13. Wer bist du?

209 31 0
                                    

Warum erzählte er mir das alles, fragte ich mich. Das ging mich nichts an.

Peinlich berührt, fingerte ich an meinem Getränk herum.

Mir war immer noch nicht klar, was er von mir wollte. Flirtete er mit mir? Ok, wir waren in einer Gaybar. Aber er konnte mich nicht meinen. Ich war niemandes Typ! Auf jeden Fall nicht seiner und außerdem wäre es wahrscheinlich sinnvoller, wenn er sich einen Menschen suchen würde. Einen, den er als Wirt benutzten konnte und vermutlich wäre es dann auch eher eine hübsche Frau. Und nicht mich, der eine typische Brillenschlange war. Das wäre wohl viel zu weit hergeholt.

Dieser Vampir war über vierhundert Jahre alt. Er hatte viel in der Welt gesehen. Er sah so gut aus, da war er auf jeden Fall interessant für alle Frauen. Salvatore sah unwahrscheinlich sinnbetörend aus und hatte eine unglaublich tolle Aura und eine extrem selbstbewusste Ausstrahlung. Dieser heiße Typ konnte jeden Menschen auf der Welt mit diesem Aussehen und Auftreten gewinnen. Ich war hier völlig fehl am Platz und sollte besser einfach verschwinden und diesen Mann hinter mir lassen. Zurück zu meinem Computer und meiner sicheren Wohnung. Das war das einzig Vernünftige. Aber er hatte mich neugierig gemacht und ich kannte kaum Vampire und schon gar nicht so alte mächtige, daher fragte ich, obwohl mir klar war, dass es unhöflich war: „Wie kam es dazu?"

„Es war ein Säureangriff der Opus Dei Inquisition."

„Haben Sie wirklich die Inquisition miterlebt?", fragte ich verblüfft.

Er lachte tief, schüttelte den Kopf und streckte seine Hand aus.

Ich überlegte irritiert. Also nicht die Inquisition in Spanien. Was meinte er dann? Was war Opus Dei?

Er griff nach meiner Hand, und umschloss mit meiner Hand zusammen das Glas, welches ich zuvor unsicher hin und her gedreht hatte. Ich zuckte leicht zurück, konnte meine Hand aber aus seiner nicht lösen.

„So nun zu dir. Was machst du hier? Ich würde anhand deiner Reaktion darauf tippen, dass du nicht schwul bist. Also was machst du hier und wie lange bist du bereits ein Vampir? Deine Unsicherheit kann ich auf zehn Kilometer riechen."

Ich überlegte kurz, ob ich ihn anlügen sollte. Entschied mich aber dagegen, weil ich wusste, dass wenn man lügt, verändert sich das Verhalten und die Stimmlage. Und mit seinen vampirisch geschärften Sinnen und da er meine Hand hielt, würde er es wahrscheinlich merken. Also die Wahrheit, aber ein wenig abgespeckt: „Nein, ich bin nicht Gay. Mein Name ist James. Ich bin hier nur durch Zufall gelandet. Eigentlich wollte ich die beiden, die ich in einem Chatraum für Vampire kennengelernt habe, nur treffen, um etwas von ihnen zu lernen. Wie Sie selbst bemerkt haben, bin ich erst seit kurzem selbst ein Vampir. Dabei sind wir nur aus Versehen hier gelandet. Ich bitte um Entschuldigung, denn wir wussten es nicht besser."

Er nickte zustimmend.

Erleichtert atmete ich auf. Ich hoffte, dass er mit mir dummen Schaf Mitleid hatte und ich hier wieder heil herauskam. Aber er ließ meine Hand nicht los. Ich starrte darauf und überlegte, wie ich sie wieder bekommen könnte.

„Wo ist dein Vampirvater? Er hätte dich so nicht vor die Tür lassen dürfen. Du bist eine Gefahr für alle und für dich selbst."

Ich wurde wütend und fragte mich, warum er immer noch meine Hand festhielt. Das ging ihn gar nichts an. „Ha, welcher Vampirvater? Meinen Sie die Schlampe, die dafür gesorgt hat, dass ich jetzt Tod bin? Ich glaube kaum, dass ich sie jemals wiedersehen will. Jedenfalls habe ich sie seitdem nicht mehr wiedergesehen."

„Du lebst alleine?", fragte er verblüfft. „Wie klappt das mit der Versorgung? Wieso konntest du als so junger Vampir vor die Tür gehen? Hattest du keine Schwierigkeiten mit den Menschen?"

Ich schaute tiefer in mein Glas und stierte auf seine Hand, die fest immer noch meine umschloss und nicht losließ. Ich seufzte laut: „Es war nicht einfach. Aber ich konnte mich beherrschen, bis ich die Menschen hier bemerkte und diesen Blutgeruch. Ich bekomme das Blut geliefert. Ein bis drei Beutel am Tag. Aber nur, wenn ich das Haus verlassen muss."

Er schaute mir ungläubig tief in die Augen.

Diese riesigen Pupillen waren wunderschön und glänzend wie schwarze Murmeln, dachte ich und versank in ihrem Anblick.

„Du hast eine gute Selbstbeherrschung. Normalerweise kann ein Vampir nach so kurzer Transformationszeit nicht selbstständig leben. Er hat im Regelfall einen Vampirvater, der ihm alles beibringt."

Aufgebracht schnaufte ich. „Meine Erzeugerin Josephine ist nicht gerade eine Mutterfigur. Dann lieber ohne dieses Weibsbild. Die hat nur einen Hund gesucht, der ihr folgt. Etwas anderes war es nicht in meinen Augen. Sie kannte mich nicht mal wirklich", lachte ich verbittert auf. „Ich lebte sehr gut alleine. Ich wollte keine neue Lebenspartnerin. Ich bin ein Nerd. Ich wollte nur helfen ihren Computer zu reparieren und nun das. Was sollte das? Ich kann nicht mal mehr vor die Tür, ohne halb wahnsinnig zu werden."

Verbittert riss ich meine Hand zurück und ließ seine alleine offen auf dem Tisch liegen.

„Ich war für diesen Scheiß nicht bereit. Geschweige, dass ich es mir auf Dauer leisten könnte", gab ich aufgewühlt zu.

Mein Gegenüber nahm seine Hand vom Tisch und strich sich über das Gesicht. „Ich mag deinen Geruch", bekundete er unvermittelt.

Verblüfft schwieg ich.

„Bitte erklär mir das mit dem Chatraum. Ich weiß zwar, dass es so etwas für verschiedene Themen gibt, aber durch meine Blindheit kann ich mit einem Computer nicht arbeiten."

„Ich bin ein Computer-Nerd. Es war kein Problem für mich, einen Chat einzurichten. Die einzige Schwierigkeit war, die Verrückten herauszufiltern. Die meisten waren ja Menschen. Keine echten Vampire. Aber mir kam die Idee nach dem Blut zu fragen. Die richtige Antwort konnten nur echte Vampire geben. Kein Mensch kann Blut so schmecken und riechen wie wir."

Er nickte und lächelte: „Also werden nur Vampire zugelassen, die die Fragen richtig beantworten. Interessant. Was passiert dann in dem Chatraum?"

„Chatrooms oder Foren sind dafür da, sich zu seinen Themen auszutauschen. Es gibt verschiedene Rubriken, wie zum Beispiel Geschmack, Umzugsangebote, Wohnungsangebote, Treffpunkte, Lieferanten, alle tauschen ihre Erfahrungen und neuesten Informationen aus.

Daher kommt mein Wissen über Vampire. Wie hätte ich es sonst lernen sollen? Ich konnte meine Wohnung ja nicht einfach verlassen und ich kannte keine Vampire. Woher auch. Außer dieser verrückten Josephine ist mir so etwas Verrücktes noch nicht begegnet. Ich lese alles immer mit und prüfe die Zuordnung und ob ich jemanden sperren muss. Wir haben sogar eine Rubrik, wie sterbe ich als Vampir oder wann will ich sterben. Das ist manchmal traurig. Die Clangruppen werden auch erläutert, aber da halten sich die Gruppen meist zurück. Warum weiß ich auch nicht genau. Bei dem Thema komme ich immer noch ins Schwimmen."

Der Kellner brachte mir noch einen Bloody Mary und nickte mir aufmunternd zu. Ich nahm einen Schluck und stellte fest, dass ich weniger trinken sollte. Es war viel Alkohol darin und ich wusste nicht, ob es einen Vampir beeinflusste. Ich musste ja wieder nach Hause mit der U-Bahn fahren. Ein Taxi wäre schon recht teuer in der Nacht mit den Zuschlägen.

Aber ich konnte jetzt schlecht aufstehen und einfach gehen. Es wäre unhöflich gewesen und ich wusste nicht, wie dieser gefährliche Mann oder die anderen hier reagieren würden.

Ich schaute mich nochmal im Raum um.

Einige starrten uns an, was auch nicht verwunderlich war. Schließlich saß dieser große wunderschöne Vampir mit mir kleiner unscheinbarer Leuchte an einem Tisch und hielt mit mir Händchen. Wir beide mussten ein wirklich surreales Bild abgeben. Ein Blinder und ein Nerd. Ein hellblonder und ein dunkler Typ. Ich war klein und er war riesig. Ich jung und er alt. Welch eine irre Mischung. Auf jeden Fall kam ich hier nicht so einfach weg und ich musste zu meiner eigenen Sicherheit nachher, wenn ich ausgetrunken hatte, unbedingt ein Taxi nehmen. Egal, was es kosten würde.

Lächelnd wand ich mich erneut dem Vampir zu und führte mein Glas zu meinem Mund: „Ich hätte da noch ein paar Fragen..." 

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt