4. Die Entwicklung

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Am nächsten Morgen schaute ich beim Zähneputzen am Küchentresen vorbei und schaute auf die beiden Augen, die mich immer noch irgendwie warm anblickten.

Ich lächelte trotz Zahnbürste im Mund zurück und stellte enttäuscht fest, dass sich nichts verändert hatte. Dabei stellte ich fest, dass die Flüssigkeit, in der die Augen schwammen, jetzt wieder klar war, wo sie doch zuvor Blutdurchtränkt gewesen war.

Was hatte ich auch erwartet, fragte ich mich. Es war ja nicht wirklich eine Nährflüssigkeit, wie in der Wissenschaft immer suggeriert. Da ging immer alles ganz einfach.

Neugierig schnupperte ich an dem Behälter und konnte außer einem chemischen Mittel, welches ich nicht analysieren konnte, nichts weiter riechen.

Ein wenig unzufrieden mit der Situation legte ich die Bürste beiseite und spukte ins Handwaschbecken meiner Küche.

Ich überlegte, wohin das Blut wohl gegangen war? Saugten die Augen die Flüssigkeit auf oder neutralisierte die Chemie das Blut. Löste sich alles weiter auf?

Ungläubig schüttelte ich den Kopf und sprach zu den Augen: „Wir probieren es noch mal. Ich werde einen Blutbeutel für dich opfern. Mit dem Auftrag von gestern kann ich mir das locker leisten. Ich bin mal gespannt, was in deiner Flüssigkeit so alles passiert, wenn es nicht nur ein paar Tropfen sind ... Wie ich gestern schon sagte, wäre es schön, wenn du ein wenig Hirn entwickeln würdest. Dann könnte ich dich – ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich dich duze – an den PC anschließen. Wie bei der Serie Captain Future, da gab es auch ein lebendes Gehirn, welches ohne seinen Körper in einem Spezialbehälter gelebt hatte und dessen Gehör und Sprache durch Sensoren und einem Sprachprozessor ermöglicht wurde. Du hast ja wenigstens Augen. Das hatte die Figur im Zeichentrickfilm nicht. – Wir werden sehen, ob das klappt."

Ich ging an den Kühlschrank und nahm einen meiner ungeliebten A Positiv Beutel heraus. Wir konnten nicht immer wählen und musste manchmal nehmen, was man kriegen konnte. Ich konnte ja keinem erklären, dass mir A+ nicht schmeckt. Es war ja nicht dafür gedacht, so konsumiert zu werden, wie wir das taten. Aber auch immer nur Blutgruppe Null zu trinken war auch langweilig. Also Blutgruppe A+. Ich suchte einen Strohhalm aus der Spülmaschine und bohrte das Loch in den stabilen Aufbewahrungsbeutel des Blutes.

„So. Nun wollen wir doch mal sehen, ob das funktioniert." Grinste ich die Augen an und gab nach und nach sanft die blutrote Flüssigkeit in den Behälter.

„Oh, ich habe vergessen, es ein wenig zu erwärmen. Aber ich denke, das ist im Moment nicht das Problem", stellte ich fest und schaute dabei auf die Augen und bekam das Gefühl, dass sie mich anlächelten.

Skeptisch schüttelte ich den Kopf. Quatsch, dachte ich. Augen können nicht lächeln. Außerdem sind nackte Augen, wie diese hier, nur mit Augäpfeln, einfach wie zwei Eier. Hässlich und nichtssagend.

Unzufrieden stellte ich fest, dass sich das Blut nicht mit der anderen Flüssigkeit durchmischte.

Ich überlegte. Gestern hatte ich es untergerührt. Das sollte ich nochmal machen.

Also verschwand ich unter dem Küchentresen und holte den Löffel aus der Spülmaschine.

„So...", sagte ich. „Wir machen das gleiche Prozedere von gestern Abend nochmal. Schaden wird es ja wohl nicht, denke ich", sagte ich und rührte langsam das Blut in die Flüssigkeit ein, ohne die Augen zu berühren, die mir irgendwie empfindlich erschienen. „Ich hoffe, du magst A+. Mein Ding ist es ja nicht."

Jetzt zufriedener schaute ich nochmal auf diese lebendigen Augen und wandte mich in Gedanken versunken meinem Computer zu, der schon wieder nach Aufmerksamkeit wie ein kleines Kind verlangte und wüst vor sich hin piepte.

Ich hatte schon immer dieses Gefühl, dass mein PC extra Betreuung benötigte. Nun hatte ich also die Augen zu betreuen, mein PC und meinen Clan, von Salvatore ganz zu schweigen, der auch immer Aufmerksamkeit einforderte.

Langsam wurde ich zum Kindermädchen, dachte ich. Lag es an mir, oder war ich einfach dazu veranlagt? Wie eine Henne, die sich um ihre Küken kümmerte. Ich seufzte wieder. Wahrscheinlich müsste ich mal das Internet durchstöbern, um herauszufinden, ob irgendjemand mal etwas über Wunder wie nachgewachsene Gliedmaßen oder Regeneration von ganzen Körpern in der Wissenschaft niedergeschrieben hatte.... Wahrscheinlich gab es über so etwas auch ein Chat-Forum, wie Mangas oder Travel, in dem man sich austauschen konnte. Schließlich bin ich auch Mitglied im Forum für Mysterien und Mythen. Etwas Besseres gab es nicht, um als Vampirneuling etwas über das Vampirwesen herauszufinden. Woher sollte ich sonst alle Informationen her erhalten, die für ein Vampirleben so wichtig waren. Alle andern Vampire, die ich bisher kennengelernt hatte, waren wenig redselig und meist mehr als einhundert Jahre alt. Im Regelfall hatten sie auch einen sogenannten Vampirvater gehabt, das hieß, man wurde gebissen und der gebissene Vampir kümmert sich um einen, bis man einigermaßen sicher im Leben stand. So war es auch in der Vampirgemeinschaft gedacht. Mache keinen zu einem Vampir, wenn du nicht wirklich der Meinung bist, ein wenig länger mit ihm auszuhalten. Den dieses Leben, wenn man es so nennen konnte, währt lang.

Manchmal sehr lang.

Mit hängenden Armen saß ich vor meinem Rechner. - Außer bei mir, dachte ich seufzend.

Da ist so einiges völlig schiefgegangen.

Erstens wollte ich kein Vampir werden. Das war ein Versehen von der anderen Seite und zweitens wollte ich grundsätzlich alleine bleiben. Ich war kein Typ fürs Zusammenleben. Schon immer war ich ein Einzelgänger und andere Menschen machten mir Angst. Ich konnte mit ihren Gefühlen und Wünschen nicht umgehen. Ich hatte nie verstanden, was sie anzog. Ich wollte lesen, am PC spielen, programmieren oder die Welt durch das Internet sehen. Aber mit anderen Menschen eine Wohnung teilen? Ins Restaurants gehen? Oder Sex haben? Das war nie mein Ding gewesen. Die Idee fand ich einfach unangenehm. Ich hatte es sogar versucht. Nein. Nicht die Sache mit dem Sex. Aber wenigstens hatte ich ein paar Mädchen getroffen und ein paar heiße Küsse getauscht. Aber irgendwie fand ich es nicht spannend. Für mich war es kein Forschungsfeld, wie für viele andere Jungen, denen ich in der Klasse bei ihren flüsternden Unterhaltungen und kichernden Austausch über ihre sexuellen Erfahrungen gelauscht hatte. Es wäre an sich für mich kein Problem gewesen, ein Mädchen ins Bett zu bekommen, denn sie fanden mich süß wie einen Plüschhasen oder Kuscheltier. Ich war ja nicht groß, markant oder kräftig gebaut. Aber angeblich hatte ich ein nettes, freundliches Wesen und war wohl niedlich, wie Mädchen es ausdrückten. Zweimal versuchten sogar Jungen bei mir zu landen. Das war interessant, aber ich hatte sofort klargestellt, dass ich daran überhaupt kein Interesse hatte. Meine Eltern hatten mich traditionell erzogen. Also grundsätzlich ging ich vom normalen Modell der Familie aus. Mindestens Vater und Mutter und ein bis zwei Kinder. Sonst wäre ja auch irgendwann die Evolution ausgehebelt. Das erschien mir irgendwie auf wissenschaftlicher Ebene nicht sinnvoll. Also würgte ich die Jungs sofort ab. Obwohl es wahrscheinlich mal interessant gewesen wäre, einen Jungen zu küssen. Um zu sehen, ob es an sich egal wäre, ob man einen Mann oder Frau küsst, wie in wissenschaftlichen Berichten geschrieben stand. Also, ob das Küssen an sich, einfach bestimmte Sexual-Hormone freisetzt, welches bei Männern oder Frauen das Gleiche im Körper auslöst, - egal also, wen man küssen würde.

Kommen wir zum Ausgangspunkt zurück.

Ich lebte alleine und ich hatte keinen Vampirvater.

Mein Problem war, dass ich eine Vampirmutter hatte – besser ausgedrückt eine Erzeugerin.

Gott verdammt noch mal, diese Schlampe! 

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt