50. Heimlichkeiten

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Salvatore verheimlichte mir etwas. Ich wusste nicht was es war, aber ich konnte es spüren. Alle hielten sich mit ihren Kommentaren zurück.

So ging ich unzufrieden auf die umlaufende hölzerne Terrasse des Herrenhauses und setzte mich zwischen den beeindruckenden Dorischen Säulen in einen der schicken weißen Schaukelstühle, die für die lauen Sommerabende bereitstanden.

Angenehm sog ich die frische Natur in mich auf. Große herrschaftliche Eichen säumten einen schönen grünen gepflegten Park. Er erinnerte mich an den riesigen Centralpark in New York, doch war dieser hier viel verspielter, da hier Epiphyten von den riesigen Bäumen hingen und so einen geisterhaften Touch hinterließen.

Mir war gar nicht bewusst, dass soweit nördlich, diese zarten Pflanzen wachsen konnten, aber es sah wunderschön aus. In weiter Entfernung sah ich ein großes stählernes geschwungenes Tor, das auf jeder Seite in einer Mauer endete, welches den ganzen Park umgab und Schutz vor der Außenwelt gab.

Schutz, den Vampire bitter nötig hatten.

Mir war immer noch nicht klar, wo ich eigentlich war. Aber dieses Anwesen war irgendwann im achtzehnten Jahrhundert entstanden. Es war gut gepflegt und sah aus, als wenn es regelmäßig genutzt werden würde.

Ich schloss die Augen und wippte mit dem Fuß den Schaukelstuhl an. Klar und deutlich konnte ich ihre aufgeregten Stimmen hören. Wild, aufgebracht und wütend redeten sie alle ziemlich durcheinander.

Das, was sie da taten, hatte nichts mit mir zu tun. Ich konnte ihnen nicht weiterhelfen, dachte ich und schaukelte entspannt weiter. Ich lass die Jungs lieber alleine ihren Schlachtplan ausarbeiten. Es war besser, dass ich wieder den Raum verlassen hatte, als ich bemerkte, dass sie nicht mit mir umgehen konnten. Sie konnten mich nicht einschätzen. Irgendwie gehörte ich doch nicht dazu. Sie waren höflich, keine Frage. Ich hatte sofort Blut angeboten bekommen, was ich auch gerne annahm. Es hatten sich schließlich Menschen im Raum befunden und ich war mir immer noch nicht ganz sicher mit dem ganzen Thema. Da war auffüllen der eigenen Reserven natürlich ein wichtiges Thema für mich. Dann konnte ich mich auch einfach besser konzentrieren, um dem Gespräch zu folgen. Aber es blieb auffallend stumm.

So war es doch besser für mich ein wenig Kopfschmerzen vorzutäuschen und den Raum zu verlassen.

Also lehnte ich mich zurück, um mich ein wenig von der ganzen Aufregung zu erholen. Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit eine zu Rauchen dachte ich und schmunzelte. Passt nicht zu mir, ein Engel der raucht. Geht gar nicht.

Roy kam heraus und setzte sich zu mir in einen der vielen Schaukelstühle, die herumstanden. Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich entspannt zurück. Einige Minuten lang sagte er nichts und zog nur an seinem Glimmstängel.

„Wir hatten dieses Mal wirklich Glück. Keiner von uns ist auf die Idee gekommen, dass die Opus Dei solch einen Kamikazeangriff starten würde. Das war wirklich selbstmörderisch...Erinnerte mich irgendwie an die Angriffe der Taliban mit ihren Selbstmordattentätern. Ohne Rücksicht auf Verluste und sie waren gerade mal achtzehn Personen... Alle gingen davon aus getötet zu werden, falls sie nicht erfolgreich sein sollten." Er schüttelte den Kopf. „So weit, so gut. Ist ja gut ausgegangen. Die Polizei hat die Überlebenden festgenommen. Deren Aussage war der Hammer..." Er machte eine Pause und zog erneut an seiner Zigarette.

Ich traute mich nicht, seinen Redefluss zu unterbrechen.

Roy fuhr fort: „Sie hatten gehört, dass Vampire einen Engel in der Gewalt hatten."

Überrascht schaute ich ihn an.

„Wirklich! Die müssen unter Drogen gestanden haben. Anders kann ich es mir nicht erklären. Die haben tatsächlich gegenüber der Polizei ausgesagt, sie suchten einen echten Engel." Er schüttelte den Kopf. „Die kommen alle in die Klapse. Diese Aussagen mit Vampiren und Engeln macht sie alle unzurechnungsfähig... Da wird es nicht mal eine Gerichtsverhandlung geben. Noch sitzen sie in Untersuchungshaft, aber bei der ersten Anhörung wird wahrscheinlich gleich eine Entscheidung getroffen werden. Gruppenwahnsinn und Sekte wird es dann in der Presse heißen, denke ich." Er zog wieder an seiner Zigarette. „Der Club wird noch bekannter und die Einnahmen werden steigen. Solche Gerüchte und eine Schießerei machen ihn noch wertvoller. New York liebt solche Geschichten."

„Ich verstehe. Wo kam dann der Brandgeruch her?"

„Ach, sie hatten wohl, so wie es aussieht, nur von außen agieren können. Sie hatten die gesamte Wasserversorgung des Hauses lahmgelegt und vor der Lüftungsanlage ein Feuer mit alten Brettern entzündet. Eigentlich ein Vorteil, dass die Wassersprinkler nicht angegangen sind, sonst hätte das ganze Haus einen Wasserschaden gehabt."

„Wie viel Tote und Verletzte gab es?", fragte ich.

„Es gab unter den Gästen zwölf Tote und fünfundzwanzig Verletzte. Von unseren Leuten hat es keinen erwischt. Die Vampirgäste konnten sich erfolgreich wehren oder waren nur verletzt, ohne lange bleibende Schäden. Wir konnten sie schnell in die Büroetage verfrachten und versorgen, bevor die Polizei eintraf." Er drückte die Zigarette aus. „Ich muss wieder rein. Die stellen sonst noch etwas Idiotisches an. So aufgebracht habe ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Dabei war dies nicht der erste Angriff. Nur dieses offene Vorgehen hatten wir bisher nicht."

Er stand auf und wollte gehen. Drehte sich aber noch mal um und sagte: „Salvatore würde dir das nie erzählen. Aber es war nicht deine Schuld. Ich würde eher ihm die Schuld geben. Er hätte dich niemals auf diese Bühne bringen dürfen. Das war eine idiotische Idee gewesen."

Bedrückt nickend stimmte ich ihm zu und er ging wieder hinein.

Ich schloss traurig meine Augen und dachte daran, was geschehen war. Alle diese Bilder, die ich nicht mehr loswerden würde.

Roys Aussage würde mir nicht helfen. Es war meine Schuld gewesen! Menschen starben meinetwegen! Diese ganze Aufregung! Alles war meine schuld. Es würde quer durch die Presse gehen, heutzutage als Internetnachricht um die ganze Welt. Ein Engel auf Erden im Clubixx. Ich konnte mir die Schlagzeilen schon vorstellen. Was würde das für Folgen haben? Was machen die Vampire nun? Müssen sie den Club aufgeben?... Er war kein geheimer Treffpunkt mehr! Ich kann mich dort nicht mehr sehen lassen. Ich habe alle in Gefahr gebracht. Ich bringe Salvatore in Gefahr. Ich war das Problem, nicht sie!

Ich hörte, dass sie zu keiner Einigung gekommen waren und erstmal die Entwicklung abwarten wollten. Einige verabschiedeten sich und fuhren mit ihren schweren SUVs wieder nach New York. Die Wachen wurden von Gio eingeteilt und verteilten sich auf dem Gelände.

Salvatore kam mit zwei Kristallgläsern mit gemischtem Blutwein heraus, überreichte mir ein Glas und setzte sich in den anderen Schaukelstuhl: „Ein Chateau Latour, hier auf dem Gut eingelagert. Ich hoffe, du magst Rotwein.", sagte er und probierte den Wein. „Nicht schlecht."

Ich fragte, dankend das Glas entgegennehmend: „Wo sind wir hier eigentlich?"

„Sorry, alles ging so schnell. Ich hatte nur die Polizei gehört und dich ohnmächtig vor mir gesehen... Dies hier ist eine Ausweichunterkunft des Clans, für alle, die mal in Schwierigkeiten stecken. Diese wunderschöne Anlage heißt Dacora Mansion in Oak Hill im Staat New York. Wir sind ungefähr eine Stunde von Manhattan entfernt. Es gehört Louis Dacora. Aber er ist zurzeit für ein paar Jahre in Frankreich. So kümmern wir uns um den Unterhalt und die Anlage. Hier leben in den dazugehörigen Häusern ungefähr zwanzig menschliche Mitarbeiter, die sich um die Anlage und die Pferdeställe kümmern. Es gibt hier wunderschöne Tiere. Die Zucht ist das besondere Steckenpferd von Louis seit dreihundert Jahren."

Er schlurfte wieder an seinem Wein und sinnierte: „Das war ja mal etwas. Damit haben wir alle nicht gerechnet. Danke, dass du eingegriffen hast.", sagte er lächelnd und fasste sich an den Hals. „Du hast mir wirklich einen Schrecken eingejagt, als du ohnmächtig vor mir gelegen hast...Interessanterweise hast mich diesmal nicht gebissen...Roy hat bestimmt schon berichtet, was anschließend passiert war."

Niedergeschlagen nickte ich und stieß meinen Schaukelstuhl an, der leise vor sich hin knarrte: „Nicht besonders ausführlich, nur wie viele Tote und Verletzte es gab."

„Ich habe schon öfter Angriffe miterlebt. Aber dieser war schon bemerkenswert. Dank dir, war die Sache kurzfristig erledigt... Ich hatte schon die ersten Anrufe von Mitarbeitern. Sie wollen dir alle danken, dass du sie aus dem Gebäude gelotst hast. Sie haben mir von deiner Heldentat berichtet...

Wir werden ein paar Tage hierbleiben, bis sich die Aufregung gelegt hat. Der Manager des Clubs und meine Mitarbeiter übernehmen alle weiteren Aufräumarbeiten und richten alles wieder her. Der Club wird in circa einer Woche wieder eröffnen. Ich werde dabei sein und du kommst dann eine Woche später einfach nach."

Ich probierte den Wein. Ich hatte keine Ahnung von Wein, aber er war wirklich gut. Erschöpft schloss ich die Augen und schaukelte still vor mich hin.

Salvatore tat das Gleiche. Jeder hing seinen Gedanken nach und die Schaukelstühle quietschten auf dem Parkettboden überlaut.

Ich bin der Vampirengel (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt