1. Diese Augen

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„Habt ihr sie?", fragte ich etwas außer Atem über Funk nach und blickte auf die kleine schwarze Box in meiner Hand, aus der kontinuierlich knisternd Geräusche kamen, die ich nicht genau identifizieren konnte.

„Ja, du kannst hereinkommen", summte das kleine Funkgerät daraufhin und ich atmete erleichtert aus.

Erst jetzt bemerkte ich, dass ich vor Nervosität den Atem angehalten hatte. Aber das war gerade unwichtig und konnte mich auch nicht aufhalten.

Aufgeregt rannte ich die knarrende Treppe hinauf in die alte hölzerne Villa und betrat wachsam den dämmrigen Flur, während unangenehm riechender Rauch meine Sicht trübte. Dabei versuchte ich mich zu orientieren, obwohl der beißende Geruch von Tod, Erbrochenen und Blut meine empfindliche Nase durchdrang.

Angepisste riss ich meine Hand schützend vor mein Gesicht.

Es war kaum auszuhalten.

Eilig schaute ich mich um, und stellte fest, dass ich in einem ehemals weiß getünchten Hausflur mit einer alten Gründerzeitkommode stand, auf dem eine spitzen verzierte Tischdecke lag. Ein leerer verwaister Garderobenständer stand traurig in einer Ecke und eine ehemals gleichfalls weiß angestrichene Holztreppe führte in das obere Stockwerk. Alles sah alt und verwahrlost aus, als wenn jemand vor fünfzig Jahren beschlossen hatte, einfach nichts mehr zu verändern oder zu erneuern.

Aber all das sollte mich nicht interessieren. Vor allem nicht, was aus den Bewohnern geworden war. Ich war hier wegen der Anderen.

Also begann ich, die Umgebung zu erkunden und als ich meinen Blick durch den Flur schweifen ließ, wurden all meine Sinne plötzlich überreizt. Neben den ekligen Gerüchen, hörte ich lautes Schmatzen und gequältes Stöhnen aus dem Nebenraum. Während über mir, tiefes Brüllen und schwere rennende Schritte zu hören waren.

In Eile warf ich einen Blick in das offene, verrauchte Zimmer neben dem Eingang. Es war eindeutig mal ein Wohnzimmer gewesen, aber jetzt sah es chaotisch aus. Die schweren dunklen Vorhänge hingen herunter, stoffbezogene Stühle und ein Biedermeiertisch waren umgeworfen worden und aus dem steinernen offenen Kamin stieg Rauch auf. Alte Zeitungen und Zeitschriften lagen verstreut auf dem Boden des Zimmers. Zwischen ihnen befanden sich vereinzelt brutal niedergemetzelte blutende Körper mit verdrehten Armen oder Beinen. Einer starrte mich mit gebrochenen Augen an. Das Gesicht zur hässlichen Fratze aus Angst und Tod verzogen.

Mein Magen bewegte sich schlagartig und rumpelt unangenehm.

Ich sah, wie sich ein dunkel gekleideter Mann gerade über sein Opfer beugte, welches noch verzweifelt versuchte, sich mit den Armen zu wehren und entmutigt resigniert laut stöhnte. Dieses Geräusch der Resignation ging mir durch Mark und Bein.

Trotz der verzweifelten Verteidigungsversuche sich gegen den dunkel gekleideten Mann zu wehren, fühlte ich mich nicht verpflichtet einzugreifen. All das ging mich nichts an. Es war ihre Entscheidung gewesen, gegen uns zu kämpfen und ich war bestimmt nicht ihr Retter. Aber ich war hier, um anderen zu helfen. Andere hatten es viel nötiger, als diese Menschen, die sich außerhalb jeglicher Ethik gestellt hatten.

Eilig blickte ich mich im verwahrlosten Flur um. Ich hatte nicht viel Zeit. Wir mussten uns beeilen. Denn wir wussten nicht, ob sie Hilfe angefordert hatten, oder ob wir gehört worden waren.

Meine Aufmerksamkeit wurde auf eine Kellertür unter der Treppe gelenkt, die mit abgefranster Tapete bedeckt war. Es schien, als ob noch niemand dort untern gewesen war.

„War schon jemand im Keller gewesen?", fragte ich über Funk nach.

„Soweit ich weiß, nicht. Sei vorsichtig. Ich komme gleich nach, sobald ich mit dem Arsch hier fertig bin", kam es mit gurgelnden Nebengeräuschen aus der kleinen Kiste.

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt