21 - Erkenntnis

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Erschrocken fahre ich aus einem traumlosen Schlaf und sehe mich in der unbekannten Umgebung um. Würde Eliahs Duft nicht so intensiv in der Luft hängen hätte ich sofort Panik bekommen, aber allein das beruhigte mich so weit, dass ich mich wieder entspannt auf das Polster fallen ließ.

Ich lag noch immer auf dem Sofa auf dem Eliah mich abgelegt hatte. Eine weiche Decke lag über mir und auf dem Wohnzimmertisch stand eine Karaffe mit Wasser und einem Glas.
Wo ist Eliah?

Das erneute aufsetzten fiel mir zum Glück relativ leicht und ich musste verwundert feststellen, dass ich tatsächlich keine Schmerzen hatte. Nicht einmal mein Kopf mit dem ich gegen die Tischplatte geschlagen war, tat noch weh.

Ich setzte meine Beine auf den Boden und schenkte mir etwas von dem Wasser in das Glas. Gierig trank ich es mit wenigen Schlücken aus und füllte es erneut auf.
Wo ist Eliah und warum bin ich alleine?

Nachdem ich noch zwei weitere Gläser ausgetrunken hatte erhob ich mich vom Sofa und entledigte mich dem Pullover, den ich trug, da mir ungewöhnlich warm war. Vielleicht hatte ich auch deswegen solchen Durst.

Ich begann das Wohnzimmer etwas zu inspizieren. An der Wand hingen zahlreiche Bilderrahmen und erst wollte ich sie ansehen, doch ich erkannte aus der Ferne einen schwarzhaarigen Mann und ich wollte Eliah das erste Mal in Echt sehen und nicht auf einem Foto.
Entschlossen drehte ich mich von der Bilderwand weg und ging stattdessen durch die Tür in einen schmalen Gang. Auch hier wimmelte es von Fotos und mit einem auf den Fußboden gesenkten Blick um ja keinen Blick auf eines der Bilder erhaschen zu können, machte ich mich auf den Weg hoffentlich in Richtung Küche.

Ich konnte keinen Herzschlag hören, was bedeutete, dass Eliah tatsächlich doch wieder gegangen war und mich in seinem Haus alleine gelassen hatte.

Eine Welle der Wut durchfuhr mich und mit der geballten Faust haute ich an den Türstock, der mir den Blick in die Küche freigab. Auf dem Kücheninsel stand eine Schale mit Keksen von denen ich mir beleidigt wegen Eliahs Abwesenheit erst einen und dann zwei genehmigte. Ich hatte Hunger.

Der kleine Snack vorhin hatte mir zwar gutgetan, aber unterm Strich war es keine richtige Mahlzeit und nachdem mein sowieso geschwächter Omegakörper Energie zum heilen benötigt hatte, drängte mich mein Hunger dazu noch einen dritten Keks zu essen.

»Ess' nicht alle Kekse. Ich wollte mich eben ans Abendessen machen.« Die Stimme klang belustig und ich konnte mir das Schmunzeln auf seinen Lippen beinahe bildlich vorstellen.

Diese raue Stimme ließ mich sofort in meiner Bewegung innehalten. Ich war so sehr in Gedanken vertieft, dass ich tatsächlich nicht bemerkt hatte, das Eliah das Haus betreten hatte.

Ich hörte sein kräftiges Herz. Sein frischer Duft, der mit seiner Anwesenheit noch intensiver wurde, umspielte wie so oft meine Sinne. Und ich war froh auf dem Hocker an der Kücheninsel zu sitzen, sonst wäre ich mal wieder einfach zusammengeklappt.

Ich konnte hören, wie er sich hinter mir in Bewegung setzte und zwei volle Tüten neben mir auf der Kücheninsel abstellte. »Ich hoffe, du magst Paella.«

Erneut jagte mir seine männliche Stimme einen Schauer über den Rücken und eine zarte Gänsehaut bildete sich an meinem ganzen Körper.

Wie in Zeitlupe sah ich von der Tischplatte auf und wand mich langsam Eliah zu.

Mein Herz raste. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Schweißdrüsen arbeiteten auf Hochtouren.

Zum ersten Mal konnte ich ihn sehen. Nicht nur in meinem Träumen, nicht auf einem Bild. Sondern in Wirklichkeit. In der echten, realen Wirklichkeit.

Da stand er.

Groß, mit einer breiten Brust. Eine Hand entspannt auf der Kücheninsel abgelegt, die andere einfach an seiner Seite hinunterhängend.

Der kräftige Kiefer wurde von einem ordentlichen Dreitagebart umrahmt, welcher sein kantiges Gesicht noch kantiger wirken ließ. Seine gerade Nase und die makellose Haut führten hinauf zu den schönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Eisblau. Beinahe klar wie ein Gebirgsbach. Mit vereinzelten dunkelblauen Sprenkeln. Sie glänzten einfühlsam und so liebevoll, dass mir beinahe schlecht davon wurde. Im guten Sinn.
Seine schwarzen Wimpern rahmten seine perfekten Augen malerisch ein und die tadellosen Augenbrauen, die sein Gesicht auf eine Art und Weise abrundeten, wie Gott es nicht hätte besser machen können.

»Eliah.« Meine Stimme war tonlos und nur ein Hauchen.

Vorsichtig hob ich meine Hand, die zu meinem Erstaunen nicht zitterte, und nährte mich damit zögerlich Eliahs Wange. Ich wollte ihn berühren. Ich wollte wissen, ob ich nicht träumte.

Das konnte kein Traum sein. Das musste echt sein.

Als meine Hand seine weiche und durch den Bart leicht kratzige Wange berührte war es um mich geschehen. Stumm begannen die Tränen über meine Wangen zu laufen.

Er war es. Wirklich.

Es war kein Traum. Es war die Realität.

So oft hatte ich mir gewünscht ihm so nah sein zu können. Ihn endlich sehen, ihn endlich berühren zu können. Und dafür keine Abfuhr seinerseits zu bekommen.

Kaum merklich lehnte er sich in meine Hand, die auf seiner Wange lag und ein zärtliches Lächeln umspielte seine vollen Lippen.

Diesmal würde er nicht zurückweichen. Diesmal würde er mich nicht einfach weiterreichen. Nicht einfach auf dem Waldboden liegen lassen.
Diesmal würde er bleiben.

Bei mir.

»Finn.«, sagte er genauso leise wie ich. Mit so viel Gefühl, dass mir beinahe schwarz vor Augen wurde. Er legte seine rauen Händen an meinen Wangen und strich sanft mit den Daumen meine Tränen weg.

Mein Herz überschlug sich beinahe bei seiner Klopfgeschwindigkeit und in anderen Situationen hätte ich Angst gehabt, dass es gleich vor Erschöpfung aufhören würde. Mein Kopf war wie leergefegt. In meinem Bauch sammelten sich so viele Gefühle, dass ich dachte, er würde gleich platzen.
Nur noch Eliah zählte.

Nichts anderes. Er und nur er. Nur dieser Moment.

Lange sahen wir uns einfach nur in die Augen. Keiner sagte etwas. Es musste auch nichts gesagt werden. Wir genossen den Augenblick. Genossen die Nähe. Die Vertrautheit. Die Zärtlichkeit, die wortlos austauschten.

»Paella hört sich gut an.« Wieder war meine Stimme nur ein Hauchen. Zu groß war die Angst diesen Moment zu zerstören.

Ein glückliches Lächeln legte sich auf seinen Lippen und mit einem letzten sanften Druck löste er seinen Hände von meinem Gesicht und auch ich nahm meine Hand weg.

»Gut. Etwas anderes kann ich auch nicht wirklich kochen.« Sein raues Lachen erfüllte den Raum und ließ meine Knie wieder zu Pudding werden.

Dieser Mann war perfekt.

Und als er mich ansah. Mit diesem glücklichen Lachen auf den Lippen. Mit diesem intensiven zärtlichen Blick. Verstand ich plötzlich warum ich das alles durchmachen musste. Warum ich degradiert bin. Warum ich zum Omega werden musste.

Für ihn.

Damit ich an seiner Seite sein konnte. Dort wo ich hingehörte.

Und mit dieser Erkenntnis war der ganze Hass, die ganze Ablehnung gegen meine Situation verschwunden. Die Trauer, der Schmerz, das Leid. Alles fiel von meinem Schultern ab.

Ich konnte jetzt endlich richtig akzeptieren, wer ich war und was mit mir geschehen war.

Es war keine Bestrafung.

Es war ein Geschenk. Ein Geschenk an mich. An mein Glück. An Eliah.

Degradierung - vom Beta zum Omega ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt