch zu meiner Verteidigung sagen? Ich hatte mich wirklich wenig bemüht, einen Partner zu finden und die Versuche, die ich unternommen hatte, waren grandios gescheitert.

Am Ende war es so am einfachsten. Jetzt musste ich mich nicht mehr präsentieren, wie Ware, die auf dem Markt verkauft wurde. Nun würde ich einfach meine Pflicht erfüllen und keine Erwartungen und Wünsche an meine Ehe stellen. Irgendwie würde ich das schon schaffen.

Unterbewusst hatte ich mich in Bewegung gesetzt und befand mich auf dem Weg in die Bibliothek. Die nächsten Stunden würde ich mal wieder vollkommen alleine verbringen und mich vor der Welt und meinen Sorgen verstecken.

In dem großen Saal angelangt, trugen mich meine Beine wie von selbst zu dem Regal mit den dicken in Leder gebundenen Ausgaben der Literaturklassiker.

Was sollte es diesmal werden? Zärtlich strich ich über die Buchrücken, las die Titel und verharrte schließlich auf einem etwas kleineren aber schon ziemlich alten Buch.

Ovids Metamorphosen. Ich kannte die meisten der kurzen Geschichten zwar, doch ich liebte die kurzweiligen Erzählungen über römische und griechische Mythologie. Ganz besonders, da die Sagen selten ein gutes Ende aufwiesen. Dennoch waren sie so faszinierend und brillant geschrieben, dass ich sofort nach dem Werk griff und vorsichtig über den Einband strich. Ich trat zu einem der gemütlichen Ohrensessel, setzte mich so, dass ich die Beine über die Armlehne legen konnte und schlug das Buch auf.

Schnell fand ich die Erzählung über die unglückliche Liebe zwischen dem wunderschönen Jüngling Narziss und der Nymphe Echo.

Echo begegnet dem Jüngling auf der Hirschjagd, kann diesem jedoch ihre Liebe nicht direkt gestehen, da sie durch die Göttin Juno dazu verflucht wurde, lediglich die letzten Worte des Gesprächspartners wiederholen zu können. Der schöne Jüngling verschmäht sie und flieht vor ihr.

»Doch die Liebe bleibt und wächst noch aus Schmerz über die Zurückweisung.«

Ist das nicht ziemlich dumm, sich in die Person, die einen abweist noch mehr zu verlieben, anstatt sich jemanden zu suchen, der einen genauso liebt?

Narziss selbst hat einen Vielzahl an Verehrern, sowohl Frauen als auch Männer liegen dem schönen Jüngling zu Füßen, doch sie werden alle von ihm abgewiesen. Als sich dann Narziss selbst in einer Wasserquelle bewundert, stellt er fest, dass es nichts Schöneres gibt, als seinen eigenen Anblick. Daraufhin versucht er diesen einzufangen und als ihm das nicht gelingt, beschließt er, zu sterben.

Für diesen Egoismus und seinen grenzenlosen Selbstbezug wird er nach seinem Tod zu einer Narzisse.

»Da war der Leib nirgends mehr. An seiner Stelle finden sie eine Blume, in der Mitte safrangelb und umsäumt mit weißen Blütenblättern.«

Eine schöne Vorstellung, dass die Götter den Jüngling nach dem Tod in eine wunderschöne Blume verwandeln. Wirklich poetisch und es lässt die Grausamkeit der Geschichte doch erträglich werden.

Neugierig blättere ich weiter und versinke immer mehr in den Erzählungen des Dichters.

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Am nächste Morgen, verließ mein Vater früh das Haus und kehrte erst spät am Abend zurück. Allerdings nicht ohne mir zu verkünden, dass wir am nächsten Tag mit dem König und dem Kronprinzen ausreiten würden.

Na großartig, als ob ich nicht schon genug Probleme hatte. Aber diesmal würde ich Minho einfach ignorieren. Wenn er das konnte, konnte ich das sicherlich auch.

Meine Antwort bestand aus einem einfachen Nicken bevor ich mal wieder in die Bibliothek flüchtete. 

The Earl and the Prince | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt