2. Daheim

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Erschöpft und durstig parkte ich den SUV in der Tiefgarage meines Appartementhauses und betrachtete nochmal auf die Augen, welche mich unverändert hilfesuchend anstarrten.

Kurz überlegte ich, ob ich mit ihnen sprechen sollte. Dass sie am Leben waren, spürte ich. Aber es waren keine Ohren vorhanden, also konnten sie mich wahrscheinlich nicht hören.

Mit einem Seufzen schnallte ich den Behälter ab und trug ihn vorsichtig zum Fahrstuhl.

Besorgt runzelte ich die Stirn und wahr erleichtert, dass niemand mich sah und dass es auch keine Überwachungskameras in diesem Haus gab. Denn ich roch gruslig nach Rauch und trug einen Behälter mit zwei lebendigen Augen vor mir her. Das musste für andere ziemlich verrückt aussehen. Dennoch konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn vor ein paar Jahren hätte ich mir so etwas niemals vorstellen können.

Ich ein Vampir? Schwachsinn! So etwas gab es nicht! Mein Leben war langweilig, aber geordnet. Ich hatte zu dieser Zeit einen klassischen IT-Beruf und war Programmierer. Mein Lebensumfeld bestand aus ein paar netten Freunden, natürlich alle Nerds und dem Internet. Hier traf man sich zu einem Plausch über IT-Themen. Das reichte mir früher vollkommen. Mehr brauchte ich nicht.

Ich und das Internet, das war eine perfekte Symbiose gewesen.

Nun hatte sich alles geändert und ich war ein Domus, ein echter Clanführer. Meinem Vampirclan der Sektion Boston gehörten aktuell einundvierzig Vampire an. Dabei war ich der Schwächste und Jüngste von ihnen... So ganz sicher war ich mir nicht, warum gerade ich, zum Domus der Truppe gewählt wurde. Na ja, 'gewählt' war eigentlich nicht der richtige Ausdruck. Vermutlich war die Presse und das berühmte World Wide Web daran schuld und dass ich anders war, als alle Vampire, die ich bisher kennengelernt habe. Mein menschliches Auftreten konnte es nicht sein, oder vielleicht doch? Ich war mir nicht sicher. Jedenfalls hatte es sich einfach so, hier in Boston ergeben, als die Angriffe des Opus Dei immer stärker wurden.

Wir alle spürten die Veränderung, die die blutigen und brutalen Angriffe mit sich brachten. Denn wir waren über ein Jahrhundert altes Netzwerk miteinander verbunden und viele Vampire gehörten einem Clan an.

Zunächst war es mir nicht bewusst, aber wir konnten die Gefahr spüren, in der sich einer von uns befand oder wenn er ausgelöscht wurde. Besonders durch unsere Clanverbindung war dies möglich.

Das erste Mal traf mich dieser alles überwältigende Schmerz völlig unvorbereiteten, mitten in der übervollen New Yorker Metro am helllichten Tag. Plötzlich krümmte ich mich vor Schmerzen auf meinem Sitz zusammen und konnte minutenlang nicht mehr richtig atmen.

Die Menschen um mich herum rückten murmelnd zur Seite und warfen mir irritierte Blicke zu.

Überrascht schlug ich mir die Hand vor den Mund, als plötzlich meine scharfen Reißzähne hervorschnellten. Während die seltsame Aura, die mich mit einem Mal umgab für jeden spürbar wurde.

Völlig unvorbereitet und überwältigt stolperte aus dem Zug am nächsten Bahnhof und setzte mich auf die nächstbeste Bank, um meinen Atem zu beruhigen. So etwas hatte ich als Vampir noch nie gespürt. Ein ekliges unangenehmes Ziehen breitete sich entlang meiner Wirbelsäule aus, welches sich bis zu den Nervenspitzen in meinem Kopf fortsetze.

Ein schmuddeliger Penner mit einem alten Einkaufswagen voller Tüten näherte sich mir. „Hey, Bruder, alles okay?", fragte er leicht betrunken und wollte mir mit seiner verschrumpelten Hand auf die Schulter klopfen.

Überrascht schaute ich auf.

Seine verhärmten Gesichtszüge entglitten ihm, als er mein schmerzerfülltes Gesicht sah und meine voll ausgefahrenen weißen Reißzähne, während sich meine Augen zu engen Schlitzen zusammengezogen hatten.

Entsetzt über mein Aussehen zog er eilig die Hand zurück, die er auf meine Schulter mitfühlend legen wollte und hob beschwichtigend beide Hände. „Ist ja schon gut. Ich lass dich in Ruhe." Perplex ging er kopfschüttelnd davon. „Wahrscheinlich sollte ich den Wodka nicht mehr trinken", nahmen meine geschärften Sinne noch murmelnd seinen Kommentar wahr.

Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, was ich gespürt hatte. Ich hatte erst fünfundzwanzig echte Menschenjahre hinter mir und lebte als Vampir erst seit kurzem. Ich war also unglaublich jung, hilflos und völlig unerfahren in Bezug auf das Vampirsein. Insgesamt war ich zu diesem Zeitpunkt nur froh gewesen, die Transformation überlebt zu haben und mein menschliches Leben irgendwie weiterführen zu können.

Nun einige Zeit später, war ich immer noch einer der schwächsten Vampir, aber ich war nun ein gewählter Domus. Also ein Anführer und das über einen Clan, der eine starke Einsatztruppe von über zehn altersstarken Vampiren hatte, die zusammen über eine, tausend Jahre alte Stärke verfügten und welche alle miteinander mental verbunden waren.

Wenn ich darüber nachdachte, konnte ich es immer noch nicht glauben. Aber es ist, wie es ist. Gut, ich war anders als sie. Ich war schon etwas Besonderes. Sowohl als Mensch als auch als Vampir war ich noch sehr jung im Vergleich zu den anderen. Jeder einzelne dieser Vampire hatte das Potenzial zu Führung und war älter als ich, aber anscheinend hatten sie einfach keine Lust mehr dazu. Jeder führte sein eigenes erfülltes Leben und vermied die Herausforderung die Leitung einer Organisation zu übernehmen. Ich dagegen war ein typischer IT-Nerd und hatte keine weiteren Interessen, außer dem Internet und meinem Hochleistungsrechner. Vor dem ich gerne auch mal mehr als zwölf Stunden verbringen konnte. Es hatte definitiv Vorteile ein Vampir zu sein und keine Ermüdung oder Beeinträchtigung der Hirnleistung zu haben. Es musste ja auch Vorteile haben, wenn man sich nur von Blut ernähren musste.

Ichselbst war also ein Nerd. Typisch mit Brille. Gerade mal ein Meter fünfundsiebziggroß, mit Stupsnase und einem leicht weichen Aussehen. Im Gegensatz zu denanderen Vampire, mit ihren gestählten, muskulösen Körpern und kantigenGesichtern, war ich grazil und schmal gebaut - kein typischer Nerd. Diemeistens relativ übergewichtig waren, da sie sich oft unkontrolliert vonFastfood ernährten. Ich hatte jedoch keine Zeit dafür, weil ich normalerweise mitmeinem Kopfhörer entspannende Musik hörte und mich in meine Programmierungen vertiefte,die ich nun, nachdem ich meinen Job aufgeben musste, als Freelancer für andereFirmen erstellte. Dies war der richtige Job für mich als Vampir, da ich mir meineAufträge bequem auf einer Internetplattform abholen konnte und so keineMenschen treffen musste. Ich hatte eine Internetplattform, auf der die Aufträgemit den dazugehörigen Beträgen eingezahlt wurden. Das war für mich ideal, ummeinen aktuellen Lebensunterhalt zu verdienen und gleichzeitig meine Ruhe zuhaben. Zusätzlich hatte ich noch zwischenzeitlich ein internationales Vampirforumim Internet aufgebaut!

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt