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ERIN

Das schottische Mistwetter folgt mir auf Schritt und tritt, seit ich den ersten Fuß auf den nassen Boden des Flughafens gesetzt habe. Von meinem Flug aus Manchester stieg ich in Edinburgh um und flog mit einer weiteren Airline bis nach Inverness. Von dort aus fuhr ich mit dem Taxi in die Innenstadt. Ich muss zugeben, ich habe mir Schottland anders vorgestellt. Zwar bin ich das englische Wetter gewohnt, das schottische scheint eine Schippe unliebsamer zu sein. In den letzten zwölf Stunden hat es nicht aufgehört, zu regnen geschweige denn zu donnern, und blitzen. Langsam verschwindet die Hoffnung, dass es aufhört. Nach einem anstrengenden Arbeitstag sitze ich auf dem Sessel meines Hotelzimmers und starre aus dem Fenster hinaus. Durch die nassen Scheiben sehe ich in der Ferne den Fluss Ness, der sich durch die Stadt erstreckt. Wasser steht bis kurz vor den Ufern. Wenn es so weitergeht, wird er übertreten. Im bescheidenen alten Fernseher gegenüber des Bettes laufen die Nachrichten und ich stochere lustlos in meinen chinesischen Nudeln, die halb kalt sind. Vor mir auf dem Tisch liegen zwei Mappen mit wichtigen Blättern, die ich heute bearbeitet habe. Einige werde ich in den nächsten Tagen brauchen. Mir wurde auferlegt das Hotel, in dem ich sitze, auf Vordermann zu bringen. Meine Firma hat es aufgekauft und wird es renovieren lassen. Nun soll ich den ganzen Papierkram erledigen und mir einen Eindruck verschaffen. Bis jetzt läuft alles glatt. Lediglich die alten Möbel und Böden müssen erneuert werden. Das Dach ist in einwandfreiem Zustand und das Regenwasser rinnt nicht wie im Hotel in Bath, an den Wänden hinab, sondern durch die Regenrinnen. Es ist besser als das in Bath. Trotzdem gibt es ein paar Dinge zutun und es wird wohl nicht mein letzter Ausflug in die schottischen Highlands gewesen sein. Wenn es nach mir ginge, könnte ich mir die stundenlangen Flüge und fahrten sparen. Mein Rücken krampft verspannt und ich ziehe die Schulterblätter zusammen, um ihn knacken zu lassen. Vergeblich. Seufzend stütze ich mein Kinn in die Innenfläche der Hand und lege die Stäbchen zur Seite. Die Wetterfee im Fernseher kündigt soeben mehr Regen an und trübt meine ohnehin schon miese Stimmung. Ich mag den Sommer und die Sonne. Nässe, Kälte und Regen dagegen verabscheue ich wie ein kleines Kätzchen. Am liebsten würde ich an einem Ort leben, an dem es das ganze Jahr über warme Temperaturen gibt. Sehnsüchtig strecke ich mein Kinn gen Himmel und betrachte die schwarzen Regenwolken. Ein Blitz erhellt den Himmel und hinter der dicken Wolkendecke ist die Sonne vor keinen drei Stunden untergegangen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk. Es ist kurz vor neun. Im Augenwinkel leuchtet mir das neonfarbene Schild eines Pubs auf der anderen Straßenseite entgegen. Es scheint mir eine gute Alternative für das einsame Zimmer zu sein. Mehr als ein Bett, einen Schrank und einen Fernseher gibt es hier nicht. Ein Drink zum Feierabend sei mir gegönnt.

So schwinge ich mir meine schwarze Jacke über und schlüpfe wieder in die ebenso schwarzfarbenen Schuhe. Einen Regenschirm habe ich dummerweise nicht mitgenommen. Er steht hinter der Tür in meinem Apartment in Manchester. Den Schlüssel des Zimmers stecke ich in die schmale Jackentasche gleich neben meinen Geldbeutel und mein Telefon. Hoffentlich ist nicht viel los da unten. Bei dem Mistwetter traut sich eh niemand vor die Tür.

~

Falsch gedacht. Während ich durch die Tür ins Innere des Pubs schneie, in dem es nach echten schottischen Whisky und Zigarren riecht, erkenne ich die vollen Tische und Stühle. Um die Bar tummeln sich Männer, die sich lachend unterhalten. In einer Ecke sitzt eine Gruppe Frauen, mit Biergläsern. Lächelnd drängle ich mich einigen Schotten vorbei und entschuldige mich immer wieder, da ich sie dank der Fülle öfter als mir lieb ist, aus Versehen anrempele. Kurz vor der Bar, stolpere ich über eine Stufe, die den Raum in zwei ebenen trennt. Mit weit aufgerissenen Augen falle ich nach vorne und mache mich bereit Bekanntschaft mit dem harten Boden zu machen. Innerlich bete ich, das niemand hinsieht, denn es ist mir peinlich. Der Aufprall bleibt aus. Stattdessen fangen mich zwei kraftvolle Arme auf. Ein raues Lachen folgt. Verdutzt rapple ich mich auf und bringe Abstand zwischen mich und den fremden Mann. Er ist groß und hat breite, trainierte Schultern und Arme. Durch sein Perfekt sitzendes Hemd erkenne ich deine Muskeln im Licht der Bar nur schwach. Auf seinen Händen, mit denen er meinen Körper aufgefangen hat, sind Tattoos tief in seine Haut gestochen.

»Du solltest aufpassen wo du hinläufst«, rät er mir amüsiert mit einem schottischen Akzent. Peinlich berührt sehe ich auf und blicke ihm in die Augen. Schluckend stelle ich fest, dass er wahnsinnig attraktiv aussieht. Er trägt einen kurzen Bart, der seine markanten Gesichtszüge nicht verdeckt. Seine Haare sind lässig zurückgekämmt und Honigblond. In seinen grünen Augen spiegeln sich die Lichter. Die sind stechend und sein Blick durchdringend, sodass das ich mich anstrengen muss dem standzuhalten. Ich bin so sprachlos, das ich glatt vergesse zu antworten. Erst als er mir seine rechte Hand entgegenstreckt, durchbreche ich unseren Augenkontakt und sehe hinab. »Ewan, freut mich«, stellt er sich vor. Blinzelnd nehme ich seine Hand an und bemühe mich nicht wieder peinlich zu schweigen. »Erin. Tut mir leid wegen eben. Ich habe wohl nicht aufgepasst«, murmle ich verlegen. Der große Schotte winkt ab. »Kein Ding. Wie ich sehe bist du nicht von hier. Hast du Lust auf einen Drink, Erin?« Die Weise, wie er meinen Namen ausspricht, lässt mir glatt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Seine Augen deuten mir stumm das ich „ja" sagen soll und ich bin viel zu perplex, um abzulehnen. »Gerne«, stoße ich aus und frage mich ernsthaft, was ich hier tue. Wieso lässt du dich von einem fremden auf einen Drink einladen? Innerlich schlage ich mir mit der Hand gegen die Stirn. Das sieht mir nicht ähnlich. Es muss der Stress heute gewesen sein. Ich bin fertig mit den Nerven und Alkohol scheint mir genau das Richtige zu sein.

»Zwei Whisky«, bestellt dieser Ewan lässig mit einem Arm auf der Theke beim Barkeeper. Mit einem Auge behält er mich immer im Blick. Es dauert nicht lang, bis wir unsere Getränke haben und er direkt auf eine abgelegene Sitzecke zusteuert, in der wir uns niederlassen. »Woher kommst du?«, möchte er neugierig wissen. »Manchester... ich bin beruflich hier«, antworte ich und überschlage die Beine unter dem Tisch. Skeptisch werfe ich einen Blick in mein Glas. Die bräunliche Flüssigkeit erinnert mich an Motoröl. Whisky habe ich nie zuvor getrunken.
»Ah, eine Engländerin. Eigentlich habe ich auf Französin getippt«, sagt er und nimmt einen großen Schluck, als wäre es Wasser. Unsicher lächelnd lege ich meine Finger ums Glas und blicke ihn an. »Frankreich? Sehe ich wirklich so aus?«
»Ein wenig«, gibt er zu.
»Aber Ja, Manchester trifft es auch.«
»Und du?«, frage ich ihn, »wo kommst du her?«
Er schaut sich um und lehnt sich entspannt zurück. »Aus der Gegend. Ab und zu bin ich für ein paar Dinge in der Stadt«, erzählt er und lässt seine Augen über die Menge wandern. Von der Seite sieht sein strenger Blick autoritär aus. Als könne er all den Menschen mit einem fingerschnipsen sagen, was sie zu tun haben. Er nimmt den Raum mit seiner Präsenz ein und ich weiß, das jeder hier denselben Respekt vor ihm hegt wie ich. Seine dominanten Augen legen sich wieder auf die meine. »Was für dich hierher?«, möchte er mit interessierter Mine wissen. Mein Glas hebend antworte ich. »Die Arbeit, wie ich sagte.« Lippenbeißend schnuppere ich am Alkohol. Er riecht wie eine Mischung aus Wandfarbe und Öl. Sicher das man das trinkt?

Ewan legt seine Unterarme auf der holfarbenen Tischplatte zwischen uns ab, dabei spannt sein Hemd über seinem Bizeps. Mein Herz schlägt auf.
»Nein, ich meine was dich in diese Bar führt.« Seine Augen fahren meine feuchten Haare entlang, bis über meine Augen und die Nase, hinab zu den Lippen. Schließlich meinen Körper hinab. »Mein Hotel liegt gleich gegenüber und mir war langweilig ganz allein da oben«, gebe ich zu. Nun heben sich seine Augenbrauen aufmerksam und sein Kehlkopf hüpft beim Schlucken auf und ab. »Ach ja?« Seine Stimme ist rau und kehlig geworden. In seinen Augen hat sich pure Lust breitgemacht. Er will mich. Das spüre ich deutlich. Nicht fähig etwas zu sagen, nicke ich und nippe am Whisky. Er brennt mir in der Kehle nach und hinterlässt einen merkwürdigen Geschmack in meinem Mund. Grausig.

Zwischen uns hat sich die Luft aufgeheizt. Kleine spannungsvolle Blitze fliegen zwischen unseren Augenpaaren umher. Sie sind impulsiv und heiß. In meiner Mitte kribbelt es verdächtig. Der Schotte beugt sich mir weiter entgegen und grinst vielsagend. »Ich kann dir die Langeweile vertreiben, wenn du willst.«
Ein kräftiger Stoß von Adrenalin jagt mir durch die Knochen, als er mir zuzwinkert und sich erhebt. Es ist eine Einladung, ihm zu folgen. Normalerweise bin ich nicht sonderlich angetan von One-Night-Stands. Ändert er meine Meinung heute Nacht?

Highland King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt