Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)

72. Verrückte und Verletzte

"Salvatore wurde angegriffen!", überfiel mich Spencer ziemlich aufgeregt mit schlechten Nachricht, als er mit Voltus in meiner Eingangstür stand.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn nicht richtig verstanden zu haben und schaute ihn entsetzt an, unterdessen mir ein eisiger Windhauch über den Rücken glitt und meine Fingerspitzen durch den gleichzeitig schmerzhaften Adrenalinstoß schlagartig unangenehm heiß wurden.

"Hast du schon davon gehört?", fragte er, während er mich mit übergroßen Augen aufgebracht wütend anschaute.

Ich schüttelte verneinend den Kopf.

Der Morgen fing ja schon mal gut an, dachte ich, während ich beide hineinließ und mir meine Finger rieb, die unnatürlich brannten.

Aber wieso hatte ich von all dem nichts gespürt, fragte ich mich. Normalerweise hatten wir eine enge emotionale Bindung zueinander und auch andere Vampire konnten einander spüren. Gerade negative und aggressive Emotionen verbreiteten sich rasch über unsere vampirischen Verbindung. Aber warum hatte ich dieses Mal nichts davon mitbekommen? Gut, gestern Abend hatte ich kurz ein helles Aufflackern einiger schmerzhaft negativer Emotionen verspürt, aber es war nur ein winziger Hauch gewesen. New York war zu weit weg, um die Empfindungen anderer Vampire regelmäßig aufzunehmen... Denn, würde ich dauerhaft die Gemütsbewegungen von anderen nicht filtern können, würde ich wahrscheinlich wahnsinnig werden.

Was mich aber verwunderte, war, dass die Verbindung zu Sal bisher immer besonders eng gewesen war. Warum hatte ich nichts gespürt? Wir beide zeigten uns bisher regelmäßig unsere Empfindungen.

Ich vermisste ihn und ließ ihn das auch oft genug wissen. Und auch er zeigte mir viel von sich. Egal was es war, ob Wut, Trauer, Einsamkeit oder Freude. Alles konnte mit einem Mal auf mich einschwappen und ich genoss es, mit ihm derart verbunden zu sein. So wusste ich, dass ich nicht ganz alleine war.

Daher fragte ich mich, wie es sein konnte, dass unsere emotionale Verbindung auf einmal aufgehoben wurde. War Salvatore aufgrund seines Alters in der Lage, mir nur bestimmte Emotionen zu schicken? Konnte er seine Kräfte filtern, fragte ich mich. Wahrscheinlich war ihm auch das möglich. Seine telepathischen Kräfte waren wirklich stark. Ich musste dies unbedingt im Vampirforum erfragen.

Was verdeckst du vor mir, fragte ich mich und schickte meine Gedanken an Sal auf die Reise, während ich mich gleichzeitig fragte, was passiert war.

Der Vampir vor mir fuhr sich fahrig durch das Haar, während er ins Wohnzimmer ging und Voltus ihm folgte, wie ein treuer Hund, wo sich beide auf der Couch fallen ließen.

So aufgeregt hatte ich Spencer trotz der vielen Entführungen, bisherigen Überfälle und auch in unseren Einsätzen noch nicht erlebt. Denn eigentlich war das nichts Neues für uns. Wir hatten nicht umsonst mehrere Vampire hier in der Region befreit. Und seitdem ein angeblicher Engel von den Vampiren festgehalten wurde, sind diese Übergriffe der Kirche auch nicht weniger geworden im gesamten Land. Mehrere Clans berichteten darüber und immer wieder wurde im Vampirnetz darüber spekuliert. Also musste wohl wirklich etwas Schlimmes passiert sein, dass es ihn so getroffen hat, dachte ich aufgelöst.

Dabei kannte er Salvatore doch erst seit kurzem.

Aber auch ich musste mich erstmal setzten nach dem Schreck. "Geht es ihm gut? Ist dir bekannt, was passiert ist?", fragte ich angespannt.

Er seufzte. "Ich hatte einen Anruf von einem Polizisten aus Manhattan. Der berichtete mir, dass der Besitzer des Clubixx gestern Abend auf dem Weg zu einer Veranstaltung an der Upper Eastside angegriffen wurde. Eine ganze Horde Verrückter hatte seinen Wagen, der in einer Kolone aus drei Fahrzeugen fuhr, angehalten. Sie hatten sich - unglaublich, aber wahr, -zu mehreren vor die drei Fahrzeuge geworfen und wie wild herumgeschrien, als wenn es Irre wären. Dann hatten weitere Vermummte mit Baseballschlägern brutal auf die drei Wagen mehrfach eingeschlagen. Sie sind ziemlich verbeult, berichtete mein Bekannter. Die Wagen waren - Gott sei Dank - mit Panzerglas ausgestattet gewesen. Aber trotz allem waren es viele gewesen, die gleichzeitig angegriffen hatten. Sals Bodyguards mussten eingreifen und das mitten in der Innenstadt auf einer Haupteinkaufsstraße. Natürlich gab es einen riesigen Stau und Chaos auf der Straße. Die ganze Gegend war in Aufruhr. Unbeteiligte halfen den Bodyguards einige Verrückte festzuhalten.

Die Angreifer wurden durch die Polizei festgenommen und es gab mehrere Leichtverletzte. Ich vermutete, dass die Bodyguards gerne anders gehandelt hätten. Aber auf einer voll belebten Hauptverkehrsader wäre das wohl zu auffällig gewesen. Also mussten sie ganz normal die Polizei rufen. Mein Bekannter ist ein normaler Mensch und er war durch das Zusammenrufen der Polizei in dem Gebiet bei den Festnahmen mit dabei gewesen, als es zu den Festnahmen kam. Es musste wohl das pure Chaos geherrscht haben... Ein wenig hatte ihn die ganze Sache an eine unerlaubte Demonstration erinnert. Nur, dass die Angreifer versucht haben, die Autos zu erstürmen.

Er sagte, dass es Wunder war, dass nicht mehr passiert war, außer ein paar Leichtverletzte. So finster aussehenden Bodyguards würde er nicht gerne im Dunkeln begegnen wollen... Sie hatten sich nicht die Waffenscheine zeigen lassen, da die Waffen alle verdeckt getragen wurden und nicht ein Schuss in der ganzen verrückten Situation abgegeben wurde. Er dachte zuerst, dass es sich um einen Kampf unter Mafiaclans handeln würde. Aber das sah nicht so aus und das war total verrückt, meine er. Teilweise waren die Personen, die festgenommen wurden, vermummt, aber es waren auch ganz normale Bürger darunter. Kirchgänger, wie sie selbst über sich während der Vernehmung berichtet hatten. Er hatte eine Person vernommen, die bisher nicht eine Strafanzeige im gesamten Leben bekommen hatte. Das Verrückteste daran war, dass die Festgenommen im Endeffekt alle das Gleiche erzählt hatten und es erschien, als wenn die Angreifer an Salvatore herankommen wollten.

Was er überhaupt nicht verstand war, wieso die Festgenommen sich auf einmal mit der Mafia anlegt hatten. Normalerweise würden sich gewöhnliche zurechnungsfähige Bürger vom Mafiaabschaum fernhalten und deren Taten. Und soweit es sie nicht direkt betraf, wurden solche Sachen zumeist von den Anwohnern geduldet. Er konnte das überhaupt nicht begreifen.

Aber diese Kirchenfritzen waren völlig von der Rolle und faselten andauernd von gefährlichen Vampiren und dass die einen echten Engel festhielten... Jedenfalls werden sie im Endergebnis nach den wirren Vernehmungen nun zeitweilig zur Untersuchung in eine Irrenanstalt eingeliefert." Er schüttelte seinen Kopf. "Und das war alles geschah mitten im Berufsverkehr."

Entsetzt schaute ich ihn an. Waren die Kirchenmitglieder jetzt völlig verrückt geworden? Was wollte sie mit dieser Aktion erreichen, fragte ich mich. "Ist Vincenzo verletzt?"

"Soweit ich weiß, ist alles in Ordnung mit ihm. Aber wahrscheinlich musst du ihn selbst fragen... Das regt mich so auf. Jetzt greifen die schon jeden einfach auf der Straße an. Langsam wird es echt gefährlich. Wie sollen wir denn alle schützen, wenn das so weitergeht. Das muss doch mal wieder aufhören. Die wollen uns wirklich ausrotten. Dieser Opus Dei ist wirklich unheimlich und ich frage mich, woher die das gewusst haben? Und diese Engelssache? So ein Quatsch. Gut, du hast bestimmte Fähigkeiten. Aber..." Aufgeregt stand er auf, ging an den Kühlschrank und holte sich eine kleine Portion Blut heraus, die er ordentlich in ein drei Gläser abfüllte und vor uns auf den Couchtisch stellte. Anschließend ließ er sich auf dem Platz mir gegenüber erneut nieder. "Sorry, du siehst blass aus. Ich wollte dich nicht so erschrecken. Trink etwas."

Emotional ausgelaugt nickte ich und griff zu. Das hatte mich jetzt echt von den Socken gehauen. War die Kirche wirklich so verrückt? Nur meinetwegen einen offenen Krieg zu beginnen? Oder war das nur ein Hinweis mit dem Zaunpfahl? Hatte meine Begegnung mit diesem Bischof damit etwas zu tun? Hatte er dies veranlasst? Aber eigentlich war der Zeitraum zu kurz dafür. Könnte es sein, dass diese Opus Dei Mitglieder in New York eigenständig handelten? War alles bereits schon länger geplant? So viele Fragen und ich hatte keine Antworten. Aber ich war wahrscheinlich der Einzige, der daran etwas ändern konnte. Ich war so wie es aussah, derjenige den sie haben wollten.

Was sollte ich nur tun, fragte ich mich, als ich, mit zitternder Hand, nach dem Glas mit Blut griff.