91 - Erklärungen

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Die Kurzatmigkeit war mittlerweile mein stetiger Begleiter, vor allem dann, wenn ich wieder einen Tritt in die Lungen kassierte, was meiner Meinung nach viel zu oft passierte. Eines der Jungen lag einfach so unvorteilhaft und wollte sich offenbar nicht anders platzieren.

Meine Hand klammerte sich an Eliahs Oberschenkel, der direkt neben mir saß, und versuchte mich mit beruhigenden Berührungen etwas von meinem Schmerz abzulenken.
Am Tisch war es still geworden, als mein schmerzvolles Aufstöhnen ertönte und jetzt musterten sie mich alle besorgt, anstatt einfach weiter zu essen.

»Es geht gleich wieder.«, presste ich atemlos hervor und wand meinen Blick von ihnen ab und fokussierte mich ganz auf Eliahs sanften Berührungen. »Eines liegt unvorteilhaft und kickt mir andauernd in die Lunge.«, erklärte ich schwerfällig und strich über die Stelle an meinem Bauch, an der das Kleine liegen musste.

»Ihr müsst mir das genauer erklären.«, kam es plötzlich leise von Mona, die ihre Kaffeetasse langsam von sich schob. »Finns Körper ist offensichtlich nicht für eine Schwangerschaft gemacht, wie kann er trotzdem schwanger sein?«, fragte sie und klang dabei verständlicherweise stark verwirrt.

»Finns Körper ist dafür ausgelegt.«, antwortete Eren für mich und legte seine Gabel hörbar auf seinem Teller ab. »Jede Frau hätte mit Vierlingen wirklich Probleme und würde an diesem Punkt der Schwangerschaft wahrscheinlich nur noch bettlägerig im Krankenhaus sein.«, setzte er fort und klang dabei für meinen Geschmack etwas zu schnippisch.
Mona kannte sich in unserer Welt nicht aus. Für sie war das natürlich alles unverständlich. Deswegen war es umso wichtiger, es ihr langsam und vor allem gefühlvoll nahe zu bringen.

»Eren.«, ging ich dazwischen, bevor er noch mehr sagen konnte. Ich streckte meine Hand nach ihm aus, die er sofort ergriff und sanft drückte.

»Eliah, ich denke, es ist Zeit.« Rolf nickte seinem Sohn zu, der sich daraufhin augenblicklich versteifte.

»Zeit wofür?«, fragte Mona mit hohem Interesse nach und lächelte aufmunternd in die Runde.

»Mum... ich–« Eliah unterbrach sich selbst, sah Hilfe suchend zu mir, ehe er den Blick abwand und in seine halbvolle Kaffeetasse sah. Ich wusste, dass Eliah nicht wusste, wo er anfangen sollte, um Mona nicht gleich von vorneweg zu verschrecken, deswegen fehlten ihm offensichtlich die Worte.

»Mona, du weißt, doch was mit Enno damals passiert ist.«, setzte ich vorsichtig an und verlagerte mein Gewicht auf dem Stuhl etwas. Lange würde ich nicht mehr sitzen können.

Mona verzog überrascht die Augenbrauen nach oben, ehe sich ein schmerzhafter Ausdruck auf ihre Züge legte. Es musste schwer für sie sein, daran zurück zu denken.
Erst wurde ihr Sohn schwer verletzt und dann verschwand der andere einfach.

»Enno... wurde verletzt, ja.«, murmelte sie leise und schloss gequält die Augen. »Was hat das damit zu tun? Das ist schon über zwanzig Jahre her!« Sie klang aufgebracht, aber gleichzeitig ausgelaugt, sodass ihre Worte nicht so viel Nachdruck hatten, wie vielleicht gewollt.

»Du hast die Verletzungen gesehen, Mum. Das ist nicht passiert, weil Enno vom Baum gefallen und an den Ästen hängen geblieben ist. Das weißt du und auch, wenn du es nie hinterfragst hast, wusstest du, dass das nicht stimmt.«, kam es leise von Eliah, dessen Hände meine fanden und beinahe unangenehm fest zudrückte.

Mona drehte resigniert den Kopf weg. Nach all den Jahren war wahrscheinlich keiner hier gewillt darüber zu sprechen, die alten Wunden waren verheilt, sie jetzt wieder aufzureißen, tat keinem hier gut. Das konnte man nicht nur Eliah und Mona ansehen. Auch Rolf wirkte in diesem Moment mitgenommen und wie in der Zeit zurückversetzt.

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