15. Was tat ich hier?

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Obwohl ich es eigentlich nicht wollte, stand ich erneut vor dem Eingang des Clubs. Meinen Entschluss hatte ich wochenlang eingehalten. Aber nun hatte ich mein selbst auferlegtes Versprechen gebrochen. Ich wusste, es war ein Fehler und mir war nicht so klar, was das werden sollte, hier vor dieser Tür. Ich wusste nur, dass ich dieses Gefühl ergründen musste. Denn ich bekam diesen Mann nicht mehr aus meinem Kopf. Diese Augen, dieser Kuss, sein Geruch, alles von ihm zog mich an.

War es nur, weil er ein Vampir war? Ich hatte keinen Vampirvater. War er eine Vaterfigur für mich? Ich hatte über das Forum gelernt, dass Vampire eine Technik entwickelten, mit der sie Menschen anziehen konnten. Aber wieso zog mich dieser Vampir so an? Ich war auch wie er und kein Mensch. Mein Blut brauchte er nicht. Ich konnte ihm nichts geben. Ich hatte nichts, was für ihn interessant war und ich war viel zu jung in dieser Vampirwelt. Wie konnte das alles sein? War es Zufall? All diese Zweifel quälten mich schon seit Wochen. Tagelang tigerte ich in meiner Wohnung hin und her und bekam das Erlebte nicht mehr aus meinem Kopf. Mehrfach saß ich an meinen Computer und konnte mich nicht konzentrieren. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab zu dem Erlebten an jenem Abend.

Nicht mal nach draußen war ich seit dem Besuch in der Bar gegangen, nur wenn das wirklich notwendig war. Josephine rief auch kaum noch an. Ihre zickige Stimme konnte ich sowieso nicht ertragen. Diese hohe kreischende Stimmlage nervte meine empfindlichen Ohren ungemein. Immer verlangte sie irgendetwas von mir. Insbesondere wollte sie immer noch wissen, wo ich wohnte. Ich hatte ihr nie meine Adresse gegeben. Gott sei Dank hat sie auch nie herausgefunden. Einen zickigen herrschigen Vampir konnte ich in meiner kleinen Wohnung nicht gebrauchen und schon gar nicht in meinem gerade so verkorkstem Leben. Es war mein Refugium und mein Rückzugsort vor der Außenwelt, mit der ich zuvor schon Probleme hatte und ich nun überhaupt nicht mehr umgehen konnte.

Daher war ich auch nicht viel draußen gewesen in den letzten paar Monaten. Das war viel zu aufregend gewesen. Alles, was ich brauchte, war Zeit, um mich an diese ungewöhnliche Situation zu gewöhnen, dachte ich und die hatte ich inzwischen bis zur Unendlichkeit.

Langsam wurde es auch besser und ich begann Stimmen und Gerüche um mich herum ausblenden zu können. Die Menschen in meiner Mietskaserne waren für mich nicht mehr nur Nahrung und ich hörte langsam auf zu zittern, wenn ich mich auf ihr so ungemein anziehenden Blutgeruch und ihren überlauten rauschenden Herzschlag konzentrierte. Ich konnte sie ausblenden, wenn ich mich auf meinen Computer konzentrierte und die Kopfhörer aufsetzte und in meiner imaginären Welt verschwand.

Wenn ich menschliche Kontakte wollte, lag ich in meinem Bett und hörte mir ihr Leben an, mit dem ich nun nichts mehr zu tun hatte. Es war gut zu hören, dass es noch andere Lebewesen um mich herum gab, auch wenn ich selbst diesen Kontakt vermied. Das war der Vorteil der Anonymität in einer Großstadt. Ich konnte wochenlangen die Wohnung nicht verlassen, ohne dass es jemand interessiert hätte. Wenn ich heute hier sterben würde, würde wahrscheinlich nur ein kurzer Artikel in der Zeitung auftauchen, nach der Devise, unbekannte Person lag ein Jahr in Wohnung oder so etwas. Für mich war diese Anonymität ideal, so konnte ich mich an die Situation gewöhnen.

Kontakt zu anderen Lebewesen hatte ich über das Forum und das World Wide Web, wenn ich wollte. Also auch weltweit. Vampire gab es überall, wie ich feststellte und meine Mitgliederzahl im Forum wurde immer umfangreicher. Ich hatte durchgehend Arbeit damit. Meine Erweiterung brachten mir nun auch endlich Geld ein. Ich musste ja schließlich von irgendetwas leben, in Zukunft. Das Blut war schon sehr teuer.

Trotz der langen vergangenen Wochen ging mir dieser Mann einfach nicht aus dem Kopf. Wer war er? Was war er für ein Typ? Und diese Augen! Sie waren nicht wirklich unheimlich, aber sie waren anders als die Augen von Menschen. Als, wenn sie durch die Menschheit hindurchsehen könnten. Ich konnte ihn einfach nicht vergessen. Diese Dunkelheit in seinen wunderschönen Augen wollte ich ergründen.

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt