44. Fünfzehn Etagen

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Entsetzt hob ich blitzartig den Kopf.

Die Feuer-Alarmsirene erschallte hoch fiepende beißend für meine Ohren, wie eine überlaute Grille. Der Ton war fast nicht zu ertragen.

Kopfschüttelnd hielt ich mir die Ohren zu. Warum mussten Vampirohren auch so empfindlich sein, dachte ich. Es musste irgendwo hier im Haus brennen. In einem fünfzehnstöckigen Hochhaus war das nicht lustig und ich war in der Penthouse-Suite ganz alleine. Für New Yorker Verhältnisse, war dies noch kein wirkliches Hochhaus. Aber die Feuerleitern der Feuerwehr reichten regelmäßig nur bis zur achten Etage. Alles darüber musste sich selbst zu helfen wissen und dieses Gebäude hatte keine Außentreppen, sondern nur Innenrettungswege. Also wurde es Zeit zu schauen, was passiert war oder ob das ganze nur ein Fehlalarm war. Dieses hohe Fiepen ging mir wirklich auf die Nerven, aber es half alles nichts.

Eigentlich wollte ich die Datenleitungen des Clubs checken, aber so? Nervös zog ich meinen geliebten Samsung Laptop aus seiner Dockingstation und stopfte ihn in meinen Rucksack und rannte zur Feuerschutztreppe.

Aufgeregt schaute ich auf die Uhr. Es war bereits zweiundzwanzig Uhr. Der Club hatte seit einer Stunde offen und es waren bestimmt schon viele Gäste anwesend. Der Club war beliebt in der Stadt. Bot er doch etwas Exotisches. Salvatore war dort. Hoffentlich brannte nicht die Küche des Clubixx. Durch das Bratenfett kann schnell ein Brand entstehen, aber eigentlich gab es dafür eine Sprinkleranlage. Es sollte also kein Problem geben, den Brand eines Herdes zu löschen, dachte ich.

Ich rannte eine Etage tiefer.

Die Büroetage war noch nicht geräumt worden. Überrascht schaute ich nach oben an die Decke. Es drang bereits beißender Rauchgeruch aus der Klimaanlage im Flur. Der Geruch von Feuer war über einhundert Kilometer weit zu riechen und das feinste, was Menschen in ihrem Riechorgan aufnehmen konnten. Kein Wunder, das war in der Steinzeit zum Überleben wichtig gewesen. Die Flucht und Angst vor Feuer sicherten das Davonkommen und die Nasen der Vampire waren noch hundertmal empfindlicher.

Vampire fürchten Feuer. Der Tod war eine Option, aber halb verbrannt, lebendig in den Trümmern zu liegen, die andere. Welch grauenvoller Gedanke in einem eingestürzten Gebäude lebendig begraben zu werden, dachte ich unruhig.

Eilig lief ich zu den immer noch hellerleuchteten Büros. Einige waren noch besetzt. Durch die Cluböffnungszeiten waren auch die Bürostunden oft gegen Abend.

Angespannt schaute ich mich um. Einige Mitarbeiter räumten noch wichtige Akten in die feuerfesten Tresore. Die Menschen konnten den Geruch wahrscheinlich noch nicht wahrnehmen, der sich so gespenstig fein durch die gesamte Klimaanlage verteilte. Aber es wurde Zeit, dass die Menschen diese Gebäude verließen. Wir mussten noch dreizehn Stockwerke nach untern und wussten nicht, wie viel andere Personen die Treppen verstopfen würden auf dem Weg zum Notausgang.

Mein Puls beschleunigte sich. Wir hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Wer weiß, wie stark der Brand schon war. Es musste sein! Ich versuchte diesen überlauten, nervigen Alarmton zu überbrüllen: „Los jetzt! Lasst alles stehen und liegen. Die Akten sind nicht so wichtig! Der Geruch ist schon in der Klimaanlage. Drei Atemzüge vom schwarzen Rauch sind tödlich."

Verängstigt schauten sie auf und erkannten mich auf Anhieb. Hier stand jemand aus der Führung vor ihnen. Sie wussten, wer ich war. Ihnen war klar, dass meine Nase wesentlich feiner als ihre war. Daher widersprachen sie nicht. Endlich jemand, der sie aus dem Haus schickte.

Ich öffnete rasch die schwere Brandschutztür zum Treppenhaus und hielt sie für alle auf. Neun Personen konnte ich zählen. Als alle an mir vorbei waren, rannte ich geschwind nochmal durch die Büroräume und prüfte, ob alle leer waren. Auch die Toiletten unterzog ich einer Kontrolle. Erleichterte atmete ich auf. Es hatten alle die Etage verlassen. Ich folgte ihnen getrieben von diesem unangenehmen Geruch und fand mich auf einer schmalen nackten Betontreppe wieder, auf der kaum mehr als zwei Personen nebeneinander Platz hatten und welche von einem Notfalllicht gräulich beleuchtet wurde. Als Vampir war für mich es kein Problem den Menschen schnell zu folgen und sie innerhalb von drei Treppenabsätzen einzuholen. So rannten wir nun gehetzt gemeinsam die graue Treppe hinunter.

Aus verschiedenen Etagen des Gebäudes kamen Menschen dazu. Es waren nicht viele, das Gebäude war ein Bürogebäude und um diese Uhrzeit so gut wie leer. Es war ja kein Appartementhaus. Außer der Penthouse-Wohnung war keine weitere Wohnung im Gebäude. Aber um die Zeit waren noch Putzkräfte anwesend und einige unermüdliche Mitarbeiter. Fünfzehn Etagen waren für mich als Vampir kein Problem. Aber die Menschen brauchten Zeit dafür. Auf jeder Etage prüfte ich die Türen. Hinter keiner war es heiß oder roch extrem verbrannt. Ich schnüffelte noch einmal. Überall in der Luft hing nur dieser leichte beißende Brandgeruch. Es konnte also nur aus dem Club kommen, dachte ich. Welch ein grauenvoller Gedanke. Dort ein großer Brand konnte die Öffentlichkeit auf uns alle lenken. Das war nicht gut.

Auf einmal hörte ich unangenehm ratternde Schüsse. Wir waren fast draußen. Die Menschen vor mir am Notausgang zur Straße schrien panisch auf. Die Tür stand offen. Die Menschen drückten zurück. Mit einem Mal stauten sie sich vor mir auf der Treppe. Es ging nicht mehr weiter. Die Ersten brüllten aufgeregt und riefen den anderen zu, nicht mehr zu drücken. Einzelne kreischende Schreie erklangen wütend. Eine Frau schrie und verstummte mit einem Mal röchelnd. Einige schimpften laut hinter mir und fragten, warum es nicht weiterging. Das Licht vor mir war bereits diffus und vernebelt von den ersten Rauchschwaden. Der Brandgeruch war hier gut zu riechen und machte die Menschen zusätzlich unruhig. Vor mir hustete ein Mann bereits und atmete schwer. Das wurde gefährlich für uns auf der Treppe, wenn jemand die Tür zum Club öffnen würde, falls dort der Brandherd sein sollte oder der Durchzug die Flammen irgendwie anheizen würde. Wir wussten ja nicht, woher der Rauch kam. Aber das Licht, welches von außen hereindrang, war schummrig und grau.

Was war da vor mir los? Warum schrien die Menschen dort herum? Warum ging es nicht weiter? Schüsse? Ich musste etwas unternehmen. Ich war der einzige Vampir in der großen Gruppe an Menschen in dem engen Gang. Vor mir standen die Einzelnen eng auf eng und hinter mir drückten noch mindestens zehn Personen nach. Wir konnten hier nicht bleiben. Das würde den Tod der Menschen bei dem Rauch bedeuten!

Ich schwang mich über die Brüstung und kletterte das letzte Stück zum Notfallausgang am Geländer entlang. Die Menschen erkannten mich und machten mir Platz. Unten angekommen, sprang ich das letzte Stück herunter.

Hier bot sich mir ein Bild des Chaos. Zwei Männer zogen gerade eine ohnmächtige Frau wieder von der Tür weg, in den dunstigen Vorraum hinein, wo sich die Menschen drängten. Sie blutete stark an der Schulter. Einem weiteren Schwerverletzten, welcher in einer Ecke hockte, wurde ein Schal auf die Wunde auf der Brust gepresst. Weitere Schüsse peitschten laut und trafen mit einem lauten Klong, Klong die Feuerstahltür, welche halb offenstand und nach draußen auf die Straße führte.

Meine Augen weiteten sich aufgewühlt. 

Nicht jetzt! 

Dieser Blutgeruch! 

Wohlriechend, anziehend, lieblich süß, wie ein Stück Praline, welche auf der Zunge zerschmolz.

 Plötzlich sammelte sich Speichel in meinem Mund und meine Fangzähne fuhren plötzlich jäh aus. 

Schnell riss ich aufgewühlt die Hand vor mein Gesicht.

Nicht jetzt, nicht hier! Ich brachte alle Menschen in Gefahr. Oh, Gott!

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt