35. Eifersucht oder Verlustangst

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Einige Tage später stand Gio vor mir, in meinem neuen schicken Büro auf der Büroetage und grinste mich unverschämt an, während ich versuchte meinen neuen PC in dieses vermaledeite System einzuloggen. Ich fragte mich, wer hier die Installation vorgenommen hatte. Professionell war es jedenfalls nicht programmiert worden. Genervt schaute ich zu Gio auf.

„Wusstest du, dass Vincenzo es überhaupt nicht behagt hatte, dass du so lange das Haus verlassen hattest?"

Ich schaute ihn verwundert an und runzelte irritiert die Stirn. Was meinte er? Es musste mich nicht interessieren, was Sal so unruhig machte. Außerdem wusste ich das bereits. Er hatte mich mehr oder weniger überfallen, als ich zurück in die Wohnung kam. Danach dachte ich, ich wäre völlig zerdrückt und würde mich nie wieder entfalten. So sehr hatte er sich an mich gepresst und seinen Kopf auf meine Schulter dabei gelegt. Das hatte mir nicht wirklich behagt. Gut, dass Vampire nicht wirklich Luft zum Atmen brauchten. Sein Gefühlsausbruch war mir sehr unangenehm gewesen.

Ich wusste nur nicht, ob das Eifersucht oder Verlustängste gewesen war. Normal war seine Reaktion jedenfalls nicht. Ich liebte ihn, aber so sollte das nicht sein. Es musste doch möglich sein, dass ich einfach das Haus verließ, ohne dass er solch einen Wind jedes Mal danach machte. Ich war nicht sein Haustier und er konnte mich nicht einfach einsperren, nur weil wir ein wenig Petting miteinander hatten.

Ich war eine freie Person in einer freien Welt. Jedenfalls dachte ich das bisher, außerdem hatte er meinen Tracker. Er wusste die ganze Zeit wo ich gewesen war und Gio war jederzeit erreichbar gewesen. Also wo war das Problem?

Der Vampir ließ sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen und schaute scheinbar interessiert auf seine kurzen Fingernägel.

„Also, was ist los?", fragte ich so belanglos wie möglich, während ich wieder verärgert auf meinen Computer schaute.

„Ich dachte, du fragst nie."

Verärgert verzog ich das Gesicht.

„Unsere Leute haben mir berichtet, dass er an dem Tag die gesamte Büroetage in den Wahnsinn getrieben und seine schlechte Laune an allen ausgelassen hatte. So waren alle wieder froh gewesen, als ich dich wieder unbeschadet hergebracht hatte. Solch einen Aufriss hatte er bisher noch nie veranstaltet. Jedenfalls sind alle wieder erleichtert, dass du da bist."

Missmutig verzog ich das Gesicht und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Und was geht's mich an?!"

Gio lachte übermütig vor sich hin. „Wenn er deine Einstellung dazu kennen würde, wäre aber was los in der Penthouse-Suite. Das sage ich dir. Zeige ihm ja nicht solch eine Reaktion. Du kennst noch nicht seine dunkle Seite. Er kann auch anders. Nicht umsonst ist er so weit gekommen und so alt geworden."

Wütend schaute ich auf. „Was willst du? Soll das eine Drohung sein? Mir ist völlig egal, wie er reagiert ... Also bist du nur gekommen, um mir das zu erzählen?"

Vincenzo mochte Clanchef sein. Aber ich gehörte diesem Clan nicht an. Er hatte mir gar nichts zu sagen. Ich war nicht sein Heimchen und ich konnte als freier Mensch und Vampir machen, was ich wollte. Er konnte mich nicht festbinden. Ein wenig war ich schon verärgert. Wir hatten keine feste Beziehung zueinander und ich war noch nicht bereit mich so zu binden, wie er es wahrscheinlich gerne gewollt hätte. Mir machte das alles einfach Angst und diese ganze Mafia-Clansache war nicht mein Ding. Ich half hier nur aus, weil ich dafür kostenfrei wohnen konnte und meine Verpflegung bekam. Und Vincenzo war ... Er war ... ein Freund mit Extraleistungen. Nicht mehr und nicht weniger!

Gio lachte weiterhin, als er mein erbostes Gesicht sah und übergab mir eine dicke graue Akte. „Lass uns das Thema wechseln. Das geht mich alles nichts an, auch wenn mich euer Zweikampf schon amüsiert. Aber das müsst ihr unter euch ausmachen. Auch wenn mir Salvatore ein wenig leidtut. Irgendwann musst du dich entscheiden, wenn du ihn nicht in den Wahnsinn treiben willst. Oder hattet ihr schon miteinander...?"

Ich lief rot an, während er forschend neugierig in mein Gesicht schaute.

„Frage doch Vincenzo, wenn du es unbedingt wissen willst. Wenn dein bester Freund es dir nicht erzählt, warum sollte ich es machen?"

Er nickte wissend und dachte sich wahrscheinlich seinen Teil. „Themenwechsel. Schau, das hier ist die Liste mit allen Mitgliedern unseres Clans. Alle drei Monate veranstalten wir ein Clantreffen der Sektion Nord, zu dem du alle einladen sollst. Der erste Tag ist immer als Austausch mit anderen Clans gedacht und am zweiten Tag gibt es ein internes Treffen aller Mitglieder in der Versammlungshalle des Clans. An beiden Abenden feiern wir im ganzen Haus und der Club dient als Austauschort aller Neuigkeiten und die Büroetage als wirtschaftlicher Arbeitsbereich, wo sich die einzelnen Gruppen einbuchen können, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Ich wäre dir echt dankbar, wenn du mich bei der ganzen Organisation hierzu unterstützen würdest. Es ist jedes Mal wirklich aufwändig, alle und alles unter einen Hut zu bekommen."

Ich wusste, dass das nächste Treffen anstand. Und natürlich sagte ich zu, auch in der Hoffnung, mich abzulenken. Das Vampir-Forum lief super und brauchte nur noch gegen Abend ein wenig Support, also hatte ich zu viel Zeit, die ich mit Grübeleien verbrachte, die mich einfach nicht voranbrachten, da mich der Besuch der Bibliothek nicht wirklich weitergebracht hatte. Eigentlich war ich nur noch mehr verwirrt, da ich mit meinen „Fähigkeiten" nicht wirklich etwas anfangen konnte.

Es wurden arbeitsreiche Tage der Vorbereitung und es machte Spaß.

Das erste Treffen hatte ich verpasst, seit ich in der Penthouse-Suite wohnte, nun aber konnte ich helfen und ich war dankbar für die sinnvolle Aufgabe, die ich gut erledigen konnte, ohne in den Vordergrund treten zu müssen.

Alles musste irgendwie zueinander passen. Es mussten genügend Blutkonserven im Haus sein. Der Club vergab an diesen beiden Tagen nur Einladungen an ausgewählte Menschen und Vampirgäste und die Versammlungshalle in der Büroetage musste vorbereitet werden. Viele alte Vampire hatten ihre eigenen Angewohnheiten und Wünsche. Für Gäste von Auswärts mussten Unterkünfte organisiert werden und der Transport musste für alle sichergestellt sein. Ein entsprechendes Sicherheitskonzept für die Veranstaltung wurde durch Gio erarbeitet. Wenn sich so viele Vampire trafen, bestand immer die Gefahr, dass Vampirjäger dies mitbekamen.

Das war alles entsprechend aufregend für mich. Es machte Spaß alles zu organisieren und ich war voll dabei.

„Gio hat die Idee als Sahnetüpfelchen die Abendveranstaltung aufzupeppen."

Überrascht schaute ich Salvatore an.

„Ich verstand erst nicht, was er meinte, aber er will eine kleine Show im Club veranstalten", berichtete er mir an einem Abend zwei Wochen zuvor. „Ich habe Gio schon zugesagt. Aber Gio brauchte noch eine Unterstützung."

So richtig interessierte es mich nicht, da ich mich im Hintergrund halten wollte und nicht an der Veranstaltung teilnehmen würde. So lächelte ich ihn müde nickend an. Die ganze Organisation machte schon Spaß, aber es war anstrengend und so saß ich mal wieder mit einem Stift über meiner Kladde an Salvatores Schreibtisch in der Wohnung und grübelte über noch nötige Erledigungen nach.

„Gio organisiert alles dafür, du musst dich um nichts weiter kümmern."

Erleichtert nickte ich erneut. Noch mehr Aufwand wäre mir nicht recht gewesen, geschweige, dass ich im Moment noch klar denken konnte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich als Vampir doch mal so erschöpft sein könnte. Wahrscheinlich sollte ich mehr Blut zu mir nehmen, dachte ich abgelenkt.

„Gio fragt, ob du mich bei der Show unterstützen würdest. Er sagt, es sei nicht schwierig. Ich sage dir einfach vorher, was du zu tun hast. Mehr brauchst du nicht zu machen."

Ich blickte überrascht, verwirrt auf. „Wie unterstützen?"

„Ich bin mir noch nicht sicher, was Gio sich da ausgedacht hat. Er will uns noch einweisen, denke ich."

Müde nickte ich zustimmend, ohne mir groß Gedanken zu machen. „Gut, wenn es nicht schwierig ist, helfe ich dir gerne. Kein Problem.", und wandte mich wieder meiner langen Liste an Aufgaben für die Veranstaltung zu, die noch zu erledigen waren.

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt